Das DFB-Team in der Einzelkritik Rüdiger unglücklich, bitteres Ende für Kroos
Die deutsche Nationalmannschaft verliert gegen Spanien und scheidet aus der Heim-EM aus. Vieles läuft lange gut, aber nicht in den entscheidenden Momenten. Die Einzelkritik.
Manuel Neuer
An Deutschlands Nummer eins ist das EM-Aus gegen Spanien wohl am wenigsten festzumachen. War bei beiden Gegentoren ohne jede Abwehrchance. Stattdessen agierte Neuer einmal mehr von Beginn an hellwach, wehrte nach gerade einmal 53 Sekunden Pedris erste Schusschance ab. Minimale Unsicherheit bei der Chance von Laporte, die er in der 14. Minute erst im Nachfassen entschärfen konnte.
Joshua Kimmich
Gab die clevere Vorlage zum 1:1 durch Wirtz. Auch sonst schwer als Vorbereiter unterwegs, bereitete fünf weitere Torchancen vor - Bestwert aller Spieler auf dem Platz. Musste nach zwölf Minuten in einem Zweikampf mit Nico Williams ordentlich einstecken. War auf der rechten Außenbahn insgesamt mehr gefordert als David Raum und später Maximilian Mittelstädt auf dem linken Flügel.
Antonio Rüdiger
Mit Anpfiff sofort gefordert und einer der Sonderbewacher von Álavaro Morata, auch wenn er in der ersten Halbzeit lediglich 30 Prozent seiner Zweikämpfe gewann. Umso auffälliger seine Passquote: 93 Prozent nach 45 und 91 Prozent nach 120 Minuten. Viele richtig gute Abwehraktionen in der Verlängerung. Skurril, dass den starken Rüdiger beim 1:2 eine Mitschuld trifft - denn ausgerechnet in seinem Rücken hatte sich Mikel Merino davongeschlichen und in die Luft geschraubt.
Jonathan Tah (bis 80. Minute)
Wirkte zumindest in der ersten Halbzeit phasenweise stabiler als Rüdiger, zumal er ganze 80 Prozent seiner Zweikämpfe gewann – so viele wie kein anderer Spieler seines Teams. Kam genau wie sein Partner in der Innenverteidigung auf eine bockstarke Passquote von 91 Prozent. Nach 80 Minuten vom Platz genommen, um für Thomas Müller Platz zu machen – und damit für mehr Power nach vorne zu sorgen.
David Raum (bis 57.)
Machte in der Anfangsphase gute Laufwege, als er die spanische Defensive ein ums andere Mal mit viel Druck hinterlaufen konnte. Wichtige Rettungstat in der 35. Minute, als er gegen Lamine Yamal klärte. Allerdings: Beim 0:1 (51.) ließ er genau diesem Yamal zu viel Platz, griff ihn überhaupt nicht an - für den 16-Jährigen eine riesige Einladung, den Treffer von Dani Olmo ohne weitere Probleme vorzubereiten.
Emre Can (bis 46.)
Erhielt im defensiven Mittelfeld den Vorzug gegenüber Robert Andrich und stand damit unter Bundestrainer Julian Nagelsmann zum ersten Mal überhaupt in der Startelf. Belohnte dieses Vertrauen mit einer überwiegend soliden Leistung. Guter Block gegen Morata bei dessen Schussversuch (16.). Nach nur einer Halbzeit aber tauschte Nagelsmann sein Personal auf dieser Position wieder zurück und brachte Andrich.
Toni Kroos
Schwieriger Verlauf und bitteres Ende - das letzte Spiel dieser großartigen Karriere fand, mal abgesehen von der Kulisse in der Stuttgarter Arena, nicht den richtigen Rahmen. In der hitzigen Anfangsphase sorgte ein Foul von Kroos dafür, dass Spaniens Pedri früh verletzt raus musste (8.). Auch danach durchlebte Kroos eines seiner körperlich wohl intensivsten Länderspiele, das 114. insgesamt und das 19. bei einer EM. 98 Ballbesitzphasen waren die meisten aller Profis auf dem Feld. In der Verlängerung biss Kroos auf die Zähne - bis zum Last-Minute-Schock.
Ilkay Gündogan (bis 57.)
Deutschlands Kapitän war gegen Spanien nicht der Faktor, der er in den vorangegangenen Turnierspielen war. Er bewegte sich zwar viel, verlieh der Offensive diesmal aber kaum Kreativität. Ging nach knapp einer Stunde für Füllkrug vom Platz - ein Wechsel, der dem DFB-Team in dieser Phase guttat.
Leroy Sané (bis 46.)
Ein Offensivspieler, der an diesem Abend vor allem defensiv gebunden und gefordert war. Da, wo es ihm möglich war, blockte er Laporte weg (14.) oder versperrte Nico Williams den Weg (39.). Sané war fleißig, in der ersten Halbzeit aber nur 14 Mal am Ball und zudem einer der zweikampfschwächsten Spieler - eine Auswechslung zur Pause daher für Nagelsmann offenbar nur folgerichtig.
Jamal Musiala
Ausgerechnet in seiner Geburtsstadt Stuttgart war für Musiala und die deutsche Mannschaft Schluss. Dribbelte sich früh an der spanischen Hintermannschaft fest, arbeitete mit zunehmender Spieldauer aber auch konsequent nach hinten mit. Gab in der Verlängerung den Schuss ab, der von Cucurellas abgespreizter Hand abprallte (107.). Einen Elfmeterpfiff gab es allerdings nicht.
Kai Havertz (bis 91.)
Dieses Spiel war nicht unbedingt ein Havertz-Spiel. Zwar hatte der Angreifer einige gute Möglichkeiten, doch in den meisten Situationen agierte er absolut glücklos. Allen voran in der 82. Minute, als er in der Schlussphase einen Lupfer über das spanische Tor setzte. Hatte zudem in Zweikämpfen Probleme mit der Körperlichkeit von Robin Le Normand.
Robert Andrich (ab 46.)
Kam zur zweiten Halbzeit für Can - und erlebte dann eine wahre Achterbahnfahrt. Ähnlich wie Raum unterlief auch ihm vor dem 0:1 ein Fehler im Stellungsspiel, zudem ließ Andrich im Rückwärtsgang etwas Tempo vermissen. Danach stabiler und in der 70. Minute mit einer dicken Chance auf den Ausgleich.
Florian Wirtz (ab 46.)
Eine der besten Einwechslungen bei diesem Turnier, mit seiner Hereinnahme kamen Schwung und Power in die deutsche Offensive. Sein Treffer zum 1:1 (89.) ließ Deutschland vom Halbfinale träumen und war darüber hinaus das vierte Jokertor der Nationalelf bei dieser EM. Hatte später noch eine weitere Chance und ackerte zudem für seine Mitspieler.
Niclas Füllkrug (ab 57.)
Ähnlich wie Wirtz ein absolut belebendes Element für die deutsche Mannschaft. Am und im Sechzehner des Gegners entweder Ballverteiler mit Auge für die Mitspieler – oder aber eben selbst einer, der so oft wie möglich den Abschluss suchte. Bereits 20 Minuten nach seiner Hereinnahme kam Füllkrug auf drei Chancen. Die dickste davon: der Pfostentreffer in der 77. Minute. Außerdem zwei weitere Kopfballmöglichkeiten in der Verlängerung. Was wäre möglich gewesen, hätte Füllkrug länger gespielt?
Maximilian Mittelstädt (ab 57.)
Der Stuttgarter fügte sich nach seiner Einwechslung ins druckvolle Spiel der deutschen Mannschaft über den linken Flügel ein. Brachte genau die Wucht und die Impulse, die es nach dem Rückstand von dort brauchte. 92 Prozent angekommene Pässe sind ein sehr guter Wert.
Thomas Müller (ab 80.)
Jagte schon Sekunden nach seiner Einwechslung dem Ball hinterher, womit er aber fast einen Ballverlust und um ein Haar auch eine spanische Chance provozierte. Keine schlechte Hereinnahme von Nagelsmann, denn so richtig hatten sich die Spanier offensichtlich nicht auf Müller eingestellt. Der Routinier konnte Wirtz in der Verlängerung zumindest einmal in Szene setzen. Auf der anderen Seite Tempodefizite wie in einem Duell mit Cucurella zu sehen war.
Waldemar Anton (ab 91.)
Pfiffe beim Verlesen der Aufstellung, Pfiffe beim Aufwärmen während des Spiels, Pfiffe bei der Einwechslung - Teile des Stuttgarter Publikums meinten es überhaupt nicht gut mit dem Profi, der den VfB verlassen wird. Wenigstens während seiner Zeit auf dem Platz wurde Anton dann nicht mehr akustisch kritisiert, wodurch er halbwegs befreit einige gute Defensivaktionen zeigen konnte.