Sitzung des IFAB Nettospielzeit - warum sie im Fußball nicht kommen wird
Die Fußball-Regelhüterinnen und Regelhüter werden der Nettospielzeit eine Absage erteilen. Dass im Fußball nicht wie in anderen Sportarten vorgegangen wird, hat mehrere Gründe.
Am Samstag (04.03.2023) trifft sich das International Football Association Board (IFAB) zu seiner jährlichen Generalversammlung. Das IFAB berät und beschließt traditionell die Regeln des Fußballspiels, die vom WM-Finale bis zur untersten Kreisligastaffel gelten. Auf der Tagesordnung steht unter den Diskussionspunkten: "Mögliche Maßnahmen zur Erhöhung der tatsächlichen Spielzeit/Reduzierung des Zeitspiels".
Eine Idee, die immer wieder vorgebracht wird, ist die Nettospielzeit. Im Handball, Eishockey oder Basketball wird schließlich auch bei vielen Unterbrechungen die Spielzeit angehalten. Warum gibt es das nicht im Fußball, der viele Phänomene des Zeitschindens und der Schauspielerei zeigt? Und wie will der Fußball stattdessen mit dem Problem umgehen?
Was gegen die Nettospielzeit spricht
Mehrere Argumente führten schon beim letzten Treffen des IFAB dazu, dass das Konzept einer Nettospielzeit nicht weiterverfolgt wird.
- Abreise von Fans: Im Profifußball sind bei den wichtigen Spielen oft deutlich mehr Menschen im Stadion als bei Hallensportarten. "Die Bereitstellung von Sicherheitskräften und Bussen oder Bahnen ist schwieriger zu planen, wenn der Abpfiff schlechter vorauszusehen ist", sagt IFAB-Geschäftsführer Lukas Brud. "Das passiert zwar auch bei Pokalspielen durch Verlängerung oder Elfmeterschießen und ist nicht unmöglich zu lösen, doch im Alltagsgeschäft der Ligen bleibt der absehbare Abpfiff in dieser Hinsicht nützlich."
- Kommerzielle Aspekte: Die Planbarkeit bleibt auch im Fernsehen ein wichtiger Punkt, dort erwirtschaftet der Fußball viel Geld. In der UEFA Champions League beispielsweise folgen oft zwei Spiele nacheinander, deren Abstände genau auf Werbung und Interviews getaktet sind.
- Umsetzung im Amateurbereich: In den untersten Klassen herrscht ein Mangel an Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern. Eine Position wie in vielen Hallensportarten zur Überwachung der Spieluhr ist schwer umsetzbar. "Es bräuchte neutrale Zeitnehmer", sagt Alex Feuerherdt vom Schiedsrichterpodcast "Collinas Erben" im Gespräch mit der Sportschau. "Zudem wäre eine sichtbare Uhr nötig, die gekauft, betrieben und gewartet werden müsste. Bei Hallensportarten ist so etwas meistens gegeben."
- Belastung der Spieler: FIFPRO, die internationale Spielergewerkschaft, wies in der Diskussion auf die möglicherweise erhöhte Belastung hin. Wenn die 90 Minuten als Nettospielzeit gelten sollen, würde die Belastung im Schnitt deutlich steigen, derzeit liegt sie bei rund einer Stunde pro Spiel. Die Unterbrechungen des Spiels sind wichtige Erholungsphasen. Im engen Kalender ist das ein wichtiger Punkt.
Welche Ansätze stattdessen verfolgt werden
Zwei Themen für die Durchsetzung von mehr effektiver Spielzeit sollen aber eine entscheidende Rolle einnehmen:
Konsequentes Nachspielen: Die FIFA setzte bei der WM der Männer in Katar 2022 auf mehr Nachspielzeit, was das Schinden von Zeit unattraktiver machen soll. "Im Schnitt wurden in der ersten Hälfte vier Minuten nachgespielt, in der zweiten Hälfte siebeneinhalb Minuten", sagt Feuerherdt.
Stärkeres Durchsetzen von Regeln: Zwei Regeln könnten zudem stärker durchgesetzt werden. Seit 2019 muss ein ausgewechselter Spieler an der nächstgelegenen Linie das Spielfeld verlassen. Immer noch gehen viele Spieler aber den manchmal längeren Weg Richtung Ersatzbank, was Zeit kostet. Auch die Sechs-Sekunden-Regel, bei der der Torwart den Ball nicht länger in den Händen halten darf, ist immer wieder im Gespräch. Der Haken: Die Spielfortsetzung bei einem Verstoß gegen die Sechs-Sekunden-Regel ist ein indirekter Freistoß im Strafraum für die andere Mannschaft, was gemessen am Vergehen eine recht drakonische Sanktion ist. Deswegen wird die Regel oft nicht durchgesetzt.
Konkrete Regeländerungen zur kommenden Saison sind aber nicht geplant.
Was die Bundesliga vorhat
Wie wirkt sich das auf die Bundesliga aus? "Wir haben das für die Bundesliga aufgenommen und gesagt, dass wir konsequenter nachspielen müssen", sagt DFB-Schiedsrichterlehrwart Lutz Wagner im Gespräch mit der Sportschau. "Ziel ist es, solche Extreme wie bei der WM nicht zur Regel werden zu lassen. Hier setzen wir auch auf den Lerneffekt der Spieler, das Spiel schnell fortzusetzen."
In der Bundesliga sind also zumindest etwas längere Nachspielzeiten möglicherweise künftig üblich. Dass es gleich ein vergleichbares Vorgehen wie bei der WM wird, erscheint dagegen fraglich. Die Premier League entschied sich bereits dagegen, auch die UEFA will Informationen der Sportschau zufolge in ihren Wettbewerben nicht vollständig dem Beispiel der FIFA folgen.
Wie Nachspielzeit berechnet wird
Im Fußball wird bei der Berechnung der Nachspielzeit zwischen vergeudeter und verlorener Zeit unterschieden.
Verlorene Zeit muss zwingend nachgespielt werden: Verletzungspausen, Überprüfungen durch den Video-Assistenten, wetterbedingte Unterbrechungen - praktisch alles, was nicht beeinflusst werden kann.
Vergeudete Zeit wird nach der Vorteilsbestimmung nachgespielt. Dazu zählen verschleppte Standardsituationen, Auswechslungen und ähnliches. "Ein Beispiel: Schindet eine Mannschaft in der Hoffnung auf ein 0:0 Zeit und kassiert das 0:1 in der 89. Minute, darf sie später nicht darauf hoffen, dass die von ihr vergeudete Zeit konsequent nachgespielt wird", sagt Feuerherdt. "Ist aber einmal eine Nachspielzeit ausgerufen worden, darf sie vom Schiedsrichter nicht mehr unterschritten werden."
IFAB-Sitzung erstmals unter der Leitung einer Frau
Die 137. Generalversammlung des IFAB ist eine Besondere. Debbie Hewitt wurde 2021 zur Vorsitzenden des englischen Fußballverbands gewählt. Turnusgemäß ist in diesem Jahr England Gastgeber der Generalversammlung - und damit wird erstmals in der Geschichte des IFAB eine Frau die Veranstaltung leiten.
Die FA-Vorsitzende Debbie Hewitt leitet als erste Frau eine IFAB-Generalversammlung
"Es ist falsch, keine Frau dabei zu haben", sagte FIFA-Präsident Gianni Infantino auf eine entsprechende Frage nach der Generalversammlung 2020, bei der nur Männer am Tisch saßen. "Wir sollten das vielleicht für die Zukunft prüfen und jeden von uns bitten, mindestens eine Frau in seiner Delegation zu haben." Viel weiblicher sind die Sitzungen seitdem nicht - mit FIFA-Generalsekretärin Fatma Samoura sitzt aber zumindest eine Frau im Vorstand des IFAB.
IFAB - was ist das?
Die Regeln des Fußballs legt nicht die FIFA, sondern traditionell das 1886 gegründete IFAB fest. Die FIFA hat dort aber ein großes Mitspracherecht. Vier der acht stimmberechtigten Mitglieder kommen von der FIFA, die anderen vier Stimmen halten die vier britischen Verbände aus England, Schottland, Wales und Nordirland.
Um eine Regeländerung durchzusetzen, ist bei der Generalversammlung eine Dreiviertelmehrheit notwendig. Die FIFA kann also nichts ohne die Briten durchsetzen, umgekehrt geht das ebenfalls nicht. Zumeist wird aber ohnehin im Vorfeld Einigkeit erzielt.