Flicks Team für WM 2022 DFB-Kader - Im Kompromiss die Variante Zukunft
Ein Turnierkader von 26 Spielern bietet viel Platz für Kompromisse. Dabei entschied sich Bundestrainer Hansi Flick häufiger für die Variante Zukunft.
In weniger als zwei Wochen nach der Bekanntgabe des Kaders wird es erste seriöse Antworten auf die Fragen geben, ob es richtig war, diesen oder jenen Spieler mitzunehmen. Am 23. November, also 13 Tage nach der Verkündung der Nominierung, spielt die deutsche Fußball-Nationalmanschaft ihre erste Partie bei der Weltmeisterschaft 2022 gegen Japan.
Dann wird - vorausgesetzt der letzte Ligaspieltag und die kurze Vorbereitung im Oman und vor Ort in Katar laufen ohne weitere Verletzungen ab - Manuel Neuer im Tor stehen, Antonio Rüdiger der Abwehrchef sein, Joshua Kimmich davor im zentralen Mittelfeld die Fäden ziehen, davor Jamal Musiala wirbeln, davor Kai Havertz als Stürmer auflaufen. Nur minimal niedriger als die Wahrscheinlichkeit, dass diese Prognose eintritt, ist die Annahme, dass auch Niklas Süle, Leon Goretzka, Serge Gnabry und Thomas Müller in der Startelf stehen werden.
Über all diese Spieler ist in den vergangenen Wochen bezüglich der Nominierung kaum gesprochen worden, da es klar war, dass sie ihren Platz in dem Kader finden werden. Diskutiert wurde über die Stellen dahinter, und zwar denen hinter den Torhütern Marc-André ter Stegen und Kevin Trapp sowie sicheren Kandidaten wie Leroy Sané, Ilkay Gündogan, David Raum und Nico Schlotterbeck.
Wenige offene Stellen
Es ging also um nur wenige offene Stellen, vor allem auf Positionen, auf denen in den vergangenen Jahren ohnehin vieles offen ist. Die Situation um einen Platz im zentralen Sturm verschärfte sich, weil Timo Werner verletzt passen musste. Dass es Youssoufa Moukoko oder Niclas Füllkrug schaffen würden, einen Platz im WM-Flieger zu ergattern, war wahrscheinlich, denn wegen der Corona-Pandemie sind weiterhin 26 statt der früher üblichen 23 Spieler erlaubt. Dieser Luxus erlaubte Bundestrainer Hansi Flick die Antwort Moukoko und Füllkrug. So kann später niemand sagen, er hätte besser den anderen mitgenommen. Das dürfte zwar nicht der Beweggrund gewesen sein, ist aber eine angenehme Begleiterscheinung für Flick und sein Team.
Es gibt wenige Namen, an denen sich Diskussionen entzünden dürften. Abwegig ist gar, die Nominierung von Mario Götze infrage zu stellen, denn der ist, wie Flick sagte, "ein genialer Fußballer", der mit seinen "Geistesblitzen" viel bewegen kann. Vor allem kann er dafür sorgen, dass die anderen Offensivspieler wie Sané, Gnabry und Havertz ihre enorme Geschwindigkeit schon ein Weilchen vor dem ersten Ballkontakt einsetzen können.
"WM-Erfahrung zu haben, ist auch für die Zukunft wertvoll"
Schnelligkeit allein, das gab Flick offen zu, gab den Ausschlag für Karim Adeyemi, der nach seinem Wechsel von Salzburg zu Borussia Dortmund hinter den Erwartungen zurückblieb. Wie bei Moukoko, der am Tag des WM-Eröffnungsspiels 18 Jahre alt wird, hat bei Adeyemi zudem der Blick in die Zukunft eine Rolle gespielt. In weniger als zwei Jahren ist die Europameisterschaft in Deutschland schon Geschichte. "WM-Erfahrung zu haben, ist auch für die Zukunft wertvoll", sagte Flick, auch hinsichtlich von Armel Bella Kotchap, der mit einem Länderspiel immerhin eines mehr als Moukoko (und Füllkrug) aufweist.
Das Alter und die Zukunft spielten auch bei der diskutabelsten Personalie eine Rolle, vielleicht aber auch noch ein bisschen mehr, denn Mats Hummels gilt als jemand, der in einer Gruppe schwierig sein kann, auch weil er Kritik mal öffentlich äußert. Das, so versicherte Flick, habe keine Rolle gespielt. Er habe sich "nicht gegen Mats, sondern für einen jungen Spieler entschieden". Unter reinen Leistungsgesichtspunkten hätte Hummels den Platz verdient gehabt, gerade im Vergleich etwa zu seinem 22 Jahre alten Dortmunder Vereinskollegen Nico Schlotterbeck, der nicht in der "hervorragenden Form" ist, die Flick dem zu Hause bleibenden Hummels bescheinigte.
Über jeden Zweifel erhaben zeigte sich Mats Hummels aber selbst in guter Form nicht, und so ist auch diese Personalie nachzuvollziehen. Die Unterschiede sind auf einigen Positionen und den dazugehörigen Namen marginal. Christian Günter oder Robin Gosens? Flick entschied sich für Günter. Dass er versucht hatte, Jonas Hector vom 1. FC Köln zu einem Comeback in der Nationalmannschaft zu überreden, zeigt, dass hinten links weiter ein Problemfeld ist.
Zehn Spieler aus dem Kader der EURO 2020 fehlen
Bei der EURO 2020, die 2021 ausgetragen wurde, schien Gosens die Lösung für die nahe Zukunft zu sein, genau wie vorher mal Nico Schulz. Nun ist Gosens raus, genau wie aus verschiedenen Gründen (Rücktritt, Verletzung, Formschwäche) neun andere Spieler aus dem Kader der EM 2021, darunter Toni Kroos, Hummels, Timo Werner, Kevin Volland, Robin Koch und Florian Neuhaus.
Erneut dabei ist hingegen der Leipziger Lukas Klostermann, obwohl der in dieser Saison nur auf zwei Pflichtspieleinsätze kommt: im Supercup gegen Bayern und zum Auftakt der Bundesligasaison. Danach riss er sich die Syndesmose im linken Sprunggelenk an.
Dass Flick die Nichtnominierung von Gosens (elf Einsätze in der Serie A, sechs in der Champions League für Inter Mailand) damit begründete, dass der seinen Rhythmus erst wieder finden müsse, klingt in diesem Zusammenhang merkwürdig. Aber das ist eine Randnotiz. Bald wird vor allem über die diskutiert, über die vorher kaum gesprochen wurde.
Das WM-Aufgebot im Überblick
Tor: Manuel Neuer (FC Bayern München), Marc-André ter Stegen (FC Barcelona), Kevin Trapp (Eintracht Frankfurt)
Abwehr: Antonio Rüdiger (Real Madrid), Niklas Süle (Borussia Dortmund), Nico Schlotterbeck (Borussia Dortmund), Thilo Kehrer (West Ham United), David Raum (RB Leipzig), Christian Günter (SC Freiburg), Lukas Klostermann (RB Leipzig), Armel Bella Kotchap (FC Southampton), Matthias Ginter (SC Freiburg)
Mittelfeld und Angriff: Leon Goretzka (FC Bayern München) Joshua Kimmich (FC Bayern München), Ilkay Gündogan (Manchester City), Jonas Hofmann (Borussia Mönchengladbach), Serge Gnabry (FC Bayern München), Jamal Musiala (FC Bayern München), Thomas Müller (FC Bayern München), Leroy Sané (FC Bayern München), Kai Havertz (FC Chelsea), Karim Adeyemi (Borussia Dortmund), Youssoufa Moukoko (Borussia Dortmund), Julian Brandt (Borussia Dortmund), Niclas Füllkrug (Werder Bremen), Mario Götze (Eintracht Frankfurt).