Eishockey-WM Eis-Überraschung - Deutschland schießt sich ins Halbfinale
Mit Leidenschaft, Nervenstärke und Eiseskälte vor dem Schweizer Tor hat sich Deutschland am Donnerstag (25.05.2023) sensationell ins Halbfinale der Eishockey-WM geschossen. Jetzt winkt die erste Medaille seit 70 Jahren - die Teilnahme am olympischen Turnier 2026 in Mailand und Cortina d'Ampezzo ist durch den 3:1 (1:0, 2:1, 0:0)-Erfolg bereits gesichert. Im Halbfinale warten nun am Samstag um 17.20 Uhr in Tampere die USA (Live-Ticker bei sportschau.de).
Die Schweizer, die durch das bisherige Turnier mit einer Gala nach der anderen gestürmt waren, überraschten zunächst mit einer Änderung auf der Torhüter-Position. Nicht Leonardo Genoni, der die beste Fangquote aller WM-Goalies aufwies, stand zwischen den Pfosten, sondern Robert Mayer.
Das erwies sich gleich im ersten Drittel als äußerst gewagt. Deutschland geriet zwar zunächst etwas unter Druck, befreite sich aber schnell und hatte die ersten Chancen.
Schweiz-Goalie Mayer wackelt
Einen Versuch von Marcel Noebels konnte Mayer mit dem Schoner noch parieren (7.), Sekunden später war er aber geschlagen: Jonas Müller eroberte im eigenen Drittel die Scheibe, schickte Maximilian Kastner auf die Reise, der aus verdeckter Position einen eher harmlosen Schuss abgab. Mayer hatte die Scheibe scheinbar schon sicher, ehe sie ihm wieder rausrutschte und hinter seinem Rücken im Zeitlupentempo über die Linie trudelte: 1:0 für den klaren Außenseiter nach einem katastrophalen Torwartfehler.
Mayer schien geschockt, ließ eine Minute später auch den Handgelenksschuss von Nico Sturm nach vorn abprallen. Parallel dazu stockte das im bisherigen Turnierverlauf so fulminante Offensivspiel der Eis-Genossen, weil die Deutschen effektiv den Aufbau störten und die Checks konsequent zu Ende fuhren. Das Wenige, was durchkam, landete im ersten Drittel stets sicher bei Goalie Mathias Niederberger.
Stockschlag vor dem Ausgleich nicht geahndet
Torschütze Kastner lobte in der Drittelpause bei Sport1, dass sein Treffer den Rhythmus der Schweizer unterbrochen habe und warnte vor einer erneuten Druckphase zu Beginn des zweiten Durchgangs. Genau die trat aber ein - und diesmal auch mit Folgen: Nach nur 47 Sekunden musste Niederberger den Schuss von Jonas Siegenthaler aus zentraler Position passieren lassen.
Allerdings hätte der 1:1-Ausgleich nicht zählen dürfen. Moritz Seider hatte Sekunden zuvor einen klaren Stockschlag von Kevin Fiala abbekommen, dessen Schläger dabei sogar zerbrach. Das war eine Fehlentscheidung mit Mehrfach-Nachwirkung.
Spieldauer-Strafe für Seider nach Bandencheck
Nach dem Ausgleichstreffer verdaddelte Deutschland zunächst eine vierminütige Überzahl, dann rammte der offenbar immer noch wütende Seider den Schweizer Gaetan Haas von hinten in die Bande. Nach Video-Überprüfung gab es dafür fünf Strafminuten plus Spieldauer-Disziplinarstrafe - für den besten DEB-Verteidiger war dadurch schon nach einer halben Stunde vorzeitig Feierabend. Immerhin: Die fünfminütige Unterzahl überstand die Kreis-Auswahl mit herausragendem Einsatz und einem weiterhin brillanten Niederberger.
Fast das gesamte zweite Drittel blieben die Schweizer am Drücker, doch eine Angriffswelle nach der anderen wurde geblockt. Als die Power dann ein bisschen nachließ, konterten die Deutschen eiskalt: John-Jason Peterka vollendete eine Super-Kombination mit einem Kracher ins linke Eck (38.) zur 2:1-Führung. Die Schweiz kam noch einmal, Maksymilian Szuber musste für zwei Minuten auf die Strafbank und der Ausgleich drohte. Doch in Unterzahl fuhren die Deutschen das nächste Break: Wojciech Stachowiak nahm im Zwei-gegen-Eins brillant Nico Sturm mit, der per One-timer zum 3:1 vollstreckte (39.).
Müller und Stachowiak vergeben Riesenchance
Im Schlussdrittel hatten die Deutschen dann aus den beiden Abschnitten zuvor gelernt. Diesmal ließen sie sich nicht zurückdrängen, störten die Schweizer Angriffe schon in der neutralen Zone und fuhren immer wieder eigene Angriffe. Trotzdem musste Niederberger immer wieder mal eingreifen, die klarste Chance hatten aber acht Minuten vor dem Ende die Deutschen: Justin Schütz knallte die Scheibe an den Innenpfosten, Stachowiak drückte den Abpraller Zentimeter am leeren Tor vorbei.
Beeindruckend: In den Schlussminuten schaffte es das Team von Harold Kreis, kaum noch gegnerische Chancen zuzulassen. Die Zweikampfführung war herausragend, den Schweizern fiel offensiv so gut wie gar nichts mehr ein. Schon knapp vier Minuten vor dem Ende nahm Coach Patrick Fischer seinen Goalie vom Eis, doch auch gegen sechs Feldspieler verteidgte Deutschland cool und konsequent bis zur Schlusssirene - wie ein echter WM-Medaillenkandidat.
Sturm träumt sogar vom Titel
Oder ist sogar der Titel möglich? Was ist noch drin? "Alles", antwortete Nico Sturm: "Warum sollen wir nicht noch zwei Spiele gewinnen?" Der Stanley-Cup-Sieger war mit seinen Teamkollegen weit über die Schmerzgrenze hinausgegangen. "Die letzten zehn Minuten habe ich meine Beine gar nicht mehr gespürt. Ich bin unheimlich stolz auf die Mannschaft, wie jeder für jeden gekämpft hat. Unglaublich", sagte Sturm.
Bundestrainer Harold Kreis war ebenfalls begeistert: "Ich kann immer wieder nur meinen Hut ziehen. Wir wissen, dass es nur über das bedingungslose Füreinander und Miteinander geht." John-Jason Peterka betonte: "Wir haben alle für Moritz gespielt, die Strafe muss man nicht geben. Es war aber unglaublich, wie sich jeder reingeworfen hat. Spielerisch müssen wir uns nicht verstecken, aber am Ende zeichnet uns aus, wie wir füreinander kämpfen."