Deutschland im EM-Viertelfinale Tempo und Wucht gegen riskante Spanier
Spanien macht "bislang des stabilsten Eindruck" bei der EURO 2024, sagt auch Joshua Kimmich. Aber Deutschlands Viertelfinalgegner bietet wegen seiner Sucht nach Überzahl auch Chancen, die mit Tempo und Wucht genutzt werden könnten.
Alfred "Adi" Preißler ist seit mehr als 20 Jahren tot. Seine berühmte Weisheit über den Fußball dürfte allerdings auch von den kommenden Generationen noch bemüht werden. "Grau is' alle Theorie, entscheidend is' auf'm Platz", sagte der gebürtige Duisburger mit entsprechendem Ruhrpottslang.
Mehrere Generationen an deutschen Nationalspielern haben sich nun daran versucht, ein Pflichtspiel gegen Spanien zu gewinnen. Darunter waren äußerst wichtige Spiele wie etwa das Finale der Europameisterschaft 2008, das Halbfinale der Weltmeisterschaft 2010 und auch das Gruppenspiel bei der WM 2022 in Katar, als die deutsche Mannschaft nach der Auftaktniederlage gegen Japan unter großen Erfolgsdruck geraten war.
Keines der Spiele wurden gewonnen. Der bislang letzte Sieg gegen Spanien in einem Pflichtspiel gelang 1988 im entscheidenden letzten Gruppenspiel bei der Heim-EM, das einem K.o.-Spiel gleichkam.
Dass nun ein Viertelfinale bei einem Kontinentalturnier im eigenen Land gegen Spanien ansteht, mögen manche als gutes Omen werten. Teil des Konzeptes dürfte die Statistik nicht sein.
Wie ist Spanien zu schlagen? Eine Frage für Generationen
Wie ist Spanien zu schlagen? Diese Frage stellten sich seit 1988 die Bundestrainer Hans-Hubert "Berti" Vogts, Joachim "Jogi" Löw und Hans-Dieter "Hansi" Flick. Gewiss fanden sie gute Antworten in der Theorie, aber auf'm Platz fehlte immer etwas, wenn auch häufig nur wenig.
Julian Nagelsmann und sein Trainerstab werden sich in den Tagen bis zum Anpfiff am Freitag (05.07.2024) um 18 Uhr in Stuttgart (ab 17.05 Uhr im Livestream bei der Sportschau und in der Radio-Reportage) reichlich Gedanken machen, wie Spanien zu schlagen ist.
Joshua Kimmich gab am Montag (01.07.2024) einen Teil seines Plans preis, von dem nicht bekannt ist, ob er mit dem Bundestrainer abgestimmt wurde. "Wir dürfen nicht vergessen, selber Fußball zu spielen. Das kann ihnen wehtun, weil sie es nicht gewohnt sind, gegen Gegner zu spielen, die auch den Ball haben möchten", sagte der Nationalspieler, der es gegen Spanien vermutlich mit dem 21 Jahre alten Nico Williams zu tun bekommen wird. Wahrscheinlich läuft Kimmich wieder als rechter Verteidiger auf, zumindest "glaube ich nicht, dass der Trainer mit einer Dreier- bzw. Fünferkette plant".
William ist ein sogenannter inverser Flügelstürmer. Er spielt auf der linken Seite, sein stärkerer Fuß ist der rechte. Bei seinem erst 16 Jahre alten Kollegen Lamine Yamal ist es andersherum. "Mitte zumachen", lautete Kimmichs knackiges Konzept gegen solche Spieler. Er wisse aber auch genau, dass sie an der Seitenlinie an einem vorbeilaufen könnten und es dann ein bisschen Zeit brauche, bis Hilfe von einem Innenverteidiger oder auch defensiven Mittelfeldspieler komme.
Flexibler - aber auch riskant
Spanien ist flexibler geworden, nicht mehr die bis nahe der Perfektion ausgereifte Passmaschine, die kein anderes Programm hat, wenn Pässe nicht weiterbringen.
Die spanische Nationalmannschaft unter Trainer Luis de la Fuente flankt auch mal, schießt häufiger aus der Distanz, chipt den Ball hinter die Abwehrkette des Gegners.
Kombinieren kann der Weltmeister von 2010 aber weiterhin glänzend, auch deshalb, weil die Mannschaft in Ballnähe Überzahlsituationen schafft, genau wie beim Gegenpressing, und das vehement. Das ist riskant, und darin besteht eine der Chancen für den Gegner, den Spaniern weh zu tun.
Ein ganzes Spielfeldviertel Raum
Das zeigte sich im Achtelfinale gegen Georgien, in dem der klare Außenseiter überraschend in Führung ging. Das Video zeigt, wie Spanien mit vielen Spielern auf die rechte Seite schiebt, um im Gegenpressing den Ball wieder schnell zu erobern. Georgien hat dadurch die rechte Seite frei, Otar Kakabadze sprintet durch und hat so Zeit, für eine scharfe Flanke Maß zu nehmen, mit der er Robin Le Normand zum Eigentor nötigt.
Sucht nach Überzahl
Spaniens Sucht nach Überzahl hat zur logischen Folge, dass es an einer vernünftigen Absicherung gegen Konter fehlt. Das zeigt sich in der folgenden Sequenz aus der 30. Minute, in der es nur an einem präzisen Querpass mangelt, sonst hätte die große Chance zum 2:0 bestanden.
Auch in der zweiten Halbzeit ergaben sich Möglichkeiten für Georgien, das riskante Verschieben zum Ball ermöglichte in der 48. Minute einen 2:1-Überzahlangriff im Zentrum. Khvicha Kvaratskhelia sieht allerdings noch vor der Mittellinie, dass Spaniens Torwart Unai Simón - wie häufiger - weit vor dem Strafraum steht. Da wird sich auch ein Blick für deutsche Spieler lohnen. Ein Nationalspieler sollte aus gut 50 Metern ein leeres Tor treffen - zumindest in der Theorie.