Leverkusens Gegner Nie mehr "Vizelanta" - Bergamo will den Europa-League-Titel
Atalanta Bergamo hat sich in der Serie A aus dem Mittelmaß zum Spitzenteam entwickelt. Im Europa-League-Finale gegen Leverkusen sollen die fantastischen Vier helfen – und sich Prophezeiungen aus der griechischen Mythologie erfüllen.
Es ist ein bisschen wie früher in Leverkusen: Kurz vor dem großen Ziel und dann wieder nichts. Von "Vizelanta" wäre die Rede, gäbe es Boulevardzeitungen in Italien. In der Serie A und im italienischen Pokal ärgert Atalanta Bergamo seit Jahren die Großen, geht am Ende aber immer leer aus. Dieser Fluch soll nun besiegt werden. Das Finale der Europa League gegen Bayer Leverkusen heute (Ab 21 Uhr live in der Radio-Reportage und im Ticker bei der Sportschau), sagt Atalanta-Trainer Gian Piero Gasperini, sei "eine historische Chance".
Pokalniederlage gegen Juventus
Die bis dato letzte gute Gelegenheit verspielte Atalanta vergangene Woche. Nach zuvor eindrucksvollen Vorstellungen, inklusive der 3:0-Erfolge über Liverpool und Marseille in der Europa League und einer Siegesserie in der Serie A, unterlag Bergamo im Finale der Coppa Italia Juventus Turin mit 0:1. Es ist das dritte nationale Pokalendspiel innerhalb von fünf Jahren, in dem Atalanta als Verlierer vom Platz geht. Bei der Finalpremiere in der Europa League soll nun alles anders werden.
Sympathieträger im Land und ein innovativer Coach
In Italien drücken dafür viele die Daumen. Denn Bergamo ist Sympathieträger im Land, Atalanta die Antithese zu den Klubs des großen Geldes aus Turin und Mailand. Aktuell gibt Bergamo für sein Team gerade mal ein gutes Drittel dessen aus, was sich die Branchenriesen Juventus oder Inter ihre Mannschaften kosten lassen. Mit ihrem Low-Budget-Kurs haben die Bergamasken in dieser Saison nicht nur die Endspiele im nationalen Pokal und der Europa League erreicht, sondern sind in der Serie A als Fünftplatzierte bereits für die Champions League qualifiziert.
Erfolgsgeheimnisse Atalantas sind eine intelligente Einkaufspolitik und ein innovativer Coach. Gasperini sagt zwar über seinen Leverkusener Kollegen Xabi Alonso neidlos, dieser sei "ein Supertrainer, der eine in Europa derzeit einzigartige Mannschaft" kreiert hat, doch in Italien gilt der Atalanta-Trainer selbst als Erneuerer. Für die nächste Saison soll Neapel Interesse an ihm haben. Seit Gasperini in Bergamo vor acht Jahren übernahm, lässt er sein Team dominant und mutig nach vorne spielen. Dreimal schaffte es Atalanta in dieser Zeit auf Platz 3, qualifizierte sich mit einer Ausnahme immer für die europäischen Wettbewerbe. Nur mit einem Titel klappte es nicht. 1963, vor mehr als einem halben Jahrhundert, gewann Atalanta das einzige Mal den italienischen Pokal.
Playstation-Freund Scamacca blüht in Bergamo auf
Bergamo-Style ist, dass der Klub Sommer für Sommer einige seiner besten Akteure für gutes Geld verkauft. Dafür werden Spieler geholt, die irgendwo in der Welt von anderen übersehen wurden (2017 kam Robin Gosens aus Almelo), oder Kicker, die einen Karriereknick hinter sich haben. Wie Gianluca Scamacca, den Atalanta vor dieser Saison von West Ham United nach Italien zurücklotste. In London lief es nicht für den technisch starken Mittelstürmer, jetzt in Bergamo ist er mit wettbewerbsübergreifend 18 Treffern (6 davon in der Europa League) Leistungsträger.
Gianluca Scamacca
Der größte Feind des Tattoo-Freundes Scamacca ist seine Disziplin. Der 25-Jährige stammt aus einem sozial eher problematischen Stadtteil Roms. Sein Vater stürmte vor drei Jahren mit einem Baseball-Schläger ins Trainingszentrum der AS Rom (aus deren Jugend Scamacca stammt) und beschädigte mehrere Autos. In diesem März ließ Nationaltrainer Luciano Spalletti den formstarken Scamacca für die Länderspiele außen vor. Der Bergamo-Stürmer, heißt es in den italienischen Medien, sei zuvor im Trainingslager der Nationalmannschaft tief in der Nacht an der Playstation erwischt worden. Mit Treffern möglichst auch im Europa-League-Finale will Scamacca doch noch das Ticket für die Euro 2024 lösen.
Die fantastischen Vier der "Göttin"
Der Mittelstürmer ist einer der fantastischen Vier, die in Bergamo das Offensivspiel prägen. Wichtigster Partner ist der Belgier Charles De Ketalaere, der nach einem miserablen Jahr bei der AC Mailand bereits als überschätztes Talent galt – und jetzt unter Gasperini wieder Topleistungen abliefert. Ähnlich wie Ademola Lookman, der sich bei RB Leipzig nicht durchsetzen konnte. Hinter Atalantas starken Stürmern agiert im Mittelfeld der Niederländer Teun Koopmeiners, der sich ins Blickfeld von Juventus Turin gespielt hat.
Ein Gewinn der Europa League würde mutmaßlich ein "göttliches" Volksfest in der 120.000 Einwohnerstadt Bergamo auslösen. Die Atalanta-Fans nennen ihr Herzensteam seit Jahrzehnten ehrfurchtsvoll "la Dea", die Göttin. Die für den Verein namensgebende Atalante ist in der griechischen Mythologie eine zunächst unterschätzte Jägerin – die ihre Gegner dann zur Strecke bringt.