Gestiegene Erwartungshaltung Deutsche Basketballer: Auf einmal ein WM-Favorit
Deutschlands Basketballer fahren nach einer starken Vorbereitung als einer der Turnierfavoriten zur WM nach Asien. Die Bronzemedaille bei der EM im Vorjahr soll nicht als Ausnahmeerfolg gelten, das Team um NBA-Spielmacher Dennis Schröder trägt die gestiegene Erwartungshaltung inzwischen mit.
Austin Reaves zeigte beim letzten Härtetest vor der WM, dass er zu einem der Stars des Turniers werden könnte: Beim 99:91-Erfolg der USA gegen Deutschland am Sonntagabend (20.08.2023) in Abu Dhabi erzielte der Lakers-Guard 16 Punkte, in gerade einmal 18 Minuten auf dem Parkett, und unterstrich damit seine große Effizienz fürs Spiel.
Vor wenigen Wochen sah es noch so aus, als könnte Reaves bei der WM die Auswahl des Deutschen Basketball-Bundes (DBB) verstärken: Der 25-Jährige aus Arkansas mit deutscher Großmutter hatte angeblich schon einen deutschen Pass beantragt, bei der WM läuft er nun aber doch für die USA auf.
Steve Kerr über das DBB-Team: "Eins der besten Teams der Welt"
Für das DBB-Team brachte die knappe Niederlage gegen den Top-Favoriten dennoch eine wichtige Erkenntnis: Sie sind auch ohne den Shooting-Star von den Lakers stark genug, um bei der WM auf Augenhöhe mit den Besten der Welt zu spielen. Das Team um Kapitän Dennis Schröder lag gegen die USA fast über die komplette Spielzeit in Führung, im dritten Viertel sogar mit einem Vorsprung von 16 Punkten. Erst ein Schlussspurt der amerikanischen NBA-Auswahl, angeführt von einem unaufhaltsamen Anthony Edwards (34 Punkte), stellte die Machtverhältnisse wieder her.
Zumindest an diesem Abend, denn auch US-Nationaltrainer Steve Kerr nannte das deutsche Team im Anschluss einen "Medaillenanwärter für die WM" und den "härtesten Gegner der Vorbereitung", die unter anderem ein Duell mit Europameister Spanien vorsah. "Deutschland ist eins der besten Teams der Welt", sagte Kerr gegenüber dpa. Aus dem Mund des mehrfachen Meistertrainers der Golden State Warriors darf dies wie ein amtliches Gütesiegel gelten.
Bundestrainer Herbert: Medaille als Ziel bei der WM
Auch bei der deutschen Mannschaft fand sich nach dem knapp verpassten Sensationserfolg niemand, der sich gegen die neue Rolle des Mitfavoriten zur Wehr setzen wollte. Die Niederlage gegen die USA führte Bundestrainer Gordon Herbert vor allem auf die schwindenden Kräfte zurück, 24 Stunden zuvor hatte das DBB-Team in Abu Dhabi deutlich gegen Griechenland gewonnen. Außer gegen die USA verlor das deutsche Team in der WM-Vorbereitung damit nur gegen Kanada, den zweiten großen WM-Favoriten, und das auch nur unglücklich in der Verlängerung.
Coach Herbert bekräftigte vor dem Abflug zur WM nach Japan, dass das Ziel erneut eine Medaille sei, nach EM-Bronze im Vorjahr. Bei der Heim-EM sei es das Ziel gewesen, eine Mannschaft aufzubauen, sagte der Bundestrainer bei "MagentaSport", mit einem guten Kern und einer funktionieren Teamchemie. "Das haben wir geschafft. Jetzt wollen wir darauf aufbauen und das Team weiter nach vorne bringen."
Neues Selbstverständnis bei der Basketball-Nationalmannschaft
Damit unterstrich der Bundestrainer auch das neue Selbstverständnis im deutschen Basketball, der sich über Jahrzehnte nicht zu den großen Nationen zählen durfte, auch nicht zu Zeiten von Dirk Nowitzki. Die gehobenen Ansprüche werden inzwischen auch von den Spielern mitgetragen, wie Herbert bestätigte, nicht nur vom stets selbstbewussten Anführer Schröder.
Der Wirbel um die Interview-Aussagen des Kapitäns über Mitspieler Maxi Kleber, die zur WM-Absage des NBA-Profis aus Dallas führten, seien kein Thema mehr, hieß es zuletzt aus der Mannschaft. In der Vorbereitung überzeugte das DBB-Team mit großer Geschlossenheit und Defensivstärke, dies könnte zum X-Faktor beim Turnier werden.
Mit Moritz Wagner und Bonga - DBB-Team noch stärker
Im Vergleich zur EM, als die Bronzemedaille noch als Ausnahmeerfolg verbucht wurde, ist die Mannschaft von der Besetzung her eher besser geworden: Die im Vorjahr verletzten Moritz Wagner, der gemeinsam mit seinem Bruder Franz in der NBA bei Orlando spielt, und Isaac Bonga sind diesmal dabei. Vor allem Bonga zeigte während der Vorbereitung, wie viel er dem Team geben kann: mit seinem Biss in der Verteidigung und seinen Krakenarmen, mit denen er immer wieder gegnerische Pässe und Rebounds abgreift.
Der Rest des deutschen Bronzeteams ist weiter gereift: Andreas Obst etwa vom FC Bayern ist einer der sichersten Distanzschützen Europas. Für die NBA-Garde um Kapitän Schröder, Daniel Theis und die Wagner-Brüder ist es ohnehin Alltag, gegen die Besten der Welt zu bestehen.
Beste deutsche Mannschaft aller Zeiten?
In der Basketball-Bubble wurde vor dem WM-Start immer wieder von der besten deutschen Mannschaft aller Zeiten gesprochen, die bei einem großen Turnier antritt. In jedem Fall scheint die Chance auf einen echten Coup so groß wie nie, denn viele Top-Nationen sind durch prominente Ausfälle geschwächt: Serbien muss sogar ohne seine zwei Besten auskommen, NBA-Finals-MVP Nikola Jokic und Spielmacher Vasilije Micic.
Bei Kanada musste Jamal Murray, neben Jokic der zweite große Star bei Denvers Meisterteam, kurz vor dem WM-Start zurückziehen. Bei Frankreich fehlt Wunderkind Victor Wembanyama, auch Spaniens Spielmacher Ricky Rubio hat die WM abgesagt. Und Griechenland dürfte ohne Superstar Giannis Antetokounmpo mit der Medaillenvergabe nichts zu tun haben.
Knifflige Vorrundengruppe mit Japan, Australien, Finnland
Auch mit Blick auf die Konkurrenz darf sich das deutsche Team deshalb zum Kreis der Favoriten rechnen. Sorgen bereitet allerdings die höchst knifflige Vorrundengruppe. Zum Auftakt wartet am Freitag (14.10 Uhr/Live-Ticker bei sportschau.de) in Okinawa das schwierige Spiel gegen Gastgeber Japan. Am Sonntag steht gegen die mit erfahrenen NBA-Cracks besetzten Australier schon das vorweggenommene Endspiel um den Gruppensieg an, bevor zum Abschluss Finnland mit NBA-Allstar Lauri Markkanen wartet.
Nur die beiden Top-Platzierten schaffen es in die zweite Gruppenphase, die Punkte aus der Vorrunde werden mitgenommen. Für eine gute Ausgangsposition sollte das deutsche Team den Gruppensieg anpeilen, zumal es in der Zwischenrunde aller Voraussicht nach zu einem Duell mit Luka Doncics Slowenien kommen wird. Für einen WM-Favoriten wiederum darf eigentlich keine Herausforderung zu groß sein.