Renars Uscins beim Wurfversuch

Zwischen Führen und Überdrehen Renārs Uščins sucht die richtige Mischung

Stand: 18.01.2025 17:42 Uhr

Deutschlands Shootingstar Renārs Uščins hat vor der Handball-WM viel über seine Rolle nachgedacht. Er wollte sein Image ändern, auch mal der "Bad Boy" sein - und immer vorangehen. Jetzt sucht der 22-Jährige die richtige Mischung zwischen Führen und Überdrehen.

Von Christian Hornung, Herning (Dänemark)

Wenn man sich allein die Zahlen vor Augen führt, ist doch alles gut. Deutschland hat die ersten beiden Gruppenspiele gegen Polen (35:28) und gegen die Schweiz (31:29) gewonnen, steht bereits vor dem anschließenden Match am Sonntag gegen die Tschechen (19.01.2025, 18 Uhr, live im Ersten und auf sportschau.de) als Hauptrunden-Teilnehmer fest. Renārs Uščins ist mit 16 Toren der beste Schütze, zehn Treffern im Auftaktspiel ließ er sechs weitere im Krimi gegen die Schweiz folgen. Dazu kommen insgesamt zehn Vorlagen.

Go-to-Guy im Angriff

Dass er selbst aber gar nicht glücklich mit dieser Vorstellung war, zeigte seine anschließende Reaktion: Trotz des Sieges eilte er mit versteinerter Miene durch die Interviewzone der Jyske Bank Boxen, ignorierte alle Fragen nach einer Stellungnahme. Das hing möglicherweise mit seiner eher mittelmäßigen Wurfquote an diesem Abend zusammen, für seine sechs Tore benötigte er 13 Würfe. Im ersten Spiel lag er bei zehn von 17.

Mit 30 Versuchen liegt der Linkshänder der TSV Hannover-Burgdorf im DHB-Team klar auf Platz eins der Spieler mit den meisten Würfen. Juri Knorr folgt mit 15 Würfen (10 Tore) auf Platz zwei, Julian Köster mit 13 (9) auf drei. Uščins feuert und feuert, trifft aber bisher nur 41 Prozent seiner Würfe aus dem Rückraum. Es ist zwar wertvoll, wenn sich ein Schütze wie er nicht von einer schwachen Quote beirren lässt und es weiter probiert - bei Uščins wirkt es aber mitunter, als setze er sich selbst unter Druck.

Vor allem in der ersten Halbzeit gegen die Schweizer warf er die Bälle manchmal viel zu hektisch, schloss Angriffe auch in Überzahl nach wenigen Sekunden und in nicht optimaler Position ab, so dass Alfred Gislason an der Seitenlinie auch schonmal richtig genervt reagierte. Der Coach sagte später zur Sportschau: "Tempo ist grundsätzlich gut, aber klar, manchmal können wir die Situationen tatsächlich besser ausspielen. Ich bin aber sehr froh, dass Renārs immer Verantwortung nehmen will."

Jedes Recht auf die Crunchtime-Würfe

Die Teamkameraden sehen das überwiegend ähnlich. David Späth ist mit Uščins schon U-19-Europameister und U21-Weltmeister geworden und lobt seinen Mut: "Auch damals wollte er immer schon vorangehen. Bei den Würfen geht er einfach seiner Intuition nach, und genau das soll er auch tun. Du kannst in so einer Position nie 100 Prozent werfen, er macht auch Fehler, aber dafür sind wir ein Team, diese dann auszubügeln."

Kreisläufer Justus Fischer setzt darauf, dass sich der Hannoveraner "Go-to-Guy" nicht von seinem Weg abbringen lässt: "Für mich hat er jedes Recht, sich die Bälle in der Crunchtime zu nehmen, weil er einfach in einer unglaublichen Form ist."

Zu viel Stress seit dem Frankreich-Wunder

Doch neben Gislason sieht auch Johannes Golla Redebedarf. Der Kapitän erkennt die Gefahr, dass sich Uščins manchmal etwas zu sehr stresst. Sein Wahnsinnsauftritt im olympischen Viertelfinale gegen Frankreich hat sicher dazu beigetragen: Da hatte der rechte Rückraumschütze 14 Tore zum Wunder von Paris beigetragen, das Team in die Verlängerung gerettet und allein dort vier Treffer erzielt. Auch drei Siebenmeter hatte Uščins beim 35:34 verwandelt, obwohl er gar nicht der vorgesehene Schütze war.

Jetzt sagt Golla: "Es ist immer besser, wenn einer Verantwortung übernimmt als davor wegzulaufen. Aber er muss es nicht alleine regeln, es sind immer auch noch Kollegen da. Renārs ist 22 und bringt unfassbar viel mit, jetzt sind wir alle gefragt ihm zu helfen, die optimale Mischung hinzubekommen." Und er ist gefragt, mehr Gefühl dafür zu entwickeln, was seine Mannschaft gerade braucht - es wäre der letzte Schritt zum absoluten Führungsspieler.