Basketball-Profi in Istanbul Tibor Pleiß in der Türkei - nach jedem Training "schlimme Nachrichten"
Ex-NBA-Spieler Tibor Pleiß ist Basketball-Profi bei Anadolu Efes in der Türkei und erzählt über die Lage nach dem Erdbeben.
Sportschau: Wie haben Sie vom Erdbeben im Süden der Türkei erfahren?
Tibor Pleiß: Ich war in meinem Wohnkomplex, als es passiert ist. Ich hatte meinen Recovery-Day, bin in die Sauna gegangen. Neben mir saß ein Vater mit seinem Sohn. In unserer Sauna gibt es einen Fernseher, die haben sich die Nachrichten angeschaut und ich habe nur noch die Verzweiflung der beiden gehört. Der Junge hat die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, der Vater hat sich die Hände vor Gesicht gehalten. Es war sehr schlimm anzusehen.
Was ist Ihnen in den Sekunden, in denen Sie die Nachricht gesehen haben, durch den Kopf gegangen?
Pleiß: "Wie kann ich helfen?". Ich habe direkt meinen Team-Kapitän angerufen. "Wir müssen da irgendwas machen als Team. Können wir irgendwo helfen?" Am nächsten Tag beim Training habe ich dann gesehen, dass vor der Halle Lebensmittel, Kleidung und Decken gesammelt wurden.
Nach dem Training habe ich mir einen Mitspieler geschnappt und wir sind zusammen in den Supermarkt und haben versucht, unseren Teil dazu beizutragen. Wir haben zwei Autos vollgeladen und hingebracht. Nach unserem Gespräch hier gleich ziehe ich auch wieder los.
Wohin geht’s noch?
Pleiß: Ich fahre in den Supermarkt. Ich habe eine Liste mit Sachen, die gebraucht werden. Babynahrung, Windeln, Konserven, Unterwäsche für Männer, da fehlt es im Moment an allen Ecken und Enden. Ich werde versuchen zu kaufen, was noch da ist. Die Türken sind unglaublich hilfsbereit. Beim ersten Mal, als ich losgefahren bin, waren die Gänge schon halb leer.
Wie sieht es in Istanbul gerade außerhalb der Supermärkte aus?
Pleiß: Die Straßen sind leer. Ich weiß nicht, wo die alle sind. Ich glaube, dass die Situation der letzten Tage viele Menschen beschäftigt hat und viele zu Hause geblieben sind. Aber ich blicke in viele müde Gesichter. Ich habe das Gefühl, jeder kennt jemanden, der jemanden kennt, der Familie dort unten hat. Man sieht viele beschäftigte, aber auch traurige Gesichter.
Sie leben schon seit 2018 in der Türkei. Istanbul ist so etwas wie Ihre Wahlheimat. Trifft Sie dieses Unglück deshalb jetzt besonders hart?
Pleiß: Ich bin grundsätzlich eine Person, die, wenn jemand in Not ist, versucht zu helfen. Aber klar, das ist dieses Mal etwas Besonderes. Die Türkei ist meine zweite Heimat. Ich mag die Menschen, ich habe mich hier immer sehr wohl gefühlt, bin immer überall gut aufgenommen worden. Dass ich da dann auch helfe, das ist für mich eine Selbstverständlichkeit.
Einer Ihrer guten Freunde aus dem Team (Erten Gazi) ist Türke, wie ist seine Stimmung in der Kabine?
Pleiß: Erten ist der Spieler, den ich mir für die Einkaufsaktion zur Seite genommen habe. Ich war mit ihm im Supermarkt, seine Mutter war auch dabei. Als wir den Einkauf zu den Autos gebracht haben, hat sie noch einmal gesagt, wie dankbar sie für meine Hilfe ist. Für mich ist das eine Selbstverständlichkeit, aber es hat mich trotzdem sehr gerührt. Man merkt einfach, was es gerade für ein Ausnahmezustand ist.
Ist es in so einer Situation möglich, sich weiterhin auf Sport zu konzentrieren?
Pleiß: Ich habe das Gefühl, der Sport ist die einzige Zeit, in der man mal auf andere Gedanken kommen kann. Wenn das Training vorbei ist, weiß man: Jetzt werden wir wieder schlimme Nachrichten hören. Man sieht dann, wie sich wieder die betroffenen Gesichtsausdrücke bilden.
Nächste Woche soll eigentlich der türkische Pokal ausgespielt werden, zur Zeit sind aber noch alle Sportveranstaltungen abgesagt. Spielen, oder nicht?
Pleiß: Die Entscheidung liegt natürlich nicht bei mir. Vielleicht hilft es sogar den Menschen… Keine Ahnung. Für den ein oder anderen ist es vielleicht eine Abwechslung, wie es auch bei uns Spielern auf dem Platz ist.
Die Nachrichten zeigen gerade nur grauenhafte Bilder von eingestürzten Gebäuden, von Kindern, die verschüttet worden sind. Jede Flucht davor wird freudig empfangen. Ich glaube, viele Menschen sehnen sich auch mal wieder nach etwas Positiverem.
Wissenschaftler prophezeien dem Großraum Istanbul in den nächsten Jahren ein ähnlich starkes Erdbeben. Ist so etwas Teil von den kommenden Karriere-Entscheidungen?
Pleiß: Ich schaue gerne Dokumentationen, auch über die Orte, in denen ich lebe. Vor drei Jahren habe ich eine Doku über Erdbeben in der Türkei gesehen und ich weiß, dass es direkt hier vor meiner Haustür im Marmarameer zwei Erdplatten gibt, die sich verhakt haben. Wenn die sich “enthaken“, wird es zu einem sehr starken Erdbeben kommen.
Ich versuche, mir jetzt keine Angst zu machen. Ich lebe in einem Gebäude, bei dem ich davon ausgehe, dass der ein oder andere Stahlträger verbaut wurde. Ich habe allerdings Angst um meine Mitmenschen in Istanbul. Hier gibt es eine Menge Gebäude, die ein Erdbeben dieser Stärke nicht aushalten würden.