Luka Modric und Kroatien haben nur noch eine Minimalchance auf das EM-Achtelfinale
analyse

Kroatien vor dem EM-Aus Grausames Ende für Luka Modric und Kroatien

Stand: 25.06.2024 15:24 Uhr

Zu alt, zu pomadig, zu harmlos: Die kroatische Nationalmannschaft musste in den vergangenen Tagen bei der EM in Deutschland viel Kritik einstecken. Gegen Italien zeigte die "goldene Generation" um Luka Modric ein starkes Comeback und weinte dennoch.

Von Sanny Stephan, Leipzig

Als Luka Modric am Montagabend (24.06.2024) gegen Mitternacht zur Pressekonferenz kommt, wird er von Dutzenden Journalisten mit Applaus empfangen. Er ist zu traurig, um zu lächeln und hätte gern auf diesen Auftritt verzichtet. Modric muss reden, weil die UEFA ihn als "Spieler des Spiels" auserwählt hat. Neben der Ehrung darf - im Modric-Fall muss - der Spieler vor die wartende Presse.

Ruhig setzt sich der fast 39-Jährige auf den Stuhl auf dem Podium. Unzählige Male hat er in seiner langen Karriere vor fragenden Reportern gesessen. So schwer wie an diesem Abend in den Katakomben des Leipziger EM-Stadions ist es dem Mittelfeld-Star selten gefallen. Eine, vielleicht auch zwei Sekunden fehlten für Modrics Traum - dem Einzug ins Achtelfinale.

Kroatien braucht ein Wunder

Italiens Mattia Zaccagni schoss den Routinier und Kroatien in der 98. Minute ins Tal der Tränen. Der eingewechselte Stürmer schlenzte den Ball zum 1:1 in den Winkel und mitten ins kroatische Herz. Das Remis reichte der "Squadra Azzurra" für den zweiten Platz. Kroatien fiel auf den dritten Rang in der Gruppe B, die Spanien souverän gewann, und braucht ein Wunder, um weiter im EM-Turnier mitzumischen.

Mit zwei Punkten stehen die Chancen, als einer der vier besten Gruppendritten den Sprung in die K.o.-Runde zu schaffen, äußerst schlecht - nur eine hohe Niederlage Sloweniens könnte Kroatien helfen. Das weiß auch Realist Modric, der offensichtlich nicht an Wunder glaubt. "Fußball kann so grausam sein. Wenn man auf diese Art verliert, ist es schwer, die richtigen Worte zu finden. Wir müssen uns aufrappeln und auf die Beine kommen. Es ist unfair, dass wir so ausscheiden", sagt der schmächtige Mann mit den Zauberfüßen und den müden Augen.

Journalist zu Modric - "Ich bitte Sie, nie mit dem Fußball aufzuhören"

Sportschau UEFA EURO 2024, 25.06.2024 09:14 Uhr

Journalist zaubert ein Lächeln in Modrics Gesicht

Dass er an jenem Abend Geschichte geschrieben hat, war ihm schlichtweg egal. "Ich konnte dem Team mit meinem Tor leider nicht helfen", antwortet er kurz auf die Glückwünsche zum ältesten Torschützen der EM-Geschichte. Ein italienischer Kommentator fühlte derart mit dem niedergeschlagenen Weltklasse-Kicker mit, dass er keine Frage stellte, sondern einfach zur Lobeshymne ansetzte. Er wünsche sich, dass Modric nie aufhören werde, sagte er und plötzlich huschte dem Superstar ein Lächeln über das Gesicht. "Ich würde es mir auch wünschen, ewig auf dem Platz zu stehen", schmunzelte der 38-Jährige, der sein neuntes großes Turnier spielt, und fast entschuldigend sagte: "Aber irgendwann muss ich doch aufhören."

Kroatien gegen Italien - die kurze Zusammenfassung

Sportschau UEFA EURO 2024

Erst Fehlschuss, dann Torjubel

Wann der richtige Zeitpunkt gekommen sei, wollte er noch nicht sagen. "Ein Weilchen", so Modric, "werde ich schon noch spielen". Eine Nationalmannschaft Kroatiens ohne Modric kann man sich kaum noch vorstellen. Vor über 18 Jahren debütierte er, 2008 erzielte er sein erstes EM-Tor, war seitdem Denker und Lenker im Mittelfeld. Dass der Zahn der Zeit auch an dem Mann nagt, der das Spiel wie aus der Vogelperspektive lesen kann, ist nicht zu übersehen.

Was aber im "Endspiel“ gegen Italien auch deutlich wird: Modric ist immer noch der Kopf des Teams und einer, der Verantwortung übernimmt. In der zweiten Halbzeit wird es dabei zunächst märchenhaft und fast zu kitschig, um wahr zu sein. In der 54. Minute scheitert Kroatiens Nummer 10 per Elfmeter an Torhüter Gianluigi Donnarumma, der seine langen Pranken ausstreckt und die Ecke riecht. Keine 60 Sekunden nach diesem Fehlschuss steht Modric goldrichtig und staubt zur Führung ab.

Kroatiens Luka Modric jubelt nach seinem Treffer zum 1:0 gegen Italien

Kroatiens Luka Modric jubelt nach seinem Treffer zum 1:0 gegen Italien

Der Jubel zeigt, wie viel Energie sich in diesem Moment entlädt. Auch bei den Fans. Bierbecher - wahlweise leer oder voll - fliegen aus allen Richtungen, landen auf der Medientribüne, viele auch auf dem Spielfeld.

Modric erlebt das Drama auf der Bank

Die fußballverrückte Nation hat die Zuschauer in Leipzig hinter sich. Gut zwei Drittel drücken Kroatien die Daumen, fiebern mit und verabschieden den vermeintlichen Matchwinner in der 81. Minute. "Er war gar nicht so müde. Es war meine Entscheidung. Ich wollte frische Kräfte bringen, weil Luka alles auf dem Rasen gelassen hatte“, erklärte Kroatiens Trainer Zlatko Dalic später die Auswechslung.

Auf der Bank erlebt der Ausnahme-Fußballer das Drama. Als der Schuss von Zaccagni in den Winkel einschlägt, sinkt Modric auf der Bank zusammen. Er braucht einige Augenblicke, dann rafft er sich auf und tröstet Josip Stanisic, der seit dem Abpfiff weinend am Mittelkreis liegt. Der Verteidiger hatte den Torschützen im entscheidenden Moment aus den Augen verloren und konnte den Schuss nicht mehr verhindern. Es gibt an diesem Abend keine Vorwürfe, sondern Trost für die zuletzt so kritisierte kroatische Mannschaft. "Ein trauriger Tag", sagt Modric zum Abschluss. Dann steht er auf und geht.

Sollte Kroatien nicht über die "Lucky Loser" ins Achtelfinale einziehen, war dies vermutlich sein letztes Spiel bei einer Europameisterschaft. Der kroatische Rekordspieler hatte ein anderes Ende verdient.