Borussia Mönchengladbachs Sportdirektor Roland Virkus

Borussia Mönchengladbach Warum Virkus mit Seoane ins Risiko geht

Stand: 06.06.2023 19:50 Uhr

Der VfL geht ins Risiko: Nach Adi Hütter und Daniel Farke hat jetzt auch Gerardo Seoane als neuer Cheftrainer von Borussia Mönchengladbach am Dienstag (06.06.2023) einen Dreijahres-Vertrag unterschrieben. Die beiden Vorgänger entließ Sportchef Roland Virkus nach nur einer Saison - er bekommt nun neben dem Coach noch einen neuen Mitarbeiter.

Dessen Nachname ist in der Fußball-Bundesliga bestens bekannt. Nils Schmadtke wird beim VfL die Position des "Sportdirektors Lizenz" übernehmen, er soll laut Virkus "den Lizenzspielerbereich organisatorisch leiten". In der Praxis dürfte es darauf hinauslaufen, dass der Sohn von Ex-Keeper und jetzt Liverpool-Manager Jörg Schmadtke auch größere Teile der Öffentlichkeitsarbeit übernimmt. Die zählte bisher nicht zu den beliebtesten Arbeitsbereichen von Virkus, an den regelmäßigen Pressekonferenzen vor den Bundesligaspielen nahm er maximal im Zwei-Wochen-Rhythmus teil.

Mehrere Top-Spieler gehen ablösefrei

Aber auch bei der nun bevorstehenden kompletten sportlichen Neuausrichtung des Kaders, der Farke zum Scheitern brachte, braucht Virkus sicher jede gute Idee und jede helfende Hand. Das große Problem dabei: Viel Geld ist nicht da. Die Top-Stars Marcus Thuram und Ramy Bensebaini sowie Kapitän Lars Stindl gingen bekanntlich abslösefrei, ein schwerer Management-Fehler, den viele beim VfL noch Virkus' Vorgänger Max Eberl anlasten.

Um Seoane die Spieler zur Verfügung zu stellen, mit denen das Sprachgenie (er beherrscht sieben Sprachen fließend) seinen explosiven Umschalt-Fußball umsetzen kann, müssten Virkus, Schmadtke und Scouting-Chef Steffen Korell eigentlich zaubern können. Genau an diesem Ansatz verzweifelte auch schon Hütter, der auf Sportschau-Nachfrage nach seiner Entlassung im Mai 2022 zugab: "Als ich hier anfing, wurden mir neue Spieler versprochen, die dann aber nicht gekommen sind."

Auch Farke hätte gerne schnellere Spieler gehabt

Bei Farke war das ähnlich, wenn auch seine Fußballidee nie wirklich erkennbar wurde. Doch auch er prangerte am Ende der Saison das Missverhältnis von Kaderbeschaffenheit und Erwartungshaltung deutlich an: "Glauben Sie mir, dass meine Mannschaft in Norwich zu den lauf- und sprintstärksten Teams in der Premier League gehörte. Hier war der Ansatz eben ein etwas anderer, der Fokus lag auf dem Fußballerischen, nicht auf Kampf und Tempo. Natürlich möchte man Florian Neuhaus, Chris Kramer, Alassane Plea, Lars Stindl, Julian Weigl oder Tony Jantschke von außen gern mal zurufen, jetzt lauft doch schneller. Aber das ging halt nicht. Und deshalb muss man diesem Kader extern die Dinge hinzufügen, die fehlen: Schnelligkeit, Widerstandsfähigkeit, das Würdigen jedes einzelnen Ligaspiels und nicht nur der Highlightpartien."

Farke hätte in der kommenden Saison noch gern von seinen klar ausgesprochenen Forderungen profitiert. Doch Virkus traute ihm offenbar auch mit Tempofußballern nicht das zu, was sich der Verein vorstellt. Eine der Säulen, die Virkus erwartet hatte, sieht er nun bei Seoane als gesichert an. Farke ließ, und das ging frontal gegen die DNA der "Fohlen", die jungen Spieler weitgehend links liegen. Seoane steht im Gegensatz dazu mit seiner Vita für das Fördern von Talenten: Acht Jahre lang arbeitete er in der Schweiz im Nachwuchsbereich, sorgte dann mit viel Mut und jugendlichem Elan bei den Young Boys Bern für die komplette Wachablösung des jahrelang dominierenden FC Basel.

Abgänge von Neuhaus, Elvedi und Koné sind möglich

Damit sich Seoane, der Bayer Leverkusen in seiner ersten Saison furios (80 Tore) in die Champions League führte, aber nicht nur auf sein Händchen bei jungen Spielern verlassen muss, hat Virkus eine Zwickmühle zu bewältigen. Er muss in erster Linie für die Kompensation der Abgänge sorgen, vor allem im Offensivbereich: Mit Thuram und Stindl gehen 21 Tore und 13 Vorlagen.

Parallel dazu müssen Virkus und jetzt auch Schmadtke junior jetzt aber auch verhindern, dass im nächsten Jahr schon wieder mehrere Hochkaräter ablösefrei gehen: Unter anderem Nico Elvedi und Florian Neuhaus haben nur noch ein Jahr einen Vertrag, wenn sie nicht verlängern, müssten sie jetzt noch verkauft werden. Auch der Verbleib von Manu Koné (Vertrag bis 2025) ist nicht sicher, bei ihm wäre der VfL ab einer Ablöse im 30-Millionen-Euro-Bereich gesprächsbereit.

Polanski und Geraerts im Fokus

Gute neue Spieler sind noch nicht da, gute alte Spieler könnten noch gehen: Der Neustart mit Seoane könnte kaum komplizierter sein. Derzeit ist völlig unklar, mit welchem Personal der Schweizer mit spanischem Pass seine Vorstellungen umsetzen soll. Umso mutiger ist es von Virkus, es zum dritten Mal in Serie mit einem so langen Vertrag für einen neuen Trainer zu versuchen.

Virkus setzt dabei auf Seoanes "Erfahrung, die er trotz seines jungen Alters bereits gesammelt hat". Diese sprach am Ende in Gladbach gegen den U-23-Trainer und Ex-Profi Eugen Polanski, der gerade seine UEFA-Pro-Lizenz baut und den Job gerne übernommen hätte. Kontaktiert wurde laut der belgischen Zeitung "Nieuwsblad" auch Karel Geraerts vom Überraschungsklub Union St. Gilloise. Der 41-Jährige gilt als hochinnovativ, hat aber erst ein Trainerjahr auf Top-Niveau gesammelt. Das war Virkus bei all den zu bewältigenden Unwägbarkeiten dann wohl doch zu riskant.