Sig Zelt zum Ende von ProFans "Faninteressen durchsetzen? Es ist hoffnungslos"
Die Fanorganisation ProFans hat sich nach mehr als 20 Jahren aufgelöst. Ihr bisheriger Sprecher Sig Zelt spricht im Interview über die Entscheidung, den Frust der Fans, wie die Fangruppen künftig agieren werden sowie die Rolle von Deutschem Fußball-Bund (DFB) und Deutscher Fußball Liga (DFL).
Sportschau: Herr Zelt, warum kommt jetzt das Ende der Organisation von ProFans?
Sig Zelt: Die Gruppen, die wir vertreten haben, sind tief demotiviert. Es gibt eine krasse Hoffnungslosigkeit beim Gedanken daran, ob es durch Gespräche mit dem DFB und der DFL kurz- und mittelfristig möglich ist, Faninteressen Geltung zu verschaffen. Deswegen war es aus Sicht der Gruppen richtig, jetzt einen Schlussstrich zu ziehen.
Woran liegt das?
Zelt: Dem DFB und der DFL ist es in den Gesprächen immer wieder gelungen, über Themen nicht zu sprechen. Tagesordnungen wurden mit allen möglichen Themen gefüllt, aber nicht mit den Kernthemen. Das hat uns sehr enttäuscht und hoffnungslos gemacht. Es gab bei uns eine große Einigkeit, nicht mehr in diese Gespräche zu gehen. Immer wieder wurden neue Formate für die Gespräche aufgelegt. Aber es liegt nicht an den Formaten, es liegt am fehlenden politischen Willen, etwas zu ändern.
2001 gründete sich das Bündnis Pro 15:30, um gegen die Spieltagszerstückelung in der Bundesliga zu protestieren. Da sich die Organisation schnell für Fanthemen im Allgemeinen einsetzte, erfolgte wenig später die Umbenennung in ProFans. Das Bündnis vereinte zuletzt mehr als 40 aktive Fangruppen sowie Ultragruppen und nahm immer wieder mit sehr deutlichen Worten Stellung zu Themen, die Fans betrafen: Dabei ging es beispielsweise um Spieltermine, Stehplätze, Fankultur, Polizeieinsätze, Stadionverbote, die Datei "Gewalttäter Sport" oder Kollektivstrafen. Für Proteste organisierte das Bündnis fanszeneübergreifende Aktionen.
Welche Kernthemen wurden ausgelassen?
Zelt: Die Kommerzialisierung im Fußball ist uns viel zu weit gegangen, das ist nie verstanden worden. Es heißt immer, dass der deutsche Fußball an Bedeutung verliere, wenn er diesen Weg nicht mitgehe. Aber in Wirklichkeit verliert er durch die Kommerzialisierung für uns an Bedeutung. In der Pandemie hieß es, dass man nun demütig sein und sich nachhaltiger aufstellen wolle. Doch kaum ist die große Krise vorbei, wird weitergemacht wie zuvor.
Der bisherige Pressesprecher von ProFans: Sig Zelt
Und das andere große Thema waren Fanrechte: Kollektivstrafen sind ein Mittel, das in unserem Wertesystem seit Jahrzehnten gebannt ist. Nur im Fußball ist es opportun, genau wie Stadionverbote auf Verdacht. Das hat eine verheerende Wirkung, denn die Botschaft lautet: Es spielt gar keine Rolle, wie wir uns benehmen. Dadurch werden besonnene Fans geschwächt. Das gilt auch für überzogene Polizeieinsätze. Dafür trägt der DFB keine Verantwortung, könnte aber zumindest Einfluss nehmen.
Man muss sagen: Da haben wir nichts erreicht. Wir haben nicht drüber sprechen können oder gegen eine Wand geredet. Es fehlt der Wille, etwas zu verändern.
Das DFB-Sportgericht spricht seit längerer Zeit so gut wie keine Kollektivstrafen mehr aus.
Zelt: Der DFB hat sich aber auch nicht dagegen bekannt. Als die Kollektivstrafen unter Präsident Reinhard Grindel ausgesetzt wurden, dauerte es kaum länger als ein halbes Jahr, bis die Bewährungsstrafe gegen Dortmund in Hoffenheim aktiviert wurde. Es ist eine Frage des Prinzips.
Wäre es nicht trotzdem besser, weiter den Dialog zu suchen? Die AG Fankulturen der DFL hat ProFans schon vor Jahren verlassen.
Zelt: Unsere Gruppen haben keinen Ansatz mehr gesehen. Es wurde immer wieder versucht, ob wir nicht wieder einsteigen wollen, beispielsweise eben durch die DFL mit der AG Fankulturen. Aber solange sich grundsätzlich nichts ändert, bringt es nichts. Die Gespräche haben wir als Alibiveranstaltungen wahrgenommen, damit die Verbände sagen können, sie stünden im Dialog mit den Fans. Den Willen, auf unsere Probleme wirklich einzugehen, gab es nicht ansatzweise.
Fans von Dynamo Dresden mit einem Plakat gegen den DFB
Wie sollte eine bessere Fanarbeit der Verbände aus ihrer Sicht aussehen?
Zelt: Die Förderung der Fanprojekte ist ein wichtiger Weg, um besonnene Kräfte in den Fanszenen zu stärken. Aber dieser Weg funktioniert nicht kurzfristig. Und auch da ist kaum Wille zu erkennen gewesen. Als im Herbst die Förderung für die Koordinationsstelle Fanprojekte um 200.000 Euro erhöht werden sollte, waren DFB und DFL jeweils nicht zur Zahlung ihres Anteils von 50.000 Euro bereit. Für beide ist das ein Trinkgeld.
Seit dem Ende der Geisterspiele wird in den Stadien viel mehr Pyrotechnik als bisher abgebrannt. Woran liegt das?
Zelt: Es wirkt für mich wie ein Nachholbedarf, viele Fans lassen jetzt alles raus, mit dem, was ihnen möglich erscheint. Wir wenden uns nicht öffentlich gegen Pyrotechnik, denn das wäre nicht aufrichtig. Aber es galt unter den Gruppen lange Zeit der Grundsatz: Es darf nichts gemacht werden, was die Hand verlässt. Es wird nichts geworfen. Denn das ist wirklich gefährlich. Sowas sollte verhindert werden, da bin ich völlig konform. Mich beunruhigt, dass dieses Prinzip derzeit aufgeweicht und manchmal gebrochen wird.
Aber alle restriktiven Maßnahmen, Kontrollen und Strafen haben das nicht verhindert. Wir waren in Gesprächen mit dem DFB dazu und uns war klar, dass der DFB nichts tragen kann, was gegen Gesetze verstößt. Diese Gespräche wurden beendet (2011 durch DFB und DFL, d. Red.), wir haben davon aus den Medien erfahren. Das war besonders schade, denn es wäre wichtig gewesen, Wege zu finden. Wir haben viele Vorschläge gemacht. Zum Beispiel legale Bereiche in den Stadien zu schaffen, nur zertifizierte Erzeugnisse zu verwenden oder geschulte Personen einzusetzen. Es wurde sogar in den Raum gestellt, Namen zu hinterlegen, womit Fans und Ultras sonst große Probleme haben. Das waren sehr weitgehende Kompromissangebote. Aber der DFB war nicht wieder bereit, darüber zu sprechen, es ist ein Tabuthema geworden. Da nichts erreicht zu haben, hat auch unsere Hoffnungslosigkeit bestärkt.
Vor dem Derby gegen Leverkusen 2022 zünden Kölner Fans Feuerwerkskörper.
Sehen sie eine generelle Entfremdung der Fans vom Profifußball?
Zelt: Ja. Und die WM in Katar, für die Menschen für unser Vergnügen sterben mussten, hat weiter dazu beigetragen. Man hat keine Lust, man kann keine Freude daran empfinden. Viele haben kein Spiel der WM gesehen. Im nationalen Maßstab ist die Kommerzialisierung der Grund. Man freut sich vielleicht, wenn Union Berlin mal gegen Leipzig gewinnt. Aber auf lange Sicht schießt Kohle eben doch Tore, viele Klubs haben ganz andere Voraussetzungen. Wenige Menschen haben darüber entschieden, dass Leipzig den Platz in der Champions League wollte und bekommen hat. Das ist kein Sport, das ist nicht spannend.
Was hat ProFans in den mehr als 20 Jahren erreicht?
Zelt: Wir haben uns als Pro 15:30 gegründet, um gegen die Zerstückelung von Spieltagen zu protestieren. Man muss sagen, dass wir bei den Spielterminen herzlich wenig erreicht haben. Ein kleiner Teilerfolg ist die Abschaffung der Montagsspiele, die extrem nervig für Auswärtsfans sind. Aber das können wir uns kaum als Organisation auf die Fahne heften, das war klar der Druck aus den Stadien. Dafür hätte es ProFans nicht bedurft.
Wir sind immer wieder auf die harte Realität gestoßen, dass die Verbände nichts ändern wollten. Das ist das traurige Fazit. Auf der anderen Seite gibt es uns immer noch. Die Fanszenen haben sich nicht verdrängen lassen, sie sind da, sie sind laut. Die Debatte werden sie in den Stadien austragen.