Ball auf Hütchen als Ersatz Der "Heimvorteil Ballkinder" steht vor dem Aus
Ballkinder können das Spiel beschleunigen und verlangsamen, aber sind sie immer neutral? In England und Italien müssen sich die Spieler die Bälle nun selbst holen - und dieser Trend erreicht die Bundesliga.
Die Premier League beschloss im März 2024, dass die Spieler den Ball nicht mehr von den Ballkindern bekommen sollen. Statt ihn direkt zu den Spielern zu werfen, legen die Ballkinder die Bälle nun auf die Spitze von Hütchen, die um das Spielfeld platziert sind. Von dort müssen sich die Spieler selbst einen Ball holen, um das Spiel fortzusetzen. Insgesamt sind in der Premier League pro Spiel 15 Bälle in Gebrauch. In Italien wurde ein ähnliches Vorgehen für die Serie A mit zwölf Bällen beschlossen. Ausnahmen gelten in beiden Ländern nur für die Torhüter, sie können von den Ballkindern weiter direkt einen Ball entgegennehmen.
Ohne Ballkind: Arsenals Bukayo Saka nimmt einen Ball von einem Hütchen auf.
Der Hintergrund: Ballkinder können das Spiel beschleunigen und verlangsamen. Aber sie werden von den gastgebenden Klubs ausgesucht und können im Sinne der Heimteams entscheiden, wem sie helfen - und wem nicht. Diesen Heimvorteil soll es in England und Italien nicht mehr geben, es sollen für beide Teams dieselben Möglichkeiten gelten.
Ein Ball auf einem Hütchen in der Premier League
DFL "beschäftigt sich mit dem Thema"
Mit Bayer Leverkusen, Holstein Kiel, der TSG Hoffenheim und dem FC Augsburg nutzten in den vergangenen Wochen vier Klubs aus der Bundesliga in ihren Heimspielen ein ähnliches Prinzip wie die Klubs aus England und Italien und verteilten Ersatzbälle um das Spielfeld herum - teils mit, teils ohne Hütchen. Eine ligaweite Umsetzung des Vorgehens ist aktuell nicht geplant. Auf Anfrage der Sportschau teilte die DFL aber mit, dass sie sich "mit dem Thema beschäftige".
Derzeit gilt laut DFL-Spielordnung für die Bundesliga und die 2. Bundesliga eine Anweisung der FIFA, dass beim sogenannten "Multi-Ball-System" mindestens acht Ballkinder mit jeweils einem Ball um das Spielfeld zu platzieren sind. Ob diese Ballkinder die Bälle zu den Spielern werfen oder auf den Hütchen platzieren, obliegt aktuell den Klubs. Die Zahl der Bälle ist nur nach unten begrenzt. Je nach Bauweise der Stadien und abhängig vom Platzangebot nutzen manche Klubs auch mehr Ballkinder oder Bälle.
Bälle auf Hütchen bei einem Heimspiel des FC Augsburg
Zeitspiel auch mit dem neuen Vorgehen möglich
Leverkusen setzt das in England und Italien beschlossene Prinzip in ähnlicher Weise schon seit einem Jahr um, zahlreiche Bälle liegen um das Spielfeld verteilt, die Spieler müssen nur zugreifen. Fairplay ist aber nicht der Hintergrund. "Mir gefällt das, weil es uns die Möglichkeit gibt, das Tempo hochzuhalten und den Gegner so stark unter Druck zu setzen wie möglich und ihm keine Gelegenheit zu geben, sich zu erholen", sagte Leverkusens Trainer Xabi Alonso im November 2023. Ein Nebeneffekt: Mit den Hütchen bleibt die Chancengleichheit gewahrt. Beide Teams haben die Möglichkeit, Tempo zu machen.
Leverkusens Florian Wirtz mit Ball, dahinter: noch ein Ball
Oder das Gegenteil - denn es zeigte sich bereits, dass auch der neue Ansatz nicht frei von Missbrauch ist. Enzo Millot vom VfB Stuttgart spitzelte am vergangenen Freitag beim Spiel in Leverkusen in der 56. Minute einen der Ersatzbälle als zweiten Ball aufs Spielfeld, um eine schnelle Spielfortsetzung zu verhindern, es folgte eine Gelbe Karte. Mit Ballkindern hätte er diese Chance zum Zeitspiel nicht gehabt.
Bei Heimspielen von Bayer Leverkusen und auch bei denen der Klubs aus Italien und England auf europäischer Ebene wird derweil deutlich, dass die UEFA in der Champions League und den anderen Wettbewerben noch das klassische Prinzip verlangt. Dort dürfen die Bälle nicht am Spielfeldrand liegen. Die UEFA bestätigte auf Anfrage, dass sie sowohl das "Multi-Ball-System" mit mindestens acht Ballkindern und zehn Bällen praktiziert oder auch das "Single-Ball-System", das in Deutschland nur noch in unteren Ligen gilt. Es werde so vorgegangen, "wie es beim gastgebenden Klub üblich ist". Eine Änderung stehe aktuell nicht zur Debatte.
2017 - Halber Scorerpunkt für Ballkind in Hoffenheim
Ballkinder wurden im Profifußball eingeführt, nachdem das Spiel immer langsamer und die Nettospielzeit geringer geworden war. Sie können nach dem bisherigen Prinzip aber ein taktisches Mittel für Heimteams sein. In Deutschland bleibt vor allem ein Tor aus der Saison 2017/18 in Erinnerung. Ein Balljunge in Hoffenheim gab Andrej Kramaric schnell einen anderen Ball, nachdem der damalige Bayern-Spieler Mats Hummels den Ball weggedroschen hatte.
Der flink ausgeführte Einwurf von Kramaric führte zu einem Tor von Mark Uth, der Balljunge war praktisch direkt am Tor beteiligt. Hoffenheims damaliger Trainer Julian Nagelsmann sagte über den Balljungen: "Er hat sicherlich ein paar Prozentpunkte an dem Tor." Der Balljunge war Umut Tohumcu, er spielt heute bei den Profis der TSG.
In Portugal gingen die Spieler des FC Porto im Oktober der laufenden Saison noch weiter. Den Preis für den "Spieler des Spiels" reichten sie kurzerhand an einen Balljungen weiter, der ähnlich wie der in Hoffenheim 2017 einen schnellen Spielzug eingeleitet und so zu einem Tor beigetragen hatte.
Manche Trainer machten Ballkinder zu Teammitgliedern
Eigentlich sollen die Ballkinder neutrale Bestandteile des Spiels sein. Doch gerade auf höchstem Niveau kämpfen Trainer um jeden kleinen taktischen Vorteil. Manche Trainer machten die Ballkinder regelrecht zu Mitgliedern ihres Teams. Pep Guardioala nutzte Ballkinder, um solche Teams unter Druck zu setzen, die in Manchester auf Zeit spielten. Die Spieler des Gegners bekamen von den Ballkindern auffallend prompt einen neuen Ball serviert.
Pep Guardiola gibt 2017 einem Balljungen bei einem Heimspiel von Manchester City Anweisungen.
Auch José Mourinho sah in den Ballkindern eine Möglichkeit, den Gegner zu überraschen. In seiner Zeit bei Tottenham Hotspur klatschte er einst mit einem Ballkind ab, das ein Tor mit eingeleitet hatte. Später lud Mourinho den Jungen zu einem Essen mit der Mannschaft ein.
UEFA verwarnte Glasgow Rangers für das Verhalten der Ballkinder
Defensiv sind Ballkinder logischerweise ein Mittel, um Zeit zu schinden. Ist die Führung kurz vor Schluss knapp, können sich die Ballkinder theoretisch Zeit lassen, den Ball zurück ins Spiel zu bringen. Genau das passierte nach Ansicht der UEFA im November 2023 beim Europa-League-Spiel zwischen den Glasgow Rangers und Sparta Prag. Die Rangers bekamen eine Verwarnung von der UEFA-Disziplinarkammer, weil sie ein "unsportliches Verhalten" der Ballkinder festgestellt hatte.
Spektakulärer war ein anderer Fall: In Australien verschleppte ein Balljunge im Pokalfinale 2017 zugunsten des FC Sydney bei knapper Führung das Spiel gegen Adelaide United. Ein Spieler von Adelaide attackierte ihn, es kam zu einer Rudelbildung.
Der Spieler sah Rot, Sydney gewann den Pokal. Der Balljunge bekam die Medaille eines Spielers und durfte bei der Siegerehrung den Pokal mit entgegennehmen.
Der FC Sydney feierte 2017 einen Pokalsieg mit Ballkind (in der schwarzen Jacke)
Hazard in tätlichem Konflikt mit Balljungen, Beleidigung von De Bruyne
Auch in der Bundesliga standen Ballkinder mehrfach im Mittelpunkt. Beispielsweise, als ein Ballkind den Ball über den damaligen Stuttgarter Torwart Jens Lehmann warf und der sich über fehlenden Respekt beklagte. Kevin De Bruyne beleidigte als Wolfsburger Spieler einen Balljungen und musste eine Geldstrafe zahlen.
Auch Eden Hazard lieferte sich in seiner Zeit beim FC Chelsea 2013 in einem Spiel bei Swansea City mit einem Balljungen einen handfesten Konflikt, weil dieser den Ball nicht freigab.
Chelsea verlor, Hazard wurde für drei Spiele gesperrt, Swansea gewann am Ende den Ligapokal. Der Balljunge ist inzwischen als Besitzer einer Wodkafabrik Multimillionär. Beide versöhnten sich später.