2:3-Niederlage gegen die Türkei Nagelsmann und die DFB-Elf - Es ist doch komplex
Julian Nagelsmann ist als Bundestrainer angetreten, seinen Fußball aufgrund des Zeitmangels vor der EM einfacher zu gestalten. Mit einem überraschenden Experiment ist er aber von dem Weg abgewichen. Auch deswegen zeigte die Niederlage gegen die Türkei: Es ist komplex.
Viel zu früh verabschiedeten die beiden Stadionsprecher das Publikum, denn es hätte noch einer wichtigen Durchsage bedurft. Gut 70.000 Zuschauer hatten den Innenraum des Berliner Olympiastadions in dem Glauben verlassen, Deutschland habe 2:3 gegen die Türkei verloren. Mehrere Zehntausend der türkischen Fans setzten daher ihre Feier auch außerhalb der Mauern fort, ohne dass sie jemand über die Korrektur des Ergebnisses informiert hätte.
Niederlage gegen Türkei - in Wahrheit ein Unentschieden
"Der Elfmeter war keiner, das Tor zähle ich daher nicht", ordnete Julian Nagelsmann die Wertung eines Unentschiedens an. Er bliebe somit als Bundestrainer ohne Niederlage, und die Eliteauswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) bliebe seit 1951 ohne Heimniederlage gegen die Türkei.
Aber so einfach ist das nicht. Nagelsmann wird das dokumentierte Ergebnis von 2:3 akzeptieren müssen, das weniger aus einer tatsächlich strittigen, wenn auch inzwischen üblichen Entscheidung des Schiedsrichters resultierte.
Defensivprobleme bleiben als Altlast beim DFB-Team
Die Niederlage ergab sich aus Problemen, die lange vor Nagelsmann entstanden und sowohl in der Spätphase von Bundestrainer Joachim Löw als auch in der gesamten Phase unter Bundestrainer Hansi Flick zutage traten. In der Defensive macht die deutsche Mannschaft Fehler, die teilweise haarsträubend sind. Passieren solche Fehler im ersten Testspiel einer Phase, die der Bundestrainer für die intensive Arbeit an stabiler Defensive nutzen wollte, werden sie entsprechend intensiver analysiert.
Die Fehler, die am Samstag (18.11.2023) bei seinem nominellen Heimdebüt passierten, ordnete Nagelsmann in zwei Kategorien ein. Zum einen seien sie taktischem Fehlverhalten geschuldet gewesen, zum anderen hätten einige Spieler ein schlechtes "Emotionsniveau" erreicht. Diese Vokabel dürfte ab sofort zum Standardrepertoire von Fußballlehrern gehören, denn der Bundestrainer führte sie in Berlin nachdrücklich ein.
Er hätte auch sagen können, dass bei einigen Spielern die Bereitschaft gefehlt habe, aufmerksam das Geschehen zu verfolgen und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen, etwa einem Gegner zu folgen, wenn der allein im deutschen Strafraum auftaucht.
Aber das wäre zu einfach gewesen. So einfach, wie Nagelsmann mal den Fußball der deutschen Nationalmannschaft halten wollte, als er sie Ende September übernahm.
Nagelsmann wirft erste Vorsätze über Bord
Diese Vorsätze warf er gegen die Türkei über Bord. Dass es komplex sein dürfte, einen Spieler wie Kai Havertz auf der linken Seite einzusetzen, der bei Bedarf auch in die hinterste Kette rückt, um die Aufgaben eines Außenverteidigers zu übernehmen, das wird dem Bundestrainer bewusst gewesen sein.
Kai Havertz (r.) im Duell mit Zeki Celik
Es war ja nicht nur Havertz, der in den wenigen Trainingseinheiten wenig Zeit hatte, sich der Rolle zu nähern. Auch der Rest der Abwehrkette, in diesem Fall gestellt durch Antonio Rüdiger, Jonathan Tah und Benjamin Henrichs, muss sich darauf einstellen, dass ein linkes Glied meistens fehlt. Henrichs als nomineller Rechtsverteidiger muss daher mehr in das Zentrum rücken, Leroy Sané als rechter Offensivspieler nach vorne und eben auch nach hinten flitzen, um einen Raum zu verteidigen, der ansonsten weit geöffnet ist.
Sané, der das lange mit großem Eifer und sehr respektabel machte, war allerdings auch ein paar Mal zu spät, um den Eifer von Henrichs auszugleichen, der etwa vor dem 1:2 im Mittelfeld den Ball haben wollte, ihn aber nicht bekam und daher schwimmbadgroßen Raum für den starken Ferdi Kadıoğlu offen ließ, der bei den Türken den "offensiven Joker" spielte, wie Nagelsmann Havertz‘ Rolle beschrieb.
Nagelsmann verteidigt Experiment mit "Weltklasse"-Havertz
Der Bundestrainer fand das Experiment trotz der Turbulenzen, die durch den komplexen Plan entstanden, gelungen. Er bescheinigte Havertz, "weltklasse" gewesen zu sein und prophezeite, dass der Profi des FC Arsenal bei der EM im Sommer 2024 einer der prägenden Spieler auf der neuen Position sein könne.
Dieser Überschwang überraschte dann doch nach einem Abend, der allerdings auch ernüchterndere Erkenntnisse brachte als normale Abstimmungsprobleme bei dem Versuch, etwas Neues zu wagen.
Gündoğan und Kimmich mit Abstimmungsproblemen im Zentrum
Recht eingespielt und taktisch bestens geschult sollte das Duo İlkay Gündoğan und Joshua Kimmich im zentralen Mittelfeld sein. Aber auch dort offenbarten sich Probleme in der Abstimmung und der Bereitschaft, diszipliniert den Aufgaben nachzukommen. "Offensiv war das gut", sagte Nagelsmann auf die Frage, ob er dem Rekordnationalspieler Lothar Matthäus recht gebe, dass die Kombination Gündoğan/Kimmich als sogenannte Doppelsechs nicht passe. "Beide sind Spieler, die vom Profil her nicht das Spiel auf den zweiten Ball lieben", fügte er noch hinzu.
Gündoğan und Kimmich mögen es, den einen Ball zu haben, statt dem verlorenen hinterherzujagen, genau wie alle anderen, die am Samstag spielten. Das macht es noch ein bisschen komplexer, eine stabile Defensive hinzubekommen.