EM-Achtelfinale gegen die Türkei David Alaba - Österreichs "Non-Playing-Captain" für alle Fälle
Als David Alabas Ausfall feststand, sahen viele Österreichs Chancen bei der EM schwinden. Das Team bewies jedoch in der Vorrunde das glatte Gegenteil - auch weil der verletzte Star in neuer Rolle überzeugt.
David Alaba hatte entschieden. "Mein Playing, äh, 'Non-Playing-Captain'", setzte Österreichs Trainer Ralf Rangnick an und verhedderte sich dabei kurz in diesem Wort-Ungetüm, "hat der Mannschaft schon gesagt: 'Morgen ist kein Training'". Rangnick widersprach ihm nicht. Er scherzte lieber: "Okay, dann muss ich mir darüber keinen großen Kopf mehr machen. Dann trainieren wir halt erst wieder übermorgen."
Es war einer dieser kleinen lustigen EM-Momente. Er spielte sich vor ein paar Tagen auf der Pressekonferenz nach Österreichs spektakulärem 3:2-Sieg gegen die Niederlande ab. Das ÖFB-Team war beseelt vom ersten Platz in der so schweren Gruppe D. Später sollte im Bus die Party abgehen und - mal abgesehen von einer lockeren Einheit für die Ersatzspieler - gab es sogar zwei Tage Pause.
Am Freitag begann dann die Vorbereitung auf das Achtelfinale gegen die Türkei (02.07.2024, 21 Uhr, Radioreportage und Liveticker).
Alaba über Reha: "Sehr intensiv, teilweise auch sehr hart"
Dieser kleine lustige Moment zeigte derweil noch etwas, das rund um den österreichischen EM-Tross immer wieder spürbar ist: David Alaba fehlt zwar auf dem Platz und ist doch einer der Anführer. Das gilt nicht nur, wenn es um die Feier- und Freizeitplanung geht.
Im Gegenteil: Partykapitän wäre eine unpassende Übersetzung für das Wort-Ungetüm "Non-Playing-Captain". Denn Alaba ackert. "Heute musste ich schon um sieben oder acht Uhr im Gym sein", berichtete der 32-Jährige jüngst bei einer Medienrunde. Er grinste und sagte: "Das ist für mich wirklich sehr früh, das war ich so nicht gewohnt."
Doch um 10.30 Uhr stand schon der nächste Termin auf dem Plan: die Teambesprechung der Österreicher. Es sind die Welten, zwischen denen Alaba aktuell pendelt.
Er muss für sich selbst da sein. Auch während der EM treibt er - detailliert abgestimmt mit seinem Verein Real Madrid - die Reha nach seinem Kreuzbandriss voran. Einen eigenen Fitnesstrainer und Physio hat er dafür im Berliner Basecamp des ÖFB-Teams dabei, zwei Einheiten stehen pro Tag auf dem Programm. "Das ist sehr intensiv, teilweise auch sehr hart", sagte er.
Rangnick: "Extrem wertvoll für die Mannschaft"
Trotzdem will er gleichzeitig seine österreichischen Mannschaftskollegen supporten. Das war schon früh klar. "Es war sein ausdrücklicher Wunsch", erzählte Rangnick bei der Kadernominierung Ende Mai. Real Madrid stimmte zu, das war nicht selbstverständlich.
Auch Rangnick selbst gefiel die Idee, das war weniger überraschend. "Extrem wertvoll", könne Alaba auch in seiner neuen Rolle sein, sagte er damals, "aufgrund seiner Erfahrung, seines Charismas und seines Einflusses, den er auf die Mannschaft hat."
Der seit Samstag 66-jährige Trainer lag richtig mit dieser Einschätzung. Wie mit so vielen vor und während dieses Turniers. Wer immer von Alabas Kollegen in diesen Wochen über Alaba sprach - und gefragt wurden viele -, schwärmte. Über einen "Non-Playing-Captain", der dem Team in der neuen Rolle viel mitgibt und doch einer von ihnen geblieben ist.
Ein Beispiel? Er verkehrt nun im Trainerbüro, ist bei Videoanalysen dabei und wird nach seinen Vorstellungen gefragt. Am Esstisch sitzt er aber weiterhin bei seinen Mitspielern.
Der verletzte Abwehrboss trifft den richtigen Ton
Und bei ihnen trifft Alaba den richtigen Ton. "Er redet und pusht viel, hilft mit seiner Aura", sagte Stürmer Michael Gregoritsch. Das war zwei Tage vor dem ersten EM-Auftritt. Neben ihm saß Christoph Baumgartner auf dem Podium im Berliner Medienzentrum des ÖFB, der kurz darauf zu einem besonders auffälligen Spieler in einem auffällig starken Team werden sollte.
Der Offensivmann von RB Leipzig ergänzte: "Er teilt uns seine Gedanken mit, das ist sehr, sehr viel wert. Er hat viel erlebt und gesehen. Er erkennt Spielsituationen gut."
Qualitäten, die Alaba eigentlich nicht nur als Berater wichtig machen, sondern auch auf dem Platz. Unverzichtbar sogar, so erschien es vielen. Und das nicht nur wegen seiner 105 Länderspiele. Nur Marko Arnautović hat mehr.
Nie war ein österreichischer Fußballer international erfolgreicher. "So einen Spieler kannst du nicht einfach eins zu eins ersetzen. Da fehlt dir einer, der hinten alles organisiert", sagte deshalb auch Sportschau-Experte Bastian Schweinsteiger, der beim FC Bayern München noch mit Alaba spielte, vor Turnierstart.
Österreich überrascht mit Kaderbreite
Doch Österreich kompensierte den Ausfall des Abwehrbosses im Kollektiv. Drei verschiedene Innenverteidiger-Duos brachte Rangnick in drei Vorrundenspielen. Er reagierte damit auf Verletzungen und drohende Sperren, unzufrieden war er nie. Denn alle machten ihren Job mindestens ordentlich. Damit stehen sie sinnbildlich für ein österreichisches Team, das mit seinen personellen Optionen sich selbst und alle anderen überraschte.
Rangnick kann rotieren. Das ist spätestens bekannt, seit er die Niederländer mit seiner Aufstellung düpierte. Da verzichtete der 66-Jährige nämlich zunächst auf seine Topspieler Konrad Laimer und Baumgartner, denen Gelbsperren drohten. Stattdessen gaben der Wolfsburger Patrick Wimmer und Romano Schmid von Werder Bremen ihre Startelf-Debüts auf der EM-Bühne - und entnervten die "Elftal" schon in den ersten Minuten vollends.
"Das Spiel hat die Erkenntnis gebracht, dass die Breite des Kaders doch noch ein bisschen größer ist, als alle gedacht haben, inklusive mir selbst", sagte Rangnick.
Gilt das auch für Alaba? Der klingt eher so, als könne ihn gar nichts überraschen. "Es passt zurzeit wirklich alles extrem. Wir haben Einzelspieler, die Spiele entscheiden können, aber auch eine Einheit als Team, die sehr speziell ist. Wir mussten einen Prozess durchlaufen, um so zu spielen, wie wir es heute tun", sagte er.
Einen Prozess, den er ganz entscheidend geprägt hat. Seine Krönung könnte er als "Non-Playing-Captain" erleben. Dass das Team dann auch auf seine Qualitäten als Partykapitän bauen kann, hat er nun schon bewiesen.