Gisli Kristjansson jubelt

Champions-League-Sieg Gisli Kristjansson - Magdeburgs "einarmiger" Matchwinner

Stand: 19.06.2023 08:39 Uhr

Das Finale in der Handball-Champions-League ist an Dramatik kaum zu überbieten. Auch wegen des überraschenden Comebacks von Magdeburgers Gisli Kristjansson.  

Gisli Kristjansson stand nach Abpfiff vor dem Fanblock des SC Magdeburg, Tränen liefen ihm übers Gesicht, "Gisli"-Fangesänge hallten durch die Kölnarena. "Solche Emotionen habe ich noch nie erlebt. Einfach ein geiler Moment. Einer der besten in meinem ganzen Leben", sagte er.

Der 23-Jährige hatte gerade mit dem SC Magdeburg in einem an Dramatik kaum zu übertreffenden Finale gegen KS Kielce aus Polen die Handball-Champions-League gewonnen und selbst sechs Tore beigetragen. Dabei war noch am Morgen nicht klar, ob er überhaupt würde spielen können. 

Schwere Verletzung im Halbfinale

Im Halbfinal-Krimi gegen den FC Barelona nur einen Tag zuvor war der Spielmacher drei Minuten vor dem Ende der regulären Spielzeit nach einen Zusammenprall verletzt am Boden liegen geblieben - die Schulter des Wurfarms ausgekugelt. Nicht zum ersten Mal.

Die Verletzungsgeschichte von Gisli Kristjansson ist lang. Es ist bereits die sechste schwere Schulterverletzung des erst 23 Jahre alten Handballers binnen fünf Jahren. Erst vier Wochen vor dem Final-Four-Wochenende in Köln hatte er sich den Knöchel gebrochen, drohte das Final Four zu verpassen und wurde nur gerade eben wieder rechtzeitig fit.  

Die Verlängerung und das Siebenmeter-Werfen im Halbfinale schaute er auf den Zuschauerplätzen hinter dem Tor, die Schulter in einer Schlaufe geschützt. "Die Mannschaft hat so eine unfassbare Leistung gebracht. Wir haben so eine unfassbar große Mentalität und Stärke gezeigt. Wir geben nie auf und ich auch nicht", sagte Kristjansson nach dem Endspiel.

"Gefährlichste Mannschaft der Welt"

Schon vor dem Finale hatte Andreas Wolff, der deutsche National-Torhüter in Diensten des Endspielgegners Kielce, genau vor dieser mentalen Stärke gewarnt: "Für mich ist der SC Magdeburg die gefährlichste Mannschaft der Welt. Sie haben einen unfassbaren Teamcharakter. Auch wenn sie viele Verletzte haben, springt immer wieder einer in die Bresche und knüpft genau da an, wo der andere Weltklasse-Spieler aufgehört hat."

Das Momentum nutzen, die große Stärke des SC Magdeburg - auch im Finale. 26:26 stand es nach der regulären Spielzeit, am Ende der anschließenden Verlängerung stand ein 30:29-Sieg. "Es lief alles nach Plan", sagte Trainer Bennet Wiegert nach einem der spannendsten Champion-League-Finals der vergangenen Jahre, in dem sein Team lange Zeit zurückgelegen hatte. "Wir haben diese Saison schon so häufig Spiele gedreht. Wir wussten, dass, wenn sie den Druck bekommen und unseren Atmen spüren, dann fangen sie an zu schwimmen, das haben wir genutzt."

"Risiko hat sich gelohnt"

Die Entscheidung, dass Kristjansson Teil dieses Plans für das Finale sein würde, fiel nur wenige Stunden vor Anpfiff am Sonntagvormittag nach einem Belastungstest. "Wir haben irgendwo eine Halle gefunden, wo ich ein bisschen testen konnte. Wir sind ins Risiko gegangen, aber es hat sich gelohnt", sagt der Isländer, der im Finale gute 40 bis 50 Minuten auf der Platte stand. Weit mehr als geplant. 

Denn eigentlich wollte Trainer Bennet Wiegert nicht, dass Kristjansson - der nun sogar als wertvollster Spieler des Final-Fours ausgezeichnet wurde - überhaupt spielt. "Ich war eigentlich nicht dafür, das zu machen, aber wenn ein Spieler zu mir kommt und sagt 'Das ist vielleicht das größte Spiel meiner Karriere', dann kann ich ihm das nicht verwehren", erklärt Wiegert.

Der Magdeburger Coach zählt mit dem Titelgewinn nun zu den wenigen Handballern, die die Champions League sowohl als Spieler als auch als Trainer gewinnen konnten. Vor ihm hatten das nur vier andere geschafft: Talant Duschebajew, Carlos Ortega, Roberto Garcia Parrondo und Flip Jicha. "Welche Geschichten doch der Sport schreibt", sagte Wiegert.

Einarmige Titelfeier

Die einarmige Titelfeier von Gisli Kristjansson ist eine davon. Bei der Siegerehrung stemmte er die schwere Trophäe sichtlich gehemmt in die Höhe. "Es tut jetzt immer mehr weh, aber das ist es alles wert. Ich wollte einfach irgendwie der Mannschaft helfen", sagte der Isländer. "Ich habe den Pokal mit beiden Händen genommen, aber nicht ganz nach oben." Da war aus den Freudentränen längst ein großes Grinsen geworden.