Marko Grgic
analyse

Handball-WM 2025 Drei Siege - aber drei Fragezeichen bleiben

Stand: 20.01.2025 00:41 Uhr

Deutschlands Handballer holen den dritten Sieg im dritten Spiel, marschieren durch die Gruppe A, nehmen wie Dänemark vier Punkte mit in die Hauptrunde. Und trotzdem bleiben auch nach dem 29:22 gegen Tschechien drei dicke Fragezeichen.

Von Christian Hornung, Herning (Dänemark)

Das eine davon wollte Juri Knorr wie einst Fußball-Legende Günter Netzer erledigen: Ich werf dann jetzt! Netzer hatte bekanntlich 1973 im Pokalfinale gegen Köln nach einem Zoff mit Hennes Weisweiler nur auf der Bank gesessen, sich dann vor der Verlängerung selbst eingewechselt und dem Trainer nur kurz mitgeteilt: "Ich spiel dann jetzt." Danach schoss er seine Gladbacher zum Titel. "Netzer reloaded" machte jetzt Knorr: Als zuerst Lukas Zerbe und dann Marko Grgic ihre Siebenmeter kläglich vergeben hatten, wollte Alfred Gislason Timo Kastening, der bis dahin draußen gesessen hatte, an den Strich schicken.

Kastening stand schon an der Seitenlinie bereit, doch Spielmacher Knorr hatte einen anderen Schützen auf dem Zettel: sich. Er schnappte sich die Kugel, machte eine kurze Geste Richtung Seitenlinie und traf. Kastening lächelte draußen ein bisschen gequält, tat aber natürlich auch seine Freude über den Treffer kund - und setzte sich unverrichteter Dinge wieder hin.

Auch Knorr verwirft noch einen Siebenmeter

Doch letztlich beerdigte auch Knorrs Chefsache nicht die Pannenserie, die sich schon gegen die Schweiz mit Fehlwürfen von Zerbe und Kastening angebahnt hatte. Denn gleich nach dem Seitenwechsel verballerte auch Knorr. Einen weiteren gab es dann noch, den verwandelte dann Renārs Uščins, der auch im Olympia-Viertelfinale gegen Frankreich schon die Verantwortung übernommen und nach dem Dauerscheitern der Kollegen drei Strafwürfe verwandelt hatte. Der 24-Tore-Mann dieses Turniers taugt zur Lösung des Siebenmeterproblems (zwei aus sieben bisher in der WM, schlechteste Bilanz aller Teams), findet auch Knorr, der aber niemanden verprellen will: "Klar, wir haben Renārs. Aber ich vertraue auch Marko und Lukas, die haben das drauf." Problem dabei: Zerbe wirft nichtmal im Verein die Siebenmeter, in Kiel geht der Ungar Bence Imre an die Linie.

Wer soll es also jetzt richten? Als die Sportschau Alfred Gislason das fragt, kontert der Coach mit Sarkasmus: "Irgendeiner, wir haben nur diese Spieler, die hier sind. Unsere Torhüter kommen dafür nicht in Frage."

Wo waren die Anspiele an den Kreis?

Die kaschieren auch schon genug andere Defizite. Gegen die Schweiz rettete Andreas Wolff mit 20 Paraden den 31:29-Sieg. Gegen die Tschechen wurde David Späth nach seiner Einwechslung mit 14 von 30 abgewehrten Bällen (46,7 Prozent) neben Uščins (acht Tore) und phasenweise Knorr (fünf) zum Matchwinner.

Aber wo waren - Fragezeichen Nummer zwei - eigentlich die Anspiele an den Kreis und die Tore aus dieser Position? Sportschau-Experte Dominik Klein merkte schon während der Partie an, dass ihm in der Offensive dieses Element "total fehlt". Aus dem Rückraum kam zunächst über Knorr, dann immer mehr über Uščins Dauerfeuer. Die Außen Lukas Mertens und Zerbe wurden immerhin im zweiten Durchgang auch mal in Szene gesetzt. Doch der Kreis lief zu keinem Zeitpunkt heiß.

Wie immer: erste Halbzeit zum Vergessen

Drittes Fragezeichen: Welches Alibi hat Team Deutschland für die Tatzeit zwischen Minute eins und Minute 30? Wie kann man zum fünften Mal in Serie (zwei Tests gegen Brasilien, drei Spiele jetzt bei der WM) eine erste Halbzeit zum Vergessen anbieten, zumindest was die Offensive anbelangt?

Die überwiegende Zeit hechelte das DHB-Team gegen die Tschechen einem Rückstand hinterher, wirkte im Angriff völlig ungeordnet und rettete mit Mühe ein 11:11 in die Kabine.

"Technische Fehler, freie Würfe ausgelassen"

Die Spieler rätseln seibst. "Es war wieder sehr hart in der ersten Hälfte", gibt Johannes Golla zu. "Der Grund? Wir machen da einfach zu viele technische Fehler und lassen freie Würfe aus" Der Kapitän warnt: "Das darf gegen Dänemark so nicht passieren, da müssen wir von Beginn an da sein."

Der große WM-Favorit wartet im ersten Hauptrundenspiel schon am Dienstag (20.30 Uhr, live im Ersten, im Stream und im Live-Ticker bei sportschau.de). Marko Grgic sieht in dieser Ausgangslage sogar etwas Positives, vielleicht sogar die Antwort auf das dritte Fragezeichen: "Ich glaube, dass wir da von Beginn an viel befreiter spielen können. Bei unseren ersten Halbzeiten bisher habe ich das Gefühl, dass wir uns selbst diesen Hammer von unserem Olympia-Silber auf die Schultern hauen. Weil jeder von uns wieder sowas erwartet und wir deshalb verkrampfen."

In diese Richtung argumentiert auch Uščins: "Wir sollten gar nicht so viel über Druck von außen nachdenken, sondern einfach die Ruhe behalten und uns auch mal vor Augen führen, dass wir noch eine total junge Mannschaft sind. Dafür haben wir das hier bisher doch super gelöst und das Spiel gegen Tschechien immerhin früher klargemacht als das gegen die Schweiz, also da gab es schon einen Lerneffekt."

Diesmal eine viel bessere Wurfauswahl

Das klang nach einem Ausrufezeichen. Und ein weiteres Fragezeichen hat Uščins auch schon besiegt, nämlich das, das seine manchmal etwas zu enthusiastische Spielweise betraf: "Es stimmt schon, dass ich gegen die Schweiz zwei, dreimal die Angriffe viel zu schnell abgeschlossen habe. Ich habe mir das alles nochmal im Video angeguckt, analysiert, kurz mit dem Trainer gesprochen und meine Schlüsse daraus gezogen."

Diesmal spielte er viel abgeklärter, traf eine brillante Wurfauswahl und landete am Ende bei der Weltklasse-Erfolgsquote von 80 Prozent. Die Sache mit den Siebenmetern könnte er nun auch noch übernehmen - nur vom Kreis müssten es schon die Kollegen richten.

Deutschland gegen Tschechien - das komplette Spiel

Sportschau Handball-WM 2025, 19.01.2025 09:00 Uhr