Türkei-Trainer Vincenzo Montella im Gespräch mit Spieler Kenan Yildiz

"Heim-EM" soll weitergehen Türkei vor "Endspiel" gegen Tschechien

Stand: 26.06.2024 08:23 Uhr

Die großen EM-Hoffnungen der Türkei könnten in Hamburg gegen Tschechien mit dem Vorrunden-Aus enden. Vor dem Gruppenfinale liegen die Nerven blank - auch bei Trainer Vincenzo Montella.

Von Florian Neuhauss, Hamburg

Lauernd sitzt Vincenzo Montella vor dem letzten Gruppenspiel gegen Tschechien (Mittwoch, 26.06.2024, Livestream, Radioreportage und Ticker) bei der Pressekonferenz auf dem Podium. Jederzeit bereit, zurückzuschlagen. Und der Italiener muss einige kritische Fragen der türkischen Journalisten parieren.

Wie reagiert er auf die scharfe Kritik aus der Türkei nach dem Portugal-Spiel? "Mit negativer Kritik setze ich mich nicht auseinander. Ich kenne die Fehler selbst." Wie geht er mit dem Druck des drohenden Ausscheidens um? "Druck habe ich seit 30 Jahren, der gehört zur Arbeit dazu." Warum hat er den türkischen Shootingstar Arda Güler gegen Portugal geschont? "Das muss ich richtigstellen: Die Ärzte haben gesagt, dass er nicht 90 Minuten spielen kann. Das habe ich nicht einfach beschlossen."

Montella hat seinen persönlichen Dolmetscher dabei

Montella macht in seinen Aussagen immer wieder eine Pause. Neben ihm sitzt - nachdem die UEFA im Laufe der EM zugestimmt hat - sein persönlicher Dolmetscher. Keines seiner Statements soll - durch die offiziellen UEFA-Mitarbeiter - unvollständig übersetzt werden. Immer wieder fügt sein Dolmetscher weitere Aussagen hinzu. Und mehrfach beantwortet Montella Fragen, die gar nicht gestellt worden sind, um ihm wichtige Themen unterzubringen.

Spätestens an dieser Stelle muss man an Christoph Daum denken, der in seiner Trainerkarriere selbst fünfmal in der Türkei gearbeitet hat. Der mittlerweile 70-Jährige sagte einmal über die türkischen Journalisten: "Im Vergleich zu den Artikeln, die sie schreiben, sind die Märchen aus Tausendundeiner Nacht empirische Untersuchungen."

Erwartungshaltung in der Türkei sehr hoch

Der 50-Jährige und seine Speler haben die Latte selbst hochgelegt - als Sieger ihrer Qualifikationsgruppe (vor Kroatien), mit dem viel beachteten Testspielsieg gegen Deutschland in Berlin und nicht zuletzt durch den Auftakterfolg bei der EM gegen Georgien.

Es waren mehr als nur Hoffnungen, die Türkei könnte es diesmal endlich wieder weit schaffen. Die bis heute letzten Erfolge liegen weit zurück - der Einzug ins Halbfinale bei einer EM (2008) und WM (2002) sind länger als eine Fußballer-Karriere entfernt.

Auch deshalb musste Montella-Vorgänger Stefan Kuntz im vergangenen Jahr gehen, obwohl das Team punktgleich mit Kroatien die Quali-Gruppe anführte, als ein neuer Verbandspräsident kam.

Fast wie eine Heim-EM

Zehntausende türkische Fans feuern in Deutschland ihr Team frenetisch an. Auch die Türken könnten durchaus von einer "Heim-EM" sprechen. "Im ersten Spiel haben sie uns richtig nach vorne gepeitscht", betont Offensivmann Irfan Can Kahveci, der rechtzeitig zum Gruppenfinale fit geworden ist: "Im zweiten Spiel war es allerdings ruhiger." Was nicht zuletzt mit dem Spielverlauf und der Niederlage samt Slapstick-Eigentor gegen die Portugiesen zu tun hatte.

Türkei hat das Weiterkommen selbst in der Hand

Und plötzlich steht das Team, das schon längst als "goldene Generation" betitelt worden ist, vor dem Vorrunden-Aus. Die türkischen Medien sparen nicht mit Kritik - und die Fans kritisieren in den sozialen Medien besonders den Coach. Montella betont: "Damit beschäftige ich mich nicht. Wir haben alles selbst in der Hand - und sind nicht vom anderen Ergebnis abhängig."

Und Can Kahveci, der einzige türkische Torschütze beim punktlosen Aus vor drei Jahren bei der EM fügt hinzu: "Die Stimmung in der Mannschaft ist sehr gut. Wir lassen uns von der Kritik nicht beeinflussen - einige Sachen sind auch einfach nur zum Lachen."

Türkeis Güler ist fit - Tschechiens Schick fällt (wohl) aus

Star Güler ist mittlerweile wieder fit, sagte Montella, wobei er den Journalisten gleich erklärte, dass nur er allein darüber entscheiden würde, ob der 19-Jährige von Real Madrid auch wirklich spielt.

Anders ist die Ausgangslage bei den Tschechen. Nationaltrainer Ivan Hasek würde seinen Star-Stürmer Patrik Schick liebend gern dabei haben - kann ihn aber womöglich nicht einsetzen: Nach der Wadenverletzung aus dem Georgien-Spiel steht ein dickes Fragezeichen hinter dem Leverkusener.

Identisch ist hingegen die Bedeutung der Partie für beide Seiten. Das dritte Gruppenspiel ist ein Endspiel. Den Türken reicht ein Remis zum Weiterkommen. Um nicht auf sehr große Schützenhilfe angewiesen zu sein, müssen die Tschechen schon gewinnen. Tschechiens Co-Trainer Jaroslav Köstl sprach vom "Spiel des Jahres" - und das gilt auch für Montella, den ein Vorrunden-Aus seinen Job kosten dürfte.