Titelrennen in der Premier League Arsenals banger Blick in den Rückspiegel
Der FC Arsenal, über Monate souveräner Tabellenführer in der Premier League, hat seinen Vorsprung auf Manchester City fast eingebüßt. Der Meister tritt vor dem direkten Duell wieder mit alter Selbstsicherheit auf.
Die englischen Sportseiten waren am Montag (17.04.2023) auffallend häufig auf fachfremdem Terrain unterwegs. Zumindest bei der Nachbetrachtung des Spiels des FC Arsenal, der bei West Ham United zu einem 2:2-Unentschieden kam. Dabei hatte der Tabellenführer, nach dem 2:2 in der Vorwoche in Liverpool, zum zweiten Mal in Folge einen Zwei-Tore-Vorsprung aus der Hand gegeben.
Arsenals Vorsprung auf Manchester City, der vor vier Wochen noch acht Punkte betrug, ist auf vier zusammengeschrumpft. Weil die "Gunners" zudem schon eine Partie mehr auf dem Konto haben, ist ihr einst komfortables Polster nahezu aufgebraucht. Was manch einen TV-Experten zum Hobbypsychologen werden ließ: "Sie werden in der Kabine sitzen und spätestens jetzt alle ins Grübeln kommen", sagte der frühere Stürmer Chris Sutton in der BBC nach dem zweiten verspielten Sieg innerhalb einer Woche. "Man muss die Frage stellen, ob sie wirklich genug mentale Widerstandskraft haben, um am Ende den Titel holen zu können."
Am kommenden Wochenende erwarten die "Gunners" den Tabellenletzten Southampton, doch schon am Mittwoch darauf steht die womöglich vorentscheidende Meisterprüfung an: das direkte Duell beim Verfolger und Meister Manchester City. Das "himmelblaue Schlachtschiff", das man schon seit Herbst immer auf dem Schirm hatte, in scheinbar sicherer Distanz, wie der "Guardian" schrieb. Das nun aber doch auf einmal immer näher kommt und bedrohlich groß im Rückspiegel erscheint, "vor Kraft strotzend, die Fäuste schwingend, eine Hand schon hinten festgekrallt an der Stoßstange".
Arsenals Coach Arteta: "30 starke Minuten reichen nicht"
Angesichts dieser Drohkulisse wirkte Arsenal in der Tat in den zurückliegenden Partien etwas fragil. An Liverpools Anfield Road haben sich zwar schon ganz andere Teams überwältigen lassen. Doch bei West Ham ließen sich die "Gunners" nach einer dominanten Anfangsphase die Kontrolle über das Spiel entreißen - und hatten auch nach dem Ausgleich der "Hammers" keine Reaktion parat. Dies bemängelte auch ihr Trainer Mikel Arteta: "Wir haben es uns nach der Führung zu bequem gemacht und die Überzeugung verloren. 30 starke Minuten reichen nicht."
Dass Bukayo Saka zudem die Chance auf den möglicherweise vorentscheidenden dritten Treffer vom Elfmeterpunkt liegen ließ, passte ins wiederholt skizzierte Bild eines Teams, dem die Gefahr des Scheiterns durch den Kopf geht.
City unter Guardiola - wie eine perfekt eingestellte Siegmaschine
Manchester City dagegen, nach wie vor mit dem unbestritten besten Kader der Premier League, präsentiert sich pünktlich zur entscheidenden Phase der Saison wieder wie die berüchtigte, von Pep Guardiola perfekt eingestellte Siegmaschine, die in den vergangenen fünf Jahren viermal den Titel abräumte. In der Vorsaison zeigte City in einem tendenziell nervenzehrenden Fernduell mit Liverpool über Wochen keine Schwäche und verteidigte einen hauchdünnen Vorsprung anscheinend unbeeindruckt bis ins Ziel.
In der Liga holte City zuletzt sechs Siege in Folge, wettbewerbsübergreifend haben sie seit 14 Spielen nicht mehr verloren. Was sie dabei mit Mannschaften anstellen können, die ihnen nicht mit hundertprozentiger Sicherheit und Überzeugung an die eigene Stärke begegnen, hat in der vergangenen Woche auch der FC Bayern in der Königsklasse zu spüren bekommen, beim demütigenden 0:3 im Viertelfinal-Hinspiel.
"Cinderella" Arsenal - auf einmal wieder Titelkandidat
Arsenal wiederum war in den vergangenen Jahren eigentlich in anderen Dimensionen unterwegs. In die Champions League haben es die "Gunners", einst Dauergast in der Königsklasse, seit fünf Jahren nicht mehr geschafft. Auch in der Premier League gab es für Arsenal seit 19 Jahren nichts mehr zu gewinnen, seit dem Meistertitel der legendären "Invincibles", die seinerzeit kein einziges Saisonspiel verloren hatten.
Umso verheißungsvoller wirkt die "Cinderella"-Story, in dieser Saison an den Flaggschiffen aus Chelsea, Liverpool und Manchester vorbei zum Titel zu segeln. Doch ebenso groß ist auch die Fallhöhe, nachdem die "Gunners" die Tabelle quasi seit Beginn der quälend langen Saison anführen.
Odegaard: "Haben es weiter selbst in der Hand"
"Sie dürfen den Zweifel nicht in ihre Köpfe kriechen lassen, das ist jetzt der Schlüssel", sagte der frühere Nationalspieler und Arsenal-Verteidiger Matt Upson bei der BBC vor dem anstehenden Showdown mit City. Kapitän Martin Odegaard, einer der Protagonisten der bislang erstaunlichen Arsenal-Saison, sieht das Team aber auch mental weiter gut gerüstet fürs Titelrennen. "Wir müssen uns einfach nur daran erinnern, dass wir immer noch oben stehen. Und dass wir alles selbst in der Hand haben."