Roger Schmidt (l) und Goncalo Ramos (r)

FIFA WM 2022 Alles Roger? Wie Schmidt Portugal-Juwel Ramos schliff

Stand: 07.12.2022 13:52 Uhr

Gonçalo Ramos pendelte bei Benfica Lissabon bis vor wenigen Monaten noch zwischen Ersatzbank und Startelf. Auf den WM-Zug Portugals sprang der Stürmer praktisch im letzten Moment auf und war nun mit drei Treffern im Achtelfinale gegen die Schweiz Matchwinner der Iberer. Dass sein Stern in Katar aufging, hat auch viel mit seinem Vereinscoach Roger Schmidt zu tun.

Von Hanno Bode

Wenn es seine Zeit zulässt, sitzt Gonçalo Matias Ramos, so der vollständige Name des Stürmers, gerne vor dem Fernseher. Welches Filmgenre der 21-Jährige bevorzugt, dürfte seit Dienstagabend (06.12.22) jedem klar sein, der Portugals 6:1-Kantersieg gegen die "Nati" verfolgt hat: Western. Der Angreifer feierte jedes seiner drei Tore gegen die Eidgenossen mit der Pistolero-Geste.

Für diese Art des Torjubels hat sich Ramos vor nicht allzu langer Zeit entschieden. Früher bejubelte er seine Treffer, indem er so tat, als schaue er in eine imaginäre Kristallkugel. Damit spielte er auf seinen Spitznamen "Zauberer" an, den er sich im Trikot der portugiesischen U19-Auswahl erworben hatte.

Dass der 1,85 Meter große Offensivspieler hochveranlagt ist, war zumindest in Portugal also bereits vor seiner Sternstunde bei der Winter-Wüsten-WM bekannt. Doch vor jenem Abend in Lusail hatte Ramos, der erst Mitte November sein Nationalmannschafts-Debüt feierte, beim Katar-Turnier nur als "Joker", als Mann für ein paar Minuten gegolten. Nun ist er der Mann, der Portugals Fußball-Ikone Cristiano Ronaldo ersetzte und den auf der iberischen Halbinsel fast als Gott verehrten Superstar in den Schatten stellte.

Portugiese wie weiland Miroslav Klose

"Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Das ist ein Traum, der in Erfüllung geht", erklärte Ramos nach seinem vierten Länderspiel-Einsatz, bei dem er Historisches schaffte. Als erster Spieler seit Miroslav Klose 2002 gelang es ihm, bei einem WM-Startelfdebüt drei Treffer zu erzielen.

Und das ist fraglos auch ein Verdienst von Roger Schmidt. Seitdem der Westfale im vergangenen Sommer den Portugiesen Nélson Veríssimo bei Benfica als Trainer abgelöst hat, ist Ramos bei den "Adlern" als Mittelstürmer gesetzt, nachdem er in der Vorsaison noch häufig von der Bank gekommen war.

14 Treffer in 21 Pflichtspielen schlagen für den 21-Jährigen bis dato für das noch ungeschlagene Benfica zu Buche. In der gesamten vergangenen Serie traf Ramos nur acht Mal.

Ramos voll des Lobes für Coach Schmidt

Der Stürmer ist ob seiner Leistungsexplosion dann auch voll des Lobes für Schmidt. "Er ist einer der besten Trainer, unter denen ich je gearbeitet habe. Er hat mir sehr geholfen. Ich habe mich als Spieler und Persönlichkeit weiterentwickelt", sagte Ramos dem Portal "record.pt".

Für den Youngster ist Schmidt nicht nur sein Trainer, sondern auch eine Vertrauensperson. Ein Kumpel. "Mehr noch als sein Fachwissen beeindruckt mich die Art, wie er mit uns umgeht. Er versucht, zu uns allen ein freundschaftliches Verhältnis zu haben", erklärte der Angreifer.

Gewiss spielte Ramos bei seinem Aufstieg zur Stammkraft bei Benfica auch der Abgang des zuvor gesetzten Mittelstürmers Darwin Núñez zum FC Liverpool ein wenig in die Karten. Doch in dem Kroaten Petar Musa holte Lissabon auch einen neuen Mann fürs Angriffszentrum, sodass Ramos seinen Stammplatz keineswegs sicher hatte.

Aber der Torjäger, der im Alter von 13 Jahren in die Nachwuchsakademie von Benfica kam, setzte sich durch.

Nationalmannschafts-Debüt erst kurz vor der WM

Als Lohn für seine Mühen wurde der Torschützenkönig der U19-EM 2019 in Armenien im vergangenen September erstmals für die A-Nationalmannschaft nominiert, kam im Nations-League-Spiel in Tschechien (4:0) aber nicht zum Einsatz.

Sein Debüt für den Europameister von 2016 feierte Ramos schließlich am 17. November im Test gegen Nigeria. In Abwesenheit von Ronaldo wurde er für den Leipziger André Silva eingewechselt und erzielte beim 4:0-Erfolg den Treffer zum 3:0.

Damit hatte Ramos eine erste kleine Duftmarke im Nationalteam gesetzt. Aber eben auch nicht mehr. Der Weg in die Anfangsformation schien für den Lissaboner Youngster noch weit. Bei der WM nahm der 21-Jährige dann auch in den Gruppenspielen nur eine Nebenrolle ein. Zwei "Joker"-Einsätze schlugen für ihn bis zum Achtelfinal-Duell mit der Schweiz zu Buche, bevor er für Außenstehende völlig unerwartet von Nationalcoach Fernando Santos in die Startelf berufen wurde.

"Er zeigt der Welt jetzt, was er kann"

Dass der Benfica-Profi den Platz von keinem Geringeren als Cristiano Ronaldo einnahm, überraschte die Fachwelt und hätte den Stürmer eigentlich unter riesigen Druck setzen müssen. Tat es jedoch nicht. Cool drosch er den Ball zum 1:0 in den Giebel. Cool hielt er beim 2:0 den Fuß hin. Cool überlupfte er Keeper Yann Sommer zum 5:1. Ein erstaunlich abgeklärter Auftritt des Youngsters.

Gegen Marokko mit Ramos oder Ronaldo?

Die Gala von Ramos könnte Nationaltrainer Santos nun vor ein Problem stellen. Eigentlich kann der 68-Jährige den Youngster im Viertelfinale am Sonnabend (10.12.22, 16 Uhr MEZ) gegen Marokko nicht wieder auf die Bank setzen. Doch sollte er Ronaldo erneut nicht für die Startelf berufen, droht möglicherweise Ungemach.

Denn auch wenn sich Portugals Fußball-Ikone am Dienstagabend vorbildlich verhielt und versuchte, seinen fraglos vorhandenen Frust über seine Ersatzrolle wegzulächeln, ist ein unzufriedener Cristiano Ronaldo auf Dauer für eine Mannschaft ein Störfaktor. Bei Manchester United können sie ein Lied davon singen.

Und so ist die spannenste Frage vor Portugals Duell mit den "Löwen vom Atlas" die Besetzung der Mittelstürmer-Position. Ansprüche auf seinen Startelf-Platz wollte Gomes trotz seinem Dreierpack nicht stellen. "Das entscheide nicht ich, das entscheiden andere", sagte er auf die Frage, ob er davon ausgehe, wieder von Beginn an aufzulaufen. Es war eine ziemlich diplomatische Antwort für einen Western-Fan, der zuvor die imaginären Colts hatte rauchen lassen.