Objekt der Begierde: der Henkelpott

Königsklasse im neuen Format Champions League - Neustart ins Ungewisse

Stand: 16.09.2024 14:37 Uhr

Mehr Vielfalt und mehr Spannung, aber auch mehr Spiele und mehr Belastung: An der neuen Champions League scheiden sich die Geister. Bei den Bundesligisten überwiegt die Vorfreude.

Viele beim VfB Stuttgart würden jenen 17. März 2010 gerne aus der Erinnerung löschen. Das im Umbau befindliche Camp Nou erlebte wieder einen Lionel Messi in Hochform, als der Bundesligist im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League gegen die damals noch von Pep Guardiola befehligten Katalanen mit 0:4 unterging.

Jens Lehmann im Tor, Sami Khedira im Mittelfeld und Cacau im Sturm waren auf der Gegenseite nicht gut genug. Es fühlte sich für die Schwaben wie ein Abschied auf unbestimmte Zeit aus der Königsklasse an, doch jetzt geht's beim Comeback gleich zum Barça-Erzrivalen und Titelverteidiger Real Madrid (Dienstag 21 Uhr).

Viele der fast 15.000 VfB-Fans wollen T-Shirts mit der Aufschrift tragen: "Stuttgart international - nach all der Scheiße geht's auf Reise." Der Vizemeister bündelt zum Auftakt das Interesse aus der Bundesliga, die fürs gute Abschneiden zuletzt mit einem fünften Startplatz belohnt wurde, wovon ausgerechnet Borussia Dortmund als Champions-League-Finalist profitierte, der bei Club Brügge (Mittwoch, 21 Uhr) startet. Davor ist der FC Bayern gegen Dinamo Zabreb (Dienstag, 21 Uhr) dran, danach Bayer Leverkusen bei Feyenoord Rotterdam (Donnerstag, 18.45 Uhr) und RB Leipzig bei Atlético Madrid (Donnerstag, 21 Uhr).

Langer Weg nach München

Insgesamt braucht es 189 Begegnungen, um den neuen Champion-League-Sieger zu ermitteln. Am 31. Mai 2025 steigt das Finale in München. Deshalb muss Bayern-Vorstand Max Eberl wohl sagen: "Ich bin gespannt. Es kribbelt schon." Sein Coach Vincent Kompany weiß, dass die Königsklasse der Gradmesser für einen Trainer beim Rekordmeister ist.

Klubs wie Paris St. Germain, Manchester City, Juventus Turin, FC Barcelona, Real Madrid oder FC Arsenal gelten neben den Bayern als erste Anwärter auf den Henkelpott.  Es ist nicht zu verhindern, dass die üblichen Verdächtigen wohl spätestens im Frühjahr auf der so genannten "Road to Munich" unter sich sind, aber auch Slovan Bratislava, Sturm Graz, Young Boys Bern oder Schachtar Donezk haben zumindest Hoffnungen auf eine K.-o-Runde - und wenn es nur die neuen Playoffs sind.

Größte Reform seit 1992

Der Wettbewerb hat schließlich die größte Reform seit seiner Namensgebung 1992 erfahren, als der Europapokal der Landesmeister in die Champions Leauge überführt wurde. Die durch die Super-League-Bestrebungen massiv unter Druck gesetzte Europäische Fußball-Union UEFA hat mit der mächtigen Klubvereinigung ECA lange getüftelt, einen Modus zu finden, der einerseits deutlich mehr Spiele zur Steigerung der Einnahmen bringt, aber gleichzeitig dem Eindruck einer Verwässerung entgegensteht.

Niemand weiß so genau, ob das Liga-System zum Erfolgsmodell taugt. Dass der Europapokal einen noch breiteren Raum einnimmt im öffentlichen Erscheinungsbild ist durch die Ausweitung auf noch mehr Termine unbestritten. Bayerns Vorstandschef Jan-Christian Dreesen gehörte zu den klaren Befürwortern: "Die Idee, die dahintersteckt, ist, dass wir die 'toten Spiele' am Ende einer Gruppenphase, wenn die ersten zwei Mannschaften quasi schon nach vier Spieltagen feststehen, nicht mehr haben. Da erhoffe ich mir in der Tat mehr Spannung."

Exklusive Termine bringen mehr Vermarktungsmöglichkeiten

Zudem scheint mit acht unterschiedlichen Gegnern mehr Vielfalt gegeben, weil früher viele der acht Vierer-Gruppen zu vorhersehbar wirkten. Dass der erste Champions-League-Spieltag sich exklusiv über drei Tage streckt und Europa League und Conference League bis zum Startschuss eine weitere Woche warten müssen, zeigt, wie groß das Geltungsbedürfnis des Geldadels ist. Noch mehr exklusivere Schaufenster bringen bessere Vermarktungsoptionen. Das bisherige Rampenlicht reichte offenbar nicht - und der Reibach erst recht nicht.

Neuerdings erwirtschaftet die UEFA stolze 4,4 Milliarden Euro statt bisher 3,5 Milliarden nur über die Europapokalwettbewerbe. Fast 2,5 Milliarden gehen an die Klubs der Champions League. Die Garantiesummen für die regelmäßigen Teilnehmer sind längst so hoch, dass sie einen eklatanten Wettbewerbsvorteil bringen. So viele Solidaritätszahlungen kann es gar nicht geben, um dieses Gefälle in den nationalen Ligen auszugleichen.

Carlo Ancelotti findet den Zeitplan zu anspruchsvoll

Um ein Dutzend Teams zu eliminieren, sind bis Ende Januar 144 der 189 Begegnungen nötig. Was über den Winter viele Kräfte kostet, die im Sommer bei einem großen Turnier erkennbar fehlen. Franzosen, Belgier und auch Engländer wirkten schon jetzt bei der EM in Deutschland ermattet.

Am Montag (16.09.2024) trat mit Carlo Ancelotti ein weiterer prominenter Kritiker auf. "Der Zeitplan ist zu anspruchsvoll", sagte der Trainer von Real Madrid: "Wenn die Dachverbände nicht anfangen darüber nachzudenken, dass die Spieler sich verletzen, weil sie zu viel spielen, haben wir ein Problem." Er setze sich für weniger Partien ein, um "attraktivere Wettbewerbe" zu gewährleisten.

Kritik am vollen Terminkalender

Auch Topspieler aus England schlagen vermehrt Alarm. "Der Terminkalender ist komplett verrückt", klagte der Portugiese Bernardo Silva. Und der Schweizer Manuel Akanji kritisierte: "Man kann nicht einfach immer mehr Spiele hinzufügen und davon ausgehen, dass alles so weiter läuft wie bisher." Nur die UEFA will den Zusammenhang irgendwie nicht wahrhaben - oder zumindest nicht thematisieren.

Die Spielergewerkschaft FIFPRO hat in erster Linie den Weltverband FIFA für die auch noch in den Kalender gepresste Klub-WM im Sommer 2025 aufs Korn genommen und eine Klage angestrengt, deren Ausgang offen ist. Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) meldete erst kürzlich an, bei der Kalendergestaltung bitte stärker einbezogen zu werden.

Reichlich spät, denn für die nächsten Jahre haben FIFA und UEFA alles festgezurrt. Dass es danach weniger werden könnte, scheint reine Illusion. Dafür profitieren alle zu massiv von der Maschinerie. Neuerdings auch wieder ein 1893 in der baden-württembergischen Landeshauptstadt gegründeter Verein für Bewegungsspiele.