Radsport Marco Pantani - tragisch gestorben und verehrt wie ein Held
Sein Tod vor 20 Jahren wirft noch immer Rätsel auf, gefeiert wird er in seiner italienischen Heimat aber nach wie vor wie ein Held: der Radsportler Marco Pantani.
Das "Hotel der Rätsel" ("Gazzetta dello Sport") an der Strandstraße in Rimini empfängt seine Gäste freundlich. In der Lounge plätschert Musik, durch die große Fensterfront ist ein blau schimmernder Pool mit warm dampfendem Wasser zu sehen, in dem sich an diesem kühlen Februar-Abend ein Paar treiben lässt. Die junge Frau im türkisfarbenen Kostüm empfiehlt beim Check-in die Spa-Angebote des Hauses. Sie bleibt freundlich-professionell, auch als die Rede auf die dunkle Vergangenheit des Hotels kommt. Es habe sich hier alles verändert, erläutert sie offensichtlich nicht zum ersten Mal, das Haus sei komplett umgebaut wordent, "seit dem, was hier vor zwanzig Jahren passiert ist".
Tot im Hotelzimmer aufgefunden
Es war der 14. Februar 2004, kurz nach 21 Uhr, als sich die Notärztin Marisa Nicolini vergeblich bemühte, den beliebtesten Radsportler des Landes wiederzubeleben. Marco Pantani war tot. Der Portier hatte zuvor das Apartment D5 im fünften Stock der Residence Le Rose aufgebrochen, nachdem Pantani auf mehrere Anrufe nicht reagiert hatte. Der leblose Körper des Giro- und Tourgewinners lag inmitten eines verwüsteten Zimmers. Viele Rätsel darum, was sich in den Stunden vorher dort ereignet hat, sind bis heute nicht gelöst. Das schnelle Urteil der Gerichtsmediziener damals lautete: Suizid durch eine Überdosis Kokain. Das Radsportidol Pantani, gestorben wie ein Junkie. In seiner Heimat aber wird er bis heute verehrt wie ein Held.
Bis heute verehrt wie ein Held
Um dies zu spüren, reicht es, aus Rimini die Strandstraße gut 20 Kilometer nach Norden zu fahren. Nach Cesenatico, wo Pantani aufgewachsen ist und zu Hause war. An der Strandpromenade haben die Gemeindeverantwortlichen ihm ein Denkmal gesetzt, trotz Dopingvorwürfen und Drogentod. Pantani auf dem Rennrad, als lebensgroße Statue. Die Bronzetafel darunter erinnert an den "großen Champion", der mit seinen "unvergesslichen Heldentaten beim Giro d'Italia und der Tour de France Millionen Fans zum Träumen gebracht hat". Auf dem Friedhof des Ortes ist Pantani in einem Schrein aus weißem Marmor bestattet - die Inschrift: "Ganz oben auf dem Podium, für immer." Dopingvorwürfe und Drogentod sind hier weit weg.
Vom Pantani-Denkmal zum Pantani-Museum sind es 30 Minuten zu Fuß. Mit Passanten am pittoresken Kanal im Ortszentrum Cesenaticos kommt man schnell über Pantani ins Gespräch. "Er ist immer noch so beliebt, weil er auch in seinen größten Zeiten nie hochnäsig und für alle ansprechbar war", erzählt Daniele Balestri, der Pantanis Triumphe als junger Fan erlebt hat. Das ganze Land habe ihn geliebt für seine anarchische Art des Radfahrens, für seine mutigen Attacken am Berg, die sich kein anderer getraut habe. Noch heute sind Radsportklubs in Italien nach Pantani benannt, Denkmäler für ihn stehen auch in Fondi in der Nähe von Rom und in der Maremma in der Toskana. Auf dem Montecampione haben sie vor drei Jahren eine sechs Meter hohe Statue errichtet, die an den Sieg Pantanis auf der dortigen Bergetappe erinnert.
Museum erinnert an Pantanis Erfolge
Im Museum am Bahnhof Cesenatico wartet Serena Boschetti und führt durch die Räume. Das erste Fahrrad, auf dem der kleine Marco für die Radsportgemeinschaft "Fausto Coppi Cesenatico" die ersten Siege einfuhr. Erinnerungen an die ersten legendären Siege auf den Bergetappen der Tour de France und des Giro d’Italia. Das Rosa Trikot des Giro und das Gelbe Trikot der Tour, die beiden großen Rundfahrten, die Pantani 1998 als bislang letzter Radsportler innerhalb eines Jahres gewann. Und mehr als ein halbes Dutzend der Bandanas Pantanis, der zusammengeknoteten Kopftücher. Als Sonnenschutz hat er sie sich über seine Glatze gezogen, es trug ihm den Spitzennamen "il pirata", der Pirat, ein. Wenn sich Pantani das Bandana am Berg vom Kopf riss, wussten Gegner und Fans: Jetzt startet er seine Attacke.
Doping-Verdacht treibt Pantani in Krise
Serena Boschetti ist die Nichte Pantanis. Sie glaubt nicht, dass ihr Onkel sich selbst getötet hat. Und bestreitet, dass Pantani gedopt war. Für ihren Onkel sei "eine Welt zusammengebrochen", als er im Giro 1999 in Madonna di Campiglio wegen eines zu hohen Hämatokrit-Wertes aus dem Rennen musste – zwei Tage vor dem Ende der Rundfahrt, als Führender im Gesamtklassement, mit fünf Minuten Vorsprung auf die Konkurrenz. Ein zu hoher Hämatokrit-Wert gilt als Zeichen für Blutdoping, damals mussten die Fahrer allerdings offiziell zum gesundheitlichen Selbstschutz das Rennen abbrechen.
"Die Staatsanwälte in Forlì haben 2014 erklärt, die Proben seien manipuliert worden", erklärt Boschetti. B-Proben habe es damals noch nicht gegeben und so führte ein gemessener Hämatokrit-Wert von 52 Prozent (Grenzwert waren 50 Prozent) zum Ausschluss Pantanis: "An diesem Tag ist er in eine große Krise gestürzt, weil plötzlich niemand mehr an ihn geglaubt hat", sagt Boschetti. Davon habe sich ihr Onkel nie mehr erholt. Es sei der Anfang vom Ende, sein "erster Tod" gewesen.
Rätsel über vermeintliches Doping beiben
Die Familie Pantanis und seine Fans vertreten bis heute die These, der Ausschluss vom Giro 1999 sei ein Komplott gewesen. Unter anderem, weil ein Test, den Pantani in einem anerkannten Labor am Nachmittag desselben Tages machte, einen Hämatokrit-Wert deutlich unterhalb des Grenzwertes ergab. Jahre später tauchten Aussagen eines Mafia-Kronzeugen auf, wonach die neapolitanische Mafia den Test habe manipulieren lassen, um in illegalen Wetten gegen Pantani Millionen zu gewinnen.
Marco Travaglio schüttelt darüber den Kopf. "Von wegen Komplott", sagt Italiens bekanntester Investigativjournalist. Pantani sei ein Dopingsünder gewesen und als er beim Dopen erwischt wurde, seien Legenden geknüpft worden. "So ist das in Italien häufig bei Menschen, die Erfolg haben, egal, ob sie diesen legal erreicht haben", meint der Chefredakteur der Zeitung "Il Fatto Quotidiano" und vergleicht Pantani mit den Fällen der Politiker Silvio Berlusconi und Bettino Craxi.
"Hexenjagd" treibt Pantani in Depression
Es sei gerichtsfest, dass Pantani Blutdoping betrieben hat, meint Travaglio. Er verweist auf die Untersuchungen im Zusammenhang mit Pantanis Unfall 1995, als er beim Eintagesrennen Mailand-Turin durch ein Auto schwer verletzt wurde. Vor der Operation im Krankenhaus seien Bluttests gemacht worden. Dabei sei ein Hämatokrit-Wert von 60,1 Prozent festgestellt worden. "Blut, dickflüssig wie Marmelade", sagt Travaglio, zu erklären nur mit Blutdoping durch EPO. Er könne menschlich nachvollziehen, dass die Familie Pantanis sich das Bild eines "sauberen Helden" wünsche, meint Travaglio, aber die Fakten sagten anderes. Auch die Anti-Doping-Kommission des französischen Senats führt Pantani in ihrem Untersuchungsbericht 2013 als einen der Fahrer auf, die (wie auch Jan Ullrich) während der Tour de France mit EPO gedopt waren.
Marco Ceniti, der für die "Gazzetta dello Sport" arbeitet, hat zum 20. Todestag ein Buch veröffentlicht, in dem er in Romanform die Lebensgeschichte Pantanis erzählt. Es seien damals in der Tat "dunkle Jahre für den Radsport" gewesen, meint auch Ceniti. Bis zum Jahr 2000 sei EPO nicht nachweisbar gewesen, daher seien vermutlich alle "auf diese Art und Weise gefahren". Was Pantani zerstört habe, sagt Ceniti, sei die Tatsache, dass er in den Medien lange als "einzig fauler Apfel" behandelt wurde. Der Giro- und Toursieger musste sich in Italien sieben Prozessen stellen, nie ist er verurteilt worden. Die "Hexenjagd" aber, meint Ceniti, habe Pantani in die Depression und zum Kokain getrieben.
Pantanis Tod "immer noch ungeklärtes Kapitel"
Der Tod Pantanis in der Hotel-Residenz in Rimini ist für Ceniti ein "dunkles, immer noch ungeklärtes Kapitel". Der gefallene Radstar habe sich damals schon im Drogentunnel befunden, meint Ceniti: "Marco hat gedacht: Ich bin stark, ich habe die Berge besiegt und dann kann ich auch das Kokain kontrollieren." Ceniti bezweifelt allerdings, dass Pantani sich mit einer Überdosis Kokain getötet hat. Sein Vorwurf: Die Polizei habe damals im höchsten Maße schlampig gearbeitet. Sehr schnell habe sie sich auf die These "Suizid durch Überdosis" festgelegt und beispielsweise keine Fingerabdrücke im Zimmer genommen. Obwohl Pantanis Leiche mehrere Verletzungen unter anderem am Kopf aufwies, obwohl Pantani unter anderem dem Hotelportier berichtet hatte, er fühle sich verfolgt, obwohl im Hotelzimmer eine Box mit chinesischem Essen gefunden wurde, das Pantani nie mochte, und obwohl die Kokainmenge, die in Pantanis Körper nachgewiesen wurde, fünfzehnmal über der Grenze einer tödliche Kokainmenge lag.
Neue Ermittlungen ergeben keine Erkenntnis
Pantanis Familie hat vor einigen Monaten eine weitere Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft Rimini angestrengt, um zu beweisen, dass es vor zwanzig Jahren kein Suizid, kein Drogenunfall, sondern Mord war. Die Mutter Pantanis vertritt die These, die extrem hohe Menge an Kokain sei ihrem Sohn eingeflößt worden. In den Tagen vor dem Tod hatte sie gedroht, sie würde jeden in Rimini anzeigen, der ihrem Sohn noch einmal Drogen verkaufen würde.
Vergangene Woche aber berichteten mehrere italienische Zeitungen, auch die aktuellen Untersuchungen hätten keine neuen Erkenntnisse darüber gebracht, was im Hotel an der Strandstraße in Rimini vor 20 Jahren geschehen ist. Die Ermittlungen würden in Kürze eingestellt. Die Justiz gehe weiter davon aus, dass Italiens berühmtester Radfahrer durch eine Überdosis Kokain gestorben ist. Ohne Fremdeinwirkung.
Rekonstruktionen des Tathergangs sind zwanzig Jahre danach nicht mehr möglich. Seit dem Umbau des Hotels gibt es das Zimmer D5 nicht mehr.