Belgien-Trainer Domenico Tedesco

Typisch deutsch zum EM-Titel? Tedesco lehrt Belgien das kleine Schwaben-Einmaleins

Stand: 17.06.2024 11:42 Uhr

Belgien startet wieder einmal als Geheimfavorit in eine EM und ist nach dem WM-Debakel 2022 und einem Umbruch eines der spannendsten Teams des Turniers. Entscheidend dafür: der deutsche Stil von Trainer Domenico Tedesco.

Von Mark Weidenfeller, Frankfurt

Auf der Pressekonferenz vor Belgiens EM-Auftaktpartie gegen die Slowakei ging es am Sonntagabend sehr international zu. Kapitän und Superstar Kevin De Bruyne beantwortete die auf Flämisch, Englisch oder Slowakisch gestellten Fragen abwechselnd auf Flämisch oder Englisch. Der in Italien geborene und im Landkreis Esslingen aufgewachsene belgische Nationaltrainer Domenico Tedesco wechselte bei seinen Ausführungen von Italienisch zu Englisch und zum Abschluss auch noch ins Deutsche.Angesprochen auf den Zustand der vermeintlichen "goldenen Generation" des belgischen Nationalteams konnte sich der 38-Jährige ein Grinsen nicht verkneifen. "Hach, da ist sie wieder", so Tedesco, "die typisch deutsche Frage."

De Bruyne, Lukaku und Co. weiter titellos

Nun lässt sich sicher abendfüllend darüber streiten, was genau nun typisch deutsch ist. Ist es der Reflex, bei Namen wie De Bruyne, Romelu Lukaku oder Axel Witsel direkt an die unerfüllten Titel-Träume der "goldenen Generation" zu denken? Ist es die in Tedescos Wahlheimat Stuttgart streng praktizierte Kehrwoche? Oder ist es schlicht die ebenso klassische wie klischeehafte Pünktlichkeit?

Vermutlich ist es von allem ein bisschen. Klar ist aber auch, dass auch das belgische Team gerade dabei ist, immer typischer deutsch zu werden.

Tedesco erneuert das belgische Team

Die "Roten Teufel", die in den vergangenen Jahren mit begeisterndem Offensiv-Fußball in zwei EM-Viertelfinale (2016 und 2021) und ein WM-Halbfinale (2018) gestürmt waren, befinden sich seit dem desaströsen Vorrunden-Aus bei der WM 2022 in Katar in einem Veränderungs- und Reifeprozess. 

Das Bemerkenswerte dabei: Tedesco, der das Nationaltrainer-Amt im Februar 2023 übernommen hat, senkte das Durchschnittsalter des Kaders und schaffte es gleichzeitig, die Seriosität zu steigern. In 14 Spielen unter seiner Regie kassierten die Belgier lediglich acht Gegentore, gleich neun Mal stand hinten die Null.

Die belgische Defensive steht

Tedesco, der in der Offensive auf aggressives Gegenpressing setzt und seine Spieler dazu anhält, stets den vertikalen und direkten Weg zum Tor zu suchen, hat dem Team bei allen Freiheiten im Spiel nach vorne gleichzeitig das kleine Einmaleins deutscher Gründlichkeit in der Defensive beigebracht.

Nachdem das belgische Nationalteam früher bei allem im Übermaß vorhandenen Talent hin und wieder die Grundtugenden vergaß, heißt es nun: erst die Arbeit, dann das Vergnügen. "Ich bin zwar in Italien geboren, ich bin aber definitiv eher ein deutscher Trainer", betonte Tedesco passend dazu. 

Tedesco erwartet Disziplin

Was das bedeutet, kann man bei den Belgiern inzwischen auch neben dem Platz beobachten. Besprechungen und Trainingseinheiten beginnen stets zur genau vereinbarten Zeit, Disziplin steht bei Tedesco, was aus dem Italienischen übersetzt übrigens "deutsch" heißt, über allem.

"Sein Vorgehen ist etwas strenger als bei Manchester City. Es ist ein deutscher Stil", fasste De Bruyne laut "Bild" in einer Medienrunde vor dem Turnier zusammen. "Wenn man etwas falsch macht oder zu spät kommt, wird es dir gesagt. Da kommt der Deutsche zum Vorschein", ergänzte Offensivpartner Lukaku. Es muss eben alles seine Ordnung haben.

Wie gut ist der schwäbisch-belgische Mix?

Wo genau dieser schwäbisch-belgische Mix bei der EM hinführen kann, wird sich in den kommenden Tagen zeigen müssen. Mit Belgien, das in der Weltrangliste auf Platz drei geführt wird, ist aber auch bei diesem Turnier zu rechnen.

Laut Anführer De Bruyne ist die junge Elf zwar noch nicht so stark wie das Ranking vermuten lässt ("Ich würde nicht sagen, dass unser Kader aktuell der drittbeste der Welt ist"). Da Belgien mit der Slowakei, Rumänien und der Ukraine aber drei absolut machbare Gruppengegner erwischt hat, muss nicht direkt alles perfekt funktionieren. Belgien hat die große Chance, sich selbst in einen Rausch zu spielen und dann durchzustarten.

Belgien setzt auf Spaß

Bliebe am Ende also nur noch die offene Antwort zur möglicherweise erneuten "goldenen Generation". Fakt ist: Die entweder zurückgetretenen, aussortierten oder zum FC-Bayern-Coach aufgestiegenen Altstars Eden Hazard, Dries Mertens, Toby Alderweireld, Vincent Kompany oder Thibaut Courtois wurden durch aufstrebende Youngster wie Jeremy Doku, Amadou Onana, Arthur Vermeeren, Zeno Debast oder Charles De Ketelaere ersetzt.

Der von Tedesco vorangetriebene Umbruch ist in vollem Gange und wird bei diesem Turnier erstmals auf der großen Bühne zu bestaunen sein. Ob die Generation erneut eine goldene ist?

Qualität, Spaß, EM-Titel?

"Die Qualität in unserem Land ist hoch, wir haben viele junge Leute, viele frische Leute, viele spannende Spieler. Es macht auf jeden Fall Spaß", formulierte Tedesco seine eher zurückhaltende Einschätzung der belgischen Ausgangslage. Markige Worte? Fehlanzeige. Auch das wohl: typisch deutsch.