Achtelfinale gegen Österreich Türkei: Europameister der Stimmung und der Verwarnungen
Im Achtelfinalspiel gegen Österreich fehlen der Türkei in Kapitän Hakan Çalhanoğlu und Abwehrmann Samet Akaydin zwei gesperrte Stammspieler. Zehn weitere Profis gehen zudem Gelb-vorbelastet in die Partie, die von vielen zur Revanche für das bittere 1:6 im Testspiel vor dreieinhalb Monaten hochstilisiert wird.
Die Erinnerungen an das historische Debakel in Wien - es war die höchste Niederlage gegen Österreich überhaupt - sind in der türkischen Mannschaft noch sehr präsent: "Wir haben das nicht vergessen. Ehrlich gesagt, da ist eine Wunde in mir", erklärte Salih Özcan, der in der Bundesliga für Borussia Dortmund aufläuft.
Stürmer Kenan Yildiz von Juventus Turin sprach von einer "heftigen Niederlage", die dem Team vor dem erneuten Aufeinandertreffen am Dienstag (02.07.2024) um 21 Uhr in Leipzig (im Audiostream und Liveticker) zusätzliche Motivation gebe.
Türkei mit wenig Spielkontrolle und dünnem Nervenkostüm
Einen zusätzlichen Schub, den die stets mit viel Leidenschaft zu Werke gehenden Türken eigentlich gar nicht nötig haben - und der sich zuweilen auch kontraproduktiv auswirken kann. Bei den Siegen gegen Tschechien (2:1) und gegen Georgien (3:1) wurde deutlich, dass das Team von Trainer Vincenzo Montella Probleme damit hat, Ergebnisse in Ruhe und besonnen nach Hause zu spielen.
Immer wieder verloren eigentlich mit viel Erfahrung ausgestattete Profis wie Kapitän Hakan Çalhanoğlu den Faden und die Spielkontrolle. Gegen die Tschechen kassierte die Türkei trotz Überzahl den zwischenzeitlichen Ausgleich und erzielte das Siegtor durch Cenk Tosun erst in der Nachspielzeit, ebenso wie das erlösende 3:1 gegen Georgien durch Kerem Aktürkoğlu.
Wenige Fouls, aber viele Gelbe Karten
Die Partie gegen Tschechien dient als Blaupause für die Schwierigkeiten, die sich die Türken selbst bereiten. Schon das Remis hätte für Platz zwei gereicht, als dann sogar das Siegtor fiel, brachen alle Dämme: Anstatt sich über den Achtelfinal-Einzug zu freuen, ließen sich die türkischen Spieler vom frustrierten Gegner provozieren: Es kam zu Rudelbildungen, Schiedsrichter Istvan Kovac verteilte neben einer Roten noch zwei Gelbe Karten (unter anderem gegen den Türken Arda Güler).
Insgesamt 16 Mal Gelb, einmal Gelb-Rot und einmal Rot lautete die Bilanz der Partie - EM-Rekord. Allein elf der 16 Karten kassierten die Türken - auch das ein Rekordwert für eine Mannschaft innerhalb eines Spiels. Besonders hart oder unfair war die Spiel allerdings gar nicht, so begingen die Türken beispielsweise nur acht Fouls. Vielmehr wurde viel Unruhe von den Ersatzbänken reingetragen: So gab es fünf der 16 Karten für Spieler, die zum Zeitpunkt der Verwarnung gar nicht auf dem Feld standen.
Türkei droht EM-Negativrekord
Die Folge: Çalhanoğlu und Innenverteidiger Samet Akaydin fehlen im Achtelfinale gegen Österreich wegen einer Gelbsperre. Akaydin ist mit 65 Prozent gewonnenen Duellen bislang einer der zweikampfstärksten Spieler seiner Mannschaft. Bei seinen drei Einsätzen (stets von Beginn an) beging er nur drei Fouls, die hatten allerdings zweimal Gelb zur Folge.
Zehn weitere Türken gehen vorbelastet ins Achtelfinal-Duell: Torwart Mert Günok, sein Ersatzmann Uğurcan Çakır sowie die Feldspieler Kaan Ayhan, Zeki Çelik, Güler, Orkan Kökçü, Mert Müldür, Özcan, Yildiz und İsmail Yüksek. Sollte die Türkei drei weitere Gelbe Karten kassieren, wäre das ein weiterer Negativrekord bei einer EM. Den teilen sich bislang Italien (2016), Griechenland (2004) und Tschechien (1996) mit 18 Verwarnungen im Turnier - bei mehr absolvierten Spielen: Italien schied erst im Viertelfinale aus, Griechenland und Tschechien erreichten das Endspiel.
Türkische Fans sorgen für Heimspiel-Atmosphäre
Die Türkei muss also gegen Österreich besonnener als zuletzt agieren, kein leichtes Unterfangen. Zumal die Fans einen großen Beitrag zur leidenschaftlichen Spielweise der Türken leisten, die sich dadurch quasi als "Co-Gastgeber" fühlen dürfen. Die beiden Vorrundensiege wurden auf deutschen Straßen wild gefeiert, selbst nach dem 0:3 gegen Portugal gab es Hupkonzerte und Autokorsos.
Keine Frage: Die türkischen Anhänger sind Anwärter auf den Titel "Stimmungs-Europameister". Stürmer Tosun schickte nach dem Tschechien-Spiel in Hamburg einen Dankesgruß an den Anhang: "Sie sorgen wirklich dafür, dass sich jede Partie wie ein Heimspiel für uns anfühlt. Für sie werden wir weiter alles geben." Und dabei versuchen, kühlen Kopf zu bewahren.