Türkischer Nationaltrainer Kuntz nach Erdbeben - "Aktuell geht es nur um Menschenleben"
Stefan Kuntz ist Nationaltrainer der Türkei und blickt derzeit mit "riesengroßer Betroffenheit" aus Istanbul auf das verheerende Erdbeben im Südosten des Landes und in Syrien. Die Folgen der Katastrophe für den Fußball seien nicht abzusehen, aber "aktuell geht es nur darum, Menschenleben zu retten", sagt Kuntz in einem Interview mit dem Sport-Informationsdienst (sid).
Stefan Kuntz, wie erleben Sie die Erdbeben-Katastrophe in der Türkei und in Syrien?
Stefan Kuntz: Ich bin zurzeit in der Türkei, und ich kann all das kaum begreifen. Ich sitze hier in Istanbul, aber so viele Leute haben ganz furchtbare Probleme. Das macht mich und uns betroffen. Man spricht davon, dass zehn Städte und damit insgesamt rund 13,5 Millionen Bürgerinnen und Bürger betroffen sind von dem Erdbeben. Die Tragödie ist riesengroß.
Haben Sie Kontakt zu Ihren Spielern?
Kuntz: Ja. Meine Spieler sind glücklicherweise nicht betroffen. Meinen Trainerkollegen aus den betreffenden Regionen habe ich Nachrichten geschickt, der türkische Fußballverband hat ein Spendenkonto eröffnet, die Hilfsaktionen laufen an. Auch wir als Nationalmannschaft beteiligen uns.
Wie nehmen Sie die aktuelle Situation in der Türkei wahr?
Kuntz: Natürlich bekomme ich viel durch unsere Mitarbeiter und Social Media mit. Dadurch, dass man die Schicksale der vielen Menschen öffentlich verfolgen kann, ist meine Betroffenheit riesengroß. Man muss sich die Lage vieler Opfer so vorstellen: Du bist eingeschlossen unter den Trümmern, kannst mit dem Handy ein Video von Dir drehen oder den Standpunkt schicken. Du kannst schreien, sagen oder schreiben: 'Hier steigt das Wasser', 'Es bricht über mir zusammen' oder 'Ich bekomme immer weniger Luft'. Aber die Rettungsleute kommen erst gar nicht bis zu Dir.
Es ist das Dramatische, dass Eingeschlossene oder Begrabene verzweifelt Hilferufe absetzen und man genau weiß, wo sie sind, man aber auch aufgrund der Witterungsverhältnisse keine Chance hat, überall schnell hinzukommen. Man schaut jetzt, noch so viel zu retten, was noch zu retten ist. Meine Anerkennung und mein Respekt gilt allen Rettungskräften und Helfern, die alles Menschenmögliche versuchen.
Welche Folgen werden die Erdbeben für den Sport in der Türkei haben?
Kuntz: Kurzfristig hat der Staatspräsident eine Trauerwoche angeordnet. Alle Fußballspiele sind abgesagt, auch für das kommende Wochenende, damit sich jeder um Familienangehörige und Freunde kümmern kann. Weitere Folgen dieser Katastrophe können wir noch gar nicht absehen. Auch im Sport und im Fußball nicht. Nehmen Sie die Klubs Hatayspor oder Gaziantep: Können die überhaupt noch die Saison weiterspielen? Das sind Fragen, die noch gar nicht auf dem Tisch sind, weil es aktuell nur darum geht, Menschenleben zu retten.