Belgien bei der EM Wie eine Fahrt mit dem deutschen Nahverkehr
Anderthalb Jahre hatte Belgien nicht verloren, dann kam die EM und im ersten Spiel die Slowakei. Nun wird über Tore diskutiert, die nicht fallen. Doch das allein ist nicht das Problem.
Kürzlich ließen die Belgier einen über das Toreschießen sprechen, für den das Toreschießen nicht zu den dringlichsten Aufgaben zählt. Jan Vertonghen, 37, ist ein Innenverteidiger mit der Erfahrung aus 154 Länderspielen für Belgiens Nationalmannschaft. "Das ist das Schicksal eines Stürmers", sagte Vertonghen. "Du kannst der Held sein, aber wenn du nicht triffst, sitzen dir alle im Nacken."
Vertonghen wird in diesem Moment auch an seinen Mitspieler Romelu Lukaku gedacht haben. Lukaku, 31, ist Belgiens Torjäger, das Toreschießen ist seine dringlichste Aufgabe. Diesen Job erledigt er in einiger Regelmäßigkeit zur Zufriedenheit seiner Trainer: In 116 Länderspielen hat er 85 Tore erzielt.
Beim ersten Spiel der Belgier bei der EM-Endrunde jubelte Lukaku zweimal. Erst traf er nach einer Hereingabe aus kurzer Distanz ins Tor, dann vollendete er mit dem linken Fuß gegen die Laufrichtung des Torhüters, wuchtig und platziert. Doch beide Treffer zählten nicht. Einmal stand Lukaku im Abseits, einmal berührte Vorlagengeber Loïs Openda den Ball mit der Hand.
Belgien verlor gegen die Slowakei überraschend 0:1 - und steht deshalb vor dem zweiten Spiel gegen Rumänen am Samstag (22.06.2024, ab 20.15 Uhr im Live-Ticker und in der Radio-Reportage) unter Druck.
"Vielleicht sollten wir ein bisschen am Abschluss arbeiten"
Natürlich ist nach diesem Spiel viel diskutiert worden über den Fehlstart der "Roten Teufel", schließlich hatten sie zuvor in den knapp anderthalb Jahren, in denen der Nationaltrainer in Belgien Domenico Tedesco heißt, überhaupt noch nicht verloren. Und dann verloren sie gegen die Slowakei, einen der Außenseiter bei dieser EM-Endrunde.
In Berichten über Belgiens Fußballer wird seitdem oft auf eine Statistik verwiesen, deren Ursprung in Katar liegt. Bei der Weltmeisterschaft 2022 hatte Belgien im ersten Spiel gegen Kanada ein Tor erzielt und gewonnen. Seitdem hat diese Ansammlung beeindruckend talentierter Fußballer von drei Turnierspielen keins gewonnen. Sie gab 47 Torschüsse ab, erspielte sich elf Großchancen, aber sie traf nicht.
Diese Statistik sei ihm neu, sagte der Verteidiger Vertonghen. Er erinnerte noch einmal an Lukakus Tore, die nicht zählten. Er sagte, man müsse diese Zahlen im Kontext sehen. Aber vielleicht, so sah Vertonghen das, "sollten wir diese Woche ein bisschen am Abschluss arbeiten."
Vertonghen könnte in die Elf zurückkehren
Er hatte im ersten Spiel von der Bank aus zugeschaut. Seine Leistenverletzung hatte er da schon auskuriert, doch zum Einsatz kam er nicht. Vertonghen hatte also Zeit, um zu beobachten, wie Lukaku jubelte, wie seine Mitspieler ihn herzten und wie dann doch Ernüchterung einkehrte. Gegen Rumänien dürfte Tedesco ihn zurück in seine Elf beordern. Vertonghen sagte: "Ich fühle mich bereit."
Schneller ist Vertonghen mit den Jahren nicht geworden, aber er agiert ruhig auch unter Druck und macht selten Fehler. Und mit seinem linken Fuß spielt er erstaunlich feine Pässe. Auf einen wie ihn wird Tedesco kaum verzichten mögen, schließlich hatte Belgien nicht nur im Torabschluss Probleme.
Das Tor der Slowaken fiel, als Jérémy Doku vor dem eigenen Tor dribbelte und anschließend quer durch den Strafraum passte, aber keinen Mitspieler fand. Dafür gibt es auch in der Kreisliga Ärger. Und die Verbindung zwischen den Mannschaftsteilen erinnerte nicht selten an Fahrten mit dem Nahverkehr durch Deutschland. Es hakte und ruckelte und manchmal ging gar nichts.
"Qualifizieren uns für die nächste Runde, zu 100 Prozent"
Auch Kevin De Bruyne, 32, hat man schon besser spielen gesehen für Belgien. Er gewann 57 Prozent seiner Zweikämpfe und lieferte fünf Torschussvorlagen, das schon. Er enttäuschte nicht. Aber er machte auch nicht den Unterschied, wie er das schon so oft getan hat.
Die Hoffnung in Belgien ist nun, dass es gegen Rumänien anders läuft. Dass Vertonghen die Abwehr dirigiert, De Bruyne das Spiel ordnet und Lukaku ins Tor trifft. Das würde helfen. Ein zweites Spiel sollten die "Roten Teufel" in der Vorrunde nicht verlieren. Sonst könnten sie wie schon bei der WM in Katar früh scheitern.
Mit einem möglichen Aus nach der Vorrunde aber möchte sich bei den Belgiern zumindest der Verteidiger Vertonghen nicht beschäftigen. "Ich glaube, dass wir uns auf jeden Fall qualifizieren werden", sagte er und meinte das Achtelfinale. "Zu 100 Prozent."