Box-Profi Vincenzo Gualtieri "Rocky"-Schüler und WM-Hoffnungsträger
Das Profiboxen in Deutschland lechzt nach einer Heldenerzählung. Der Wuppertaler Vincenzo Gualtieri hat jetzt die große Chance, diese zu liefern. Er kämpft in seiner Heimatstadt um einen großen WM-Titel - einen, den seit langer Zeit kein Boxer aus Deutschland mehr hielt.
Es gibt Abende, die können eine Sportkarriere komplett verändern. Box-Legende Graciano Rocchigiani erlebte einen solchen am 11. März 1988. Als er den Boxring an diesem Abend verließ, war er auf dem Weg zum Ruhm: Weltmeister beim großen Verband IBF, der jüngste, der in Deutschland einen großen Titel gewann. "Rocky" war nie unumstritten, immer wieder auch mal mit dem Gesetz im Konflikt. Doch in den 90ern wurde er zu einem echten Star über den Sport hinaus.
Rocchigiani als Vorbild und Mentor
Vincenzo Gualtieri stört es nicht, ständig auf "Rocky" angesprochen zu werden. Dafür sind die Parallelen zu deutlich, die Bande zwischen beiden zu eng. Beide haben italienische Wurzeln, beide begannen früh mit dem Boxen. Und beide verbindet noch viel mehr. "Das war eine Freundschaft, ein familiäres Verhältnis", sagt Vincenzo Gualtieri im Gespräch mit der Sportschau.
"Rocky" ein Teil der Familie
Graciano Rocchigiani entdeckte den Wuppertaler schon, als Gualtieri als Junge in "Rockys" Duisburger Box-Gym zum Training kam. Als "Rocky" sich 2015 als Boxpromoter versuchte, nahm er als erstes Vincenzo Gualtieri unter Vertrag. Bis zum tragischen Unfalltod der Boxlegende im Jahr 2018 waren beide in engem Kontakt, die Familien sind befreundet. "Er wird immer ein Teil von mir und meiner Familie bleiben", sagt Gualtieri. Und er hofft darauf, am Samstag (01.07.2023) einen Abend zu erleben, wie sein Mentor im März 1988.
Der IBF-WM-Gürtel winkt
Am Samstag steigt Vincenzo Gualtieri wieder in den Ring. Es ist der Kampf seines Lebens, der Kampf um die Weltmeisterschaft im Mittelgewicht. Wie bei Rocchigiani geht es um den Titel des großen Verbands IBF, wie sollte es auch anders sein.
Dass Gualtieri um diesen Titel kämpfen darf, ist auch eine glückliche Fügung. Ex-Mittelgewichts-König Gennady Golovkin legte zuletzt all seine WM-Gürtel nieder. Deshalb werden die Verhältnisse im Mittelgewicht neu ausgeboxt und Vincenzo Gualtieri ist in der IBF-Rangliste mehr oder weniger zur richtigen Zeit am richtigen Ort positioniert.
Chance für das Boxen in Deutschland
Es ist nicht nur ein Glücksfall für Gualtieri - sondern für das Profiboxen in Deutschland insgesamt. Einen Kampf um einen vergleichbaren Titel gab es in Deutschland zuletzt 2016. Seitdem mussten Boxer dafür immer ins Ausland reisen. Und dort haben sie es oft schwer, die Punktrichter in engen Kämpfen von sich zu überzeugen. Entsprechend gab es seit Artur Abraham und Felix Sturm keinen Boxer aus Deutschland mehr, der einen Gürtel von vergleichbarer Bedeutung gewinnen konnte.
"Wenn Vincenzo gewinnt, haben wir aus meiner Sicht eine gute Chance, an erfolgreichere Zeiten im Boxen in Deutschland anzuknüpfen", sagt Ingo Volckmann im Sportschau-Interview: "Wir haben gute Boxer in Deutschland." Volckmann ist Chef von "AGON-Sports", der Boxpromotion, bei der Vincenzo Gualtieri unter Vertrag ist. Für diese große Chance war er bereit, einiges zu investieren.
US-Größe ausgestochen
Durchaus überraschend hat "AGON-Sports" den US-Riesen "Top Rank" beim Bieterverfahren um das Austragungsrecht für den Kampf ausgestochen, das Unternehmen von Promoter-Legende Bob Arum. "Ich sage meinen Boxern immer: 'Wenn wir nach England oder Amerika gehen, müsst ihr zwei Runden mehr gewinnen, als in Deutschland, sonst gewinnt ihr den Kampf nicht'", so Volckmann: "Deshalb wollten wir das Event unbedingt nach Deutschland holen."
Der Gegner ist der Favorit
Trotz des Heimspiels ist Gualtieri der Außenseiter. Sein Gegner, Esquiva Falcao aus Brasilien, war ein echter Top-Amateur, gewann 2012 Olympia-Silber. Als Profi ist er in 30 Kämpfen ungeschlagen, 20 Mal davon gewann er durch K.o.. Doch auch ihm fehlen bisher die ganz großen Gegner in seiner Profi-Vita. Und Vincenzo Gualtieri sieht sich konditionell im Vorteil: "Ich bin schon häufig über zwölf Runden gegangen. Ich bin zu 200 Prozent in WM-Form". Falcao bestritt noch nie einen Kampf über die volle Distanz. Zudem stand er schon seit über einem Jahr nicht mehr im Ring.
Gualtieris Gegner Esquiva Falcao
"Rocky"-Parallele als Zusatzmotivation
Gualtieri sieht es dabei aus mehreren Gründen als Vorteil, dass der Kampf in Wuppertal stattfindet. Denn auch Mentor Graciano Rocchigiani gewann seinen ersten WM-Titel in Nordrhein-Westfalen - in Düsseldorf, nur wenige Kilometer von Wuppertal entfernt. "Es wird ein gutes Omen sein, dass der Kampf damals auch in NRW stattfand", sagt er: "Jetzt sind wir wieder in NRW und deshalb denke ich, dass ich den Ring als Sieger verlassen werde." Käme es so, würde das dem Profiboxen in Deutschland vielleicht neues Leben einhauchen. Ganz sicher aber wäre es einer dieser Abende, die eine Sportkarriere komplett verändern.