Viertelfinale gegen Spanien Niederlande vor Reifeprüfung zuversichtlich
Spaniens Fußballerinnen träumen nach dem erstmaligen Viertelfinal-Einzug bei einer Weltmeisterschaft nun beim Ozeanien-Turnier in Australien und Neuseeland vom großen Coup. Doch in der Runde der letzten Acht wartet am Freitag (11.08.2023) in den Niederlanden ein Gegner auf die Ibererinnen, der bis dato einen noch gefestigteren Eindruck hinterlassen hat als die "La Furia Roja".
Nein, ein Kind von Traurigkeit war Nigel de Jong zu seinen aktiven Zeiten fraglos nicht. Der frühere niederländische Nationalspieler war so etwas wie ein "Holzfäller in Sportbekleidung". Sein Arbeitsplatz war das defensive Mittelfeld und seine Spezialität, Gegenspieler zu verfolgen und ihnen im besten Fall den Ball vom Fuß zu nehmen. Kurzum: De Jong war dafür zuständig, in der Zentrale zu kontrollieren - um seine rustikale Gangart höflich zu umschreiben.
Seit Anfang dieses Jahres ist der frühere Profi des Hamburger SV nun Sportchef des Königlichen Niederländischen Fußballbundes (KNVB) und in dieser Funktion gerade bei der WM in Australien und Neuseeland.
Was der 38-Jährige dort bisher von den "orangenen Löwinnen" sah, hat ihn tief beeindruckt. Im Interview mit der niederländischen Rundfunkanstalt "NOS" lobte der KNVB-Funktionär die "Professionalität, den Erfolgshunger und die Mentalität", die das Team sowohl bei jeder Trainingseinheit als auch in den Spielen zeige. Er sei "ein zufriedener Sportchef", erklärte de Jong.
Und einen liebevoll gemeinten Kosenamen hat der frühere "Wadenbeißer" auch für die von ihm bewunderten Spielerinnen: "Ich nenne sie hier bei der WM alle kleine Pitbulls".
"Löwinnen" bisher einmal richtig gefordert
Viel Biss haben die Europameisterinnen von 2017 bis dato tatsächlich beim Ozeanien-Turnier gezeigt - allerdings stets im Rahmen des Erlaubten. Hart, aber zumeist fair im Zweikampf, dazu taktisch klug und fußballerisch variabel präsentierte sich das Team des früheren Bundesliga-Trainers Andries Jonker in seinen ersten vier Partien.
"Sie haben sich von Spiel zu Spiel gesteigert", stellte de Jong zufrieden fest. Zur niederländischen Wahrheit gehört allerdings auch, dass die bisherigen Gegner des Vize-Weltmeisters von 2019 mit Ausnahme der USA im zweiten Gruppenspiel (1:1) allesamt Außenseiter waren.
Aber auch die vermeintlichen Pflichtaufgaben müssen eben erst einmal gelöst werden - und das tat die KNVB-Auswahl souverän. Dass nun ein ganz anderes Kaliber als etwa Südafrika im Achtelfinale auf sie wartet, ist den Niederländerinnen natürlich bewusst. Aber: "Auch gegen Spanien sollten wir keine Angst haben. Wir sind ein großes Land. Das haben wir bereits in einem Freundschaftsspiel gegen Deutschland und bei dieser WM gegen die USA gezeigt", sagte Mittelfeldakteurin Damaris Egurrola.
Egurrola hofft gegen Ex-Team auf Startelf-Einsatz
Die 23-Jährige könnte gegen die Ibererinnen die Gelb-gesperrte Daniëlle van de Donk ersetzen und damit zu ihrem ersten Startelf-Einsatz bei der Weltmeisterschaft kommen. Entscheidet sich Bondscoach Jonker für Egurrola, könnte sie eine dieser "Ausgerechnet"-Geschichten schreiben. Denn die in den USA geborene Tochter eines spanischen Vaters und einer niederländischen Mutter durchlief alle spanischen Juniorinnen-Mannschaften und feierte 2019 sogar in einem Freundschaftsspiel ihr Debüt für das A-Nationalteam. Danach aber wurde sie von Jorge Vilda, der damals wie heute für die "La Furia Roja" verantwortlich zeichnet, mit Missachtung gestraft.
Vor rund einem Jahr entschied sich Egurrola deshalb, künftig für die Niederlande aufzulaufen. Vilda reagierte mit Unverständnis und behauptete, die Mittelfeldakteurin nicht erreicht zu haben. Egurrola erwiderte, der Coach habe sie nie angerufen.
"Möchte der Welt zeigen, was ich kann"
Nun also könnte sie süß werden, die Rache der Verschmähten an ihrem Ex-Coach. "Ich bin bereit für Freitag. Ich möchte der Welt zeigen, dass ich es kann. Dafür arbeite ich hart", erklärte Egurrola. Neben ihr machen sich allerdings auch Victoria Pelova und die erst 17-jährige Wieke Kaptein Hoffnungen, den Platz der gesperrten van de Donk einzunehmen. Jonker ließ sich diesbezüglich nicht in die Karten schauen. "Wir probieren im Training alles aus. Noch ist aber keine Entscheidung gefallen", sagte der 60-Jährige.
Vilda lobt mannschaftliche Geschlossenheit
Natürlich wurde auch Vilda vor dem Duell mit den "Löwinnen" noch einmal auf die Personalie Egurrola angesprochen. Die leicht gereizte Antwort des Trainers: "Ich spreche nur über die 23 Spielerinnen, die hier sind. Ich würde keine von ihnen gegen eine andere austauschen wollen." Der 42-Jährige wirkt ein Jahr nach der gescheiterten Meuterei gegen ihn - nach der Europameisterschaft probten 15 Nationalspielerinnen den Aufstand - mit sich und der Welt im Reinen und spricht in höchsten Tönen von seinem WM-Kader.
"Die Mannschaft ist geeint. Alle kämpfen für das gleiche Ziel. Hier herrscht eine besondere Energie", sagte Vilda. Er habe "23 Kapitäninnen", lobt der Trainer den Zusammenhalt und die fußballerische Klasse seines Aufgebots.
Steht Coll erneut in Spaniens Tor?
Nicht auszuschließen, dass der 42-Jährige auch im Duell mit den Niederländerinnen am Freitagmorgen (3 Uhr, im Livestream bei sportschau.de) wieder mit einem Personalwechsel überrascht. So stand beim 5:1-Achtelfinal-Erfolg gegen die Schweiz völlig unerwartet Cata Coll zwischen den Pfosten, nachdem in den vorigen drei WM-Partien Misa Rodríguez das spanische Gehäuse gehütet hatte. Eine Begründung für die Änderung auf der Torwart-Position lieferte Vilda nicht.
Es ist lediglich zu mutmaßen, dass er beim 0:4-Debakel im letzten Gruppenspiel gegen Japan unzufrieden mit Rodríguez war. Dass er Coll dann ausgerechnet in einem K.o.-Spiel bei einer Weltmeisterschaft zu ihrem Länderspiel-Debüt verhalf, war aber schon sehr überraschend. Vom Potenzial der 22-Jährigen ist Vilda allerdings bereits lange überzeugt. Sie sei die "Torhüterin der Zukunft", sagte der Trainer, nachdem er Coll im Juni in den vorläufigen Kader für das Ozeanien-Turnier berufen hatte.
Andres: "Das sind Spiele um Leben und Tod"
Auf die aus Mallorca stammenden Schlussfrau wird gegen die Niederländerinnen wohl wesentlich mehr Arbeit zukommen als gegen harmlose Schweizerinnen, die durch ein Eigentor zum Ehrentreffer kamen. Vilda geht von einem "ausgeglichenen Spiel" aus, in denen seiner Ansicht nach Nuancen entscheiden könnten. Fußballerisch dürften sich beide Teams trotz abweichender Spielsysteme auf Augenhöhe bewegen. Entscheidend könnte also der Wille, die letzte Gier sein.
Dessen ist sich auch Verteidigerin Ivana Andres bewusst. "Das sind die Spiele, die wir wirklich lieben - Spiele um Leben und Tod", sagte die 29-Jährige. Klingt danach, als ob "La Furia Roja" bereit ist für das Duell mit den "Löwinnen", die laut Sportchef de Jong ja eigentlich "Pitbulls" sind...
- Spiele gegeneinander: zehn (5 Siege Spanien / 2 Siege Niederlande / 3 Remis
- FIFA-Weltrangliste: Spanien 6 / Niederlande 9)
- Beste WM-Platzierung: Spanien Achtelfinale 2019 / Niederlande Zweiter 2019