USA-Reise der Nationalmannschaft DFB-Team - Neuanfang in Neuengland
Die Zeit ist knapp, die Anzahl der Baustellen groß: Julian Nagelsmann hat als Bundestrainer keinen leichten Job angetreten. Auf der US-Reise will er in fünf Einheiten und zwei Testspielen die Basis für eine erfolgreiche Heim-EM legen.
Als seine erste Einheit mit der deutschen Nationalmannschaft beendet war, verließ Julian Nagelsmann am Dienstagnachmittag (10.10.2023; Ortszeit) gut gelaunt und als einer der letzten des DFB-Teams das New England Revolution Training Center in Foxborough. Es war zwar nur Zufall, dass er gemeinsam mit DFB-Sportdirektor Rudi Völler die Steintreppe von den beiden Rasenplätzen hinunter zum Mannschaftsbus ging - doch es passte ins Bild.
Völler hatte das Team nach der Entlassung von Hansi Flick am 10. September für ein Spiel übernommen, zu einem 2:1-Heimsieg gegen Frankreich geführt und somit die Talfahrt vorerst gestoppt. Nagelsmann soll nun die Mannschaft auf die in acht Monaten beginnende Heim-Europameisterschaft vorbereiten - und irgendwie so etwas wie Fußball-Euphorie im Land entfachen.
Erste Grundstruktur schaffen
Und der Neue legte engagiert und entschlossen los. Nach zwei vorherigen Teambesprechungen im Mannschaftshotel stieg er in heller Trainingsjacke und dunklen Shorts als Erster aus dem Mannschaftsbus. Als sich seine 25 Nationalspieler aufwärmten, trug Nagelsmann höchstpersönlich Fahnen und Trainings-Dummies über den Platz und positionierte sie für seine angedachten Übungen. Andere Cheftrainer überlassen solche Aufgaben gerne ihren Assistenten.
201 Tage nach seiner Entlassung beim FC Bayern München am 23. März stand der 36-Jährige nun erstmals wieder auf dem Trainingsplatz. Mitten in Massachusetts. Knapp 6.200 Kilometer von der Säbener Straße entfernt. In Foxborough, 30 Autominuten südwestlich von Boston, wolle er bis Freitag versuchen, seine "Inhalte schnellstmöglich rüberzubringen" und "die erste Grundstruktur zu schaffen", hatte Nagelsmann vor Reiseantritt betont.
Pass-Formen und klare Kommandos
Seine erste Einheit auf den beiden Rasenplätzen der New England Revolution aus der Major League Soccer League war geprägt von vielen verschiedenen Pass-Formen - und klaren, lauten Kommandos. Als ihm die Ausführung von Ilkay Gündogan, Antonio Rüdiger und Robin Gosens nicht gefiel, schritt Nagelsmann ein, zeigte, wie er sich die Spielform vorstellt.
"Ich glaube, es war wichtig, direkt viel an den Ball zu kommen, Gefühl für den Ball zu kriegen", sagte Jonas Hofmann. Der Mittelfeldmann von Tabellenführer Bayer Leverkusen betonte, Nagelsmann lege Wert darauf, "viel vertikal zu spielen."
Nagelsmanns Statur überrascht Gündogan
Kapitän Gündogan beschrieb seinen ersten Eindruck vom zwölften Bundestrainer/Teamchef der DFB-Geschichte als "gut", fügte aber umgehend an, wegen Nagelsmanns Körpergröße von 1,90 Meter ein "bisschen überrascht" gewesen zu sein. "Ich habe ihn vorher nie so kennengelernt und im Fernsehen habe ich das auch gar nicht so wahrgenommen, dass der ja schon echt 'ne gute Statur hat", so der Mittelfeldmann vom FC Barcelona.
Nach seiner Ernennung zum Bundestrainer hatte Nagelsmann von allen Nationalspielern zuerst Gündogan angerufen, um ihm mitzuteilen, dass er auch unter ihm weiterhin Kapitän sei. Während der 32-Jährige nun erstmals mit Nagelsmann zusammenarbeitet, kennt Hofmann ihn noch aus der Jugend bei der TSG Hoffenheim.
Die fünf Bayern-Profis Leon Goretzka, Joshua Kimmich, Jamal Musiala, Leroy Sane und Thomas Müller hatten noch bis Ende März mit Nagelsmann zusammengearbeitet. Und auch Oliver Baumann sowie Niklas Süle sind ihm noch aus gemeinsamen Hoffenheimer Bundesligatagen vertraut.
Erstes Spiel Samstag gegen USA
All das dürfte die Eingewöhnungsphase für Nagelsmann erleichtern. Andererseits bleiben bis zum ersten Testspiel am Samstag (21 Uhr MESZ/Live-Ticker bei sportschau.de) in Hartford/Connecticut gegen die USA nur noch vier Tage und drei weitere Einheiten. Deshalb gehe es in den Gesprächen zwischen Spielern und Trainer "relativ schnell um Fußball", so Hofmann.
Am Dienstag trifft das DFB-Team dann in Philadelphia auf Mexiko (ab 1.45 Uhr MESZ, live im Ersten und im Livestream bei sportschau.de sowie im Live-Ticker). Nagelsmann habe dem Team "relativ klare Ansagen über Prinzipien, die wir in unserem Spiel haben wollen" gegeben, sagte Gündogan. Er habe das Gefühl, so der Kapitän, dass Nagelsmann trotz der begrenzten Zeit, die ihm als Nationaltrainer zur Verfügung stehe, "immer das Maximum" herausholen wolle. Das wurde auch zum Abschluss der 70-minütigen Einheit deutlich. Nagelsmann ließ im Strafraum Zuspiel mit Torabschluss üben.
Hohe Intensität, hohes Tempo, viel Feedback
Er selbst stand mit verschränkten Armen vor dem Strafraum, verfolgte jede Aktion genau. Hohe Intensität, hohes Tempo, viel Bewegung und Feedback vom Trainer. "Schneller lösen, ja, Idee ist gut, geh' Richtung Tor", rief er Julian Brandt zu, dessen Schuss knapp am oberen Dreieck vorbeistrich. "Nachgehen, geh' nach, geh' nach", bekam Abwehrspieler Malik Thiaw nach einem Zweikampf zu hören.
Und als Niklas Süle mit Niclas Füllkrug trotz Bedrängnis noch einen sauberen Doppelpass spielte, gab's vom Coach ein "gut, Niki, gut" für den Verteidiger. Wie Nagelsmann die erste Einheit wirklich einschätzte, was ihm gefallen hat und was womöglich nicht, blieb vorerst intern.
Mit den Medien wird er erst am Freitag sprechen, bei der offiziellen Pressekonferenz zum US-Spiel. Bis dahin sollen andere reden. Er will anpacken, will etwas aufbauen. Denn er weiß: Es sind nur noch acht Monate bis zum EM-Beginn - und es gibt noch reichlich zu tun.