Termin in München Sicherheit im Stadion - viele Forderungen und viel Kritik vor Gipfeltreffen
Die Vertreter von DFB und DFL und Politik treffen sich heute, um über Sicherheit in deutschen Fußballstadien zu sprechen. Fanvertreter kritisieren, dass Fans an dem Treffen nicht teilnehmen.
Die Innenminister der Länder treffen Vertreter von DFB und DFL am Freitag am Münchner Flughafen zu einer Gesprächsrunde. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann als Vorsitzender der Sportministerkonferenz hat dazu seine Ressortkollegen aus den anderen Bundesländern eingeladen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) war ebenfalls eingeplant, sagte ihre Teilnahme wegen Beratungen im Bundestag aber kurzfristig ab.
Ab 14 Uhr sollen dann mehrere Innenminister der Länder mit DFB-Präsident Bernd Neuendorf und DFL-Aufsichtsratschef Hans-Joachim Watzke in einer Pressekonferenz über die Inhalte der Gespräche informieren. Von der Politik wurden vorab Forderungen formuliert.
Mehrere Länder formulieren klare Forderungen an DFB und DFL
Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) sagte dem MDR, dass in der Bevölkerung zunehmend kein Verständnis mehr dafür bestehe, in welchem Umfang die Polizei für Fußballspiele eingesetzt wird. "Diese Problematik besteht jetzt ungelöst seit Jahren und deshalb erwarte ich von dem Gespräch mit der DFL und dem DFB morgen endlich einen gemeinschaftlichen Durchbruch und Konsens." In einem Positionspapier, das der MDR-Sportsendung "Sport im Osten" vorliegt, fordern die Innenministerinnen und Innenminister von Sachsen, Niedersachsen, Bayern und Hamburg mehrere Maßnahmen, darunter:
- Konsequente und zeitnahe Umsetzung der Stadionverbote und Schaffung einer zentralen Stelle, die Stadionverbote bearbeitet und konsequent verhängt. Bislang werden Stadionverbote meist von den entsprechenden Klubs der Fans verhängt.
- Personalisierte Tickets, um täterorientierte Maßnahmen zu erleichtern.
- Kartenkontingente bei Risikospielen oder gar Zuschauerausschlüsse sollen bei Risikospielen einfacher und einheitlicher umgesetzt werden.
- Gewährleistung eines ausreichenden und qualifizierten Sicherheits- und Ordnungsdienstes.
- Konsequente Maßnahmen bei Verstößen gegen das Verbot von Pyrotechnik.
Eine Antwort von DFB und die DFL habe dem Dokument zufolge aus Sicht der Länder "keinen erheblichen Mehrwert" und könne nicht "als großer Wurf" bezeichnet werden.
Der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) schlug im Portal "Deichstube" Punktabzüge für Vereine vor, deren Fans im Stadion Pyrotechnik einsetzen. Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) drängte auf einen Ausschluss von Gästefans beim Zweitliga-Derby zwischen Eintracht Braunschweig und Hannover 96, es kam zu einem Teilausschluss.
Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte sich in einem Interview mit "Sport Bild" für die Rückkehr zum kollektiven Ausschluss von Fans ausgesprochen, den das DFB-Sportgericht nur noch als letztes Mittel vorsieht und in der Praxis seit 2017 nicht mehr verhängt hat. Herrmann nannte weitere Vorschläge wie Schnellgerichte zur Bestrafung von Fußballfans, die Verhängung von Geisterspielen sowie in bestimmten Situationen auch Spielabbrüche durch die Schiedsrichter. Das Risiko für Verletzungen sei gerade durch Pyrotechnik hoch. Herrmann sprach von "Lebensgefahr" und fügte an: "Wir können von Glück sagen, dass das bisher nicht eingetreten ist. Das Risiko ist offenkundig groß."
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann
DFL-Aufsichtsratschef Watzke, der auch DFB-Vizepräsident und Geschäftsführer von Borussia Dortmund ist, sprach sich bei "Bild" gegen Geisterspiele aus und sagte mit Bezug auf die Aussagen das bayerischen Innenministers: "Dass wir ein Problem haben, lässt sich nicht von der Hand weisen. Aber mir hat die deutliche Rhetorik nicht so gut gefallen. Die Bayern neigen ja dazu, zu überpointieren."
Hans-Joachim Watzke ist Chef des DFL-Aufsichtsrats, DFB-Vizepräsident und Geschäftsführer von Borussia Dortmund.
Fanverbände kritisieren "Populismus" vor dem Gipfeltreffen
Der Dachverband der Fanhilfen kritisierte vorab, dass Fanvertreter nicht zu den Gesprächen eingeladen sind. "Wieder einmal wird über und nicht mit den Fans gesprochen", hieß es in einem Brief des Verbands an Faeser. Damit werde die Chance auf einen ehrlichen Dialog vertan. Fans würden "als Sicherheitsrisiko gesehen und eine Gefahrenlage im Rahmen von Fußballspielen beschrieben, die nicht der Realität entspricht".
Der Dachverband der Fanhilfen hatte zuvor Herrmann widersprochen. "Einmal mehr werden Horrorgeschichten über das Stadionerlebnis verbreitet, die nichts mit der Realität zu tun haben", sagte Linda Röttig, Vorstandsmitglied beim Dachverband, in einer Stellungnahme. Stadien seien sichere Orte. "Die aufgestellten Forderungen von Joachim Herrmann sind an Populismus nicht zu überbieten und ein direkter Angriff auf die freie und selbstbestimmte Fankultur in den Kurven."
Thomas Kessen, Sprecher der Organisation "Unsere Kurve", nannte die Forderungen Herrmanns ebenfalls populistisch. Sie gingen am Thema vorbei, sagte er im Gespräch mit der Sportschau. "Durch E-Tickets sind fast alle Eintrittskarten längst personalisiert", meinte Kessen und fragte mit Blick auf die Forderung nach Schnellgerichten: "Soll es jetzt für die Klubs eine Lizenzauflage werden, einen Gerichtssaal im Stadion bereitzuhalten?" Die wiederkehrende Debatte sei ermüdend, sagte Kessen. "Die Polizeizahlen zeigen, dass es kaum einen Raum gibt, der sicherer als Fußballstadien ist."
Thomas Kessen, Vorsitzender "Unsere Kurve"
ZIS-Bericht: Mehr Pyrotechnik im Vergleich zur Zeit vor Corona
Einen Hinweis auf die Sicherheitslage in Deutschlands Stadien gibt der Jahresbericht der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) der Polizei. Die aktuelle Version bezieht sich auf die Saison 2022/23, die sich wegen der zwischenzeitlichen Coronamaßnahmen am besten mit der Saison 2018/19 vergleichen lässt.
18/19 | 22/23 | +/- | |
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Besucher | 22,0 Mio. | 22,8 Mio. | +3,86 % |
Verfahren | 5.271 | 5.498 | +4,31 % |
Verletzte | 1.127 | 1.176 | +4,35 % |
Verletzte Pyro | 152 | 92 | -39,47 % |
Die Zahl der eingeleiteten Strafverfahren im Rahmen der Spiele in der Bundesliga, der 2. Bundesliga und 3. Liga erhöhte sich, auch die Zahl der verletzten Personen stieg von 1.127 auf 1.176. Im Verhältnis zu den Besucherzahlen erhöhte sich der Anteil der verletzten Menschen von 0,0051 Prozent auf 0,0052 Prozent. "Das sind 1.176 verletzte Personen zu viel", schrieb der DFB im April. "Daraus abzuleiten, dass der Stadionbesuch nicht sicher ist, geht aber an der Realität vorbei."
Pyrotechnik auf der Südtribüne in Dortmund
Polizeidirektor Oliver Strudthoff, der die ZIS leitet, teilte zu dem Bericht mit: "Ob die gestiegenen Zahlen auch künftig Bestand haben werden, bleibt abzuwarten." Gleichzeitig forderte er angesichts der gestiegenen Zahl an Strafverfahren eine konsequentere Anwendung von Stadionverboten. Die unerlaubte Verwendung von Pyrotechnik hat laut DFB 2022/23 "signifikant zugenommen", auch die ZIS meldet in diesem Bereich einen deutlichen Anstieg und verweist auf die Gefahren von Feuerwerk in den Kurven. Die Zahl der Verletzungen infolge der Verwendung von Pyrotechnik in den drei Ligen ist dem ZIS-Bericht zufolge gesunken.
Pyrotechnik bleibt der große Streitpunkt
Pyrotechnik ist seit Jahren einer der größten Streitpunkte zwischen aktiven Fanszenen auf der einen sowie Politik, Polizei und Verbänden auf der anderen Seite. Für viele Fans gehört Pyrotechnik untrennbar zu einer lebendigen Fankultur, Politik und Polizei sowie Verbände verweisen immer wieder auf Gefahren. Eine Ende 2023 gegründete AG Stadionsicherheit des DFB, in der auch die Deutsche Fußballliga (DFL) vertreten ist, diskutiert zuletzt, ein dreijähriges Pilotprojekt mit dem kontrollierten Abbrennen von Pyrotechnik zu starten - so wie es derzeit in Norwegen praktiziert wird. Ein konkreter Vorschlag wurde daraus aber nicht.
Es soll bei der Bestrafung von Pyrotechnik künftig aber klar unterschieden werden, beispielsweise zwischen dem Gebrauch einer Fackel am Zaun und dem Einsatz von Pyrotechnik als Waffe, wenn sie bewusst auf andere Fans geworfen oder geschossen wird.
Kompromisse für ein kontrolliertes Abbrennen kamen in der Vergangenheit in Deutschland nicht zustande. Eine entsprechende Diskussion mit Fanbündnissen brach der DFB mit Verweis auf die Ergebnisse eines Gutachtens 2011 einseitig ab. Im Februar 2020 gestatteten der DFB und die zuständigen Behörden unter Auflagen das Abbrennen mehrerer Rauchtöpfe im Stadion des Hamburger SV - ein Novum.
Im Februar 2020 wurden beim Hamburger SV im Spiel gegen Karlsruhe Rauchtöpfe mit behördlicher Genehmigung gezündet.
Metalldetektoren am Einlass und Weitergabe von Bildern durch die Polizei
Die AG Stadionsicherheit erarbeitete andere Vorschläge. Unter diesen Empfehlungen befindet sich "eine Prüfung von neuen technischen Instrumenten bei Einlasskontrollen zusammen mit bestimmten Vereinen auf freiwilliger Basis." Diese sollen in Eigenverantwortung durch die Vereine genutzt werden. Ein Beispiel: Der FC Bayern München hat Metalldetektoren beim Einlass eingeführt. Die manuelle Prüfung durch Ordner entfällt für die Fans damit weitgehend, die nur noch die Detektoren durchschreiten. "Falls keine unzulässigen Gegenstände erkannt werden, können die Zuschauer direkt zum Ticketscan am Drehkreuz gehen", schreibt der FC Bayern.
Künftig mit Metalldetektoren: Der Einlass am Stadion in München
Eine weitere Empfehlung der AG an das DFB-Präsidium sieht vor, dass die Polizei in "datenschutzrechtlich zulässigem Umfang" beispielsweise Bilder und Videos an Klubs freigeben darf, damit diese dann vom DFB verhängte Strafen direkt an Täter weitergeben können. Weiterer Hintergrund: Bei einer Ermittlung von Tätern bekommen Klubs geringere Strafen.
DFB: Vorschläge der AG keine Reaktion auf die Debatte
Der DFB teilte auf Anfrage der Sportschau zu den Forderungen Herrmanns mit: "DFB und DFL begrüßen das bevorstehende Spitzengespräch mit Bund und Ländern. Der konstruktive Austausch mit der Politik ist im Sinne von DFB und DFL."
Es gebe einen Bedarf für Maßnahmen zur Prävention, Eindämmung und zielgerichteter Sanktionierung von Vorfällen, so der DFB. Aber: "Die von der AG formulierten Empfehlungen sind keine Reaktion auf öffentlich geführte Debatten, sondern unabhängig davon über viele Monate erarbeitet worden, um das Stadionerlebnis weiterhin sicher zu halten."
AG Stadionsicherheit des DFB will mehr Prävention, aber keine Kollektivstrafen
Die AG Stadionsicherheit schlägt auch einen verstärkten Dialog mit den Fans und mehr Prävention vor. Dabei soll beispielsweise die verpflichtende Zahl der Fanbeauftragten in den Klubs erhöht werden. Die Jugend- und Sozialarbeit soll gestärkt werden, auch über die sozial-pädagogischen Fanprojekte, die an vielen Standorten arbeiten. Ein höherer Anteil der Geldstrafen soll zudem künftig in Sicherheitsmaßnahmen und Gewaltprävention gesteckt werden können.
Kollektivstrafen wie Geisterspielen und dem Ausschluss von Gästefans erteilte die AG dagegen eine Absage, sie fordert eine "Abkehr von der wiederkehrenden Drohkulisse".