Athletinnen und Athleten zeigen den Hitlergruß in Kitzbühel
interview

Kitzbühel in der NS-Zeit Der erste Hahnenkamm-Sieger war in der Gestapo

Stand: 24.01.2025 08:34 Uhr

Kitzbühel – ein Zentrum des Skisports und nobler Tourismusort. Hinter der glanzvollen Fassade liegt jedoch eine weniger bekannte Geschichte: 80 Jahre nach Kriegsende hat die Stadt damit begonnen, ihre Rolle während der NS-Zeit aufzuarbeiten. Die schwierige Auseinandersetzung zeigt sich besonders eindrücklich an der Biografie des ersten Hahnenkamm-Siegers Ferdinand Friedensbacher. Ein Interview mit der Historikerin Sabine Pitscheider.

Sportschau: Frau Pitscheider, Sie sind Historikerin - Sportthemen kommen Ihnen im Berufsalltag wahrscheinlich eher selten unter. Aber als Sie Ihr Buch über die NS-Geschichte Kitzbühels geschrieben haben, warum sind Sie da am Skisport und auch am Hahnenkamm-Rennen nicht vorbeigekommen?

Sabine Pitscheider: Das geht gar nicht, denn Kitzbühel lebt vom Skisport. Und ohne den Skisport wäre Kitzbühel nur eine unbedeutende, kleine Provinzstadt. Mit einer relativ schönen Landschaft. Aber da gibt es in Österreich mehrere.

Sportschau: Es war die Stadt Kitzbühel selbst, die Sie mit dem Buch über die NS-Vergangenheit beauftragt hat. Warum, glauben Sie, haben die Verantwortlichen das getan?

Pitscheider: Ich glaube, wir haben momentan so eine Zeit, in der die Generation an den Schalthebeln sitzt, die sagt: Okay, jetzt schauen wir uns das einmal an, was ist wirklich passiert? Gerüchte gibt es in jeder Gemeinde. Es ist ein Punkt auf der Aufgabenliste. Was man so tun muss halt.

Zur Person
Sabine Pitscheider ist Historikerin und Autorin des Buches "Hakenkreuz am Hahnenkamm – Kitzbühel in der NS-Zeit". Das Buch ist 2024 im österreichischen Studienverlag erschienen.

Sportschau: Und wieso brauchte es erst diese Generation dafür?

Pitscheider: Erst war es die Kriegsgeneration, dann die von der Kriegsgeneration sozialisierte Generation. Die brachten die Kraft dafür nicht auf. Es lebten auch noch zu viele, die selbst unmittelbar damit zu tun gehabt haben. Es dauert immer ein paar Generationen, bevor man ganz neutral und ehrlich sich das anschauen kann.

Sportschau: Welche Rolle spielte der Kitzbüheler Skiclub in der NS-Zeit, der seit 1931 und bis heute das Hahnenkamm-Rennen organisiert?

Pitscheider: Schon in den 20er Jahren gaben die Deutschnationalen in den meisten Sportvereinen den Ton an. Das heißt auch, dass in Kitzbühel - wie auch in anderen Gemeinden - die meisten Mitglieder des Skiclubs dann ab Anfang der 30er-Jahre auch Mitglieder der NSDAP waren. Oder sogar Funktionäre in der NSDAP. Das eine war ohne das andere praktisch nicht zu denken.

"Friedensbacher ist eine interessante Figur"

Sportschau: Der erste Sieger des Hahnenkamm-Rennens, Ferdinand Friedensbacher, war auch im Kitzbüheler Sportclub. War der auch überzeugter Nationalsozialist?

Pitscheider: Friedensbacher war wahrscheinlich Deutschnationaler und hat dann einfach die Gunst der Stunde genutzt und in der Partei Karriere gemacht, von der er sich am meisten versprochen hat - in der NSDAP. Ich schätze ihn eher als Opportunisten ein. Friedensbacher ist eine interessante Figur.

Sportschau: Warum?

Pitscheider: Weil er im Frühjahr 1945 - also kurz bevor die Alliierten kamen - zurück nach Kitzbühel ging und auf Widerstandsbewegung machte. Obwohl er vorher Gestapo-Mitglied war und in der Wehrmacht zur Geheimen Feldpolizei gehörte, war er plötzlich im Widerstand. Das war nichts Ungewöhnliches. Es haben viele probiert, im letzten Moment umzuschwenken. Er hat dann im April 1946 sogar den ehemaligen Gestapo-Chef von Innsbruck angezeigt. Und ihm ist es quasi zu verdanken, dass der Gestapo-Chef dann in Innsbruck vor Gericht gestellt werden konnte.

Sportschau: Und war Friedensbacher gleichzeitig auch immer ein Skistar?

Pitscheider: Nein. Er war unbekannt. Das Hahnenkamm-Rennen und Ski-Veranstaltungen überhaupt waren nicht diese globalen Spiele des Sportglücks, wie sie heute gerne präsentiert werden. Profisportler gab es damals in der Form noch nicht. Das heißt, die hatten ganz normale Berufe, gewannen das Rennen, und das war es. Es gab auch kein Preisgeld.

Sportschau: Wie hat Friedensbacher denn den Skisport und sein Leben zusammengebracht?

Pitscheider: Also, wie üblich in den 30er-Jahren war er lange arbeitslos, kam dann über das Österreichische Heer zur Kriminalpolizei und wurde dann von der Gestapo übernommen. Das war normal. Und sowohl das Bundesheer als auch dann die Gestapo hat ihre Angehörigen, die Sportler waren, freigestellt für Rennen. Weil es natürlich auch für die Gestapo oder die SS großartig war, wenn ihre Mitglieder ein Rennen gewonnen haben.

Sabine Pitscheider, Sportschau, 22.01.2025 11:21 Uhr

Friedensbacher wollte eigentlich gerne der SS beitreten. Die hat ihn aber nicht genommen, was ihn sehr gekränkt hat. Die SS war damals eine Karrieremöglichkeit für junge Männer. Friedensbacher blieb bei der Gestapo und ging dann zur Geheimen Feldpolizei, also zur Gestapo innerhalb der Wehrmacht und hat im Rahmen dieser Tätigkeit Kriegsverbrechen begangen.

Sportschau: Welche Kriegsverbrechen hat er begangen?

Pitscheider: Friedensbacher war bei der Geheimen Feldpolizei in Kreta eingesetzt, und zu seinen Aufgaben gehörte die sogenannte Partisanenbekämpfung. Immer wenn jemand festgenommen wurde, sollte er die Person zuerst verhören, bevor sie an das Wehrmachtsgericht überstellt wurde. Da war ein Apotheker, und er verdächtigte diesen Apotheker, der Kopf dieser Partisanengruppe zu sein. Er wollte unbedingt ein Geständnis erreichen und hat ihm gedroht. Wenn er nicht redet, wird er ihn töten. Und er hat ihn dann getötet und ins Meer geworfen.

"Es war viel wichtiger, den Skisport wieder aufzubauen"

Sportschau: Wie hat das die Ski-Gesellschaft in Österreich und in Kitzbühel aufgenommen, als er 1945 zurückkam?

Pitscheider: Man wusste es nicht. Wobei ich das gerne unter Anführungszeichen setzen möchte. Weil, auch wenn man es gewusst hatte - es war viel wichtiger, den Skisport wieder aufzubauen. Und Friedensbacher war ja nicht der einzige unter den ÖSV-Sportlern und -funktionären, die belastete Nationalsozialisten waren.

Er hat es wirklich geschafft, dass er nicht einmal als Nationalsozialist registriert wurde. In keiner Gemeinde. Wahrscheinlich, weil er permanent umgezogen ist. Es war damals Chaos bei Kriegsende. Und wenn der in eine Gemeinde zog, in der man ihn nicht kannte, konnte er auf unschuldig tun. Ihm ist es so wirklich gelungen, durchzurutschen. Obwohl er Angehöriger der Gestapo war, das ist sehr erstaunlich.

Aber er ist da vermutlich nicht der einzige, dem es gelungen ist. Und er konnte ein ganz normales bürgerliches Leben führen - bis ihn seine Vergangenheit eingeholt hat. Das war 1969, als es in Deutschland ein Verfahren wegen der Ermordung der Partisanen auf Kreta gab.

Sportschau: Was passierte dann?

Pitscheider: Da wurde hier in Österreich klar: Aha, hier haben wir noch jemanden. Und Friedensbacher hat den Mord dann sogar gestanden. Und er wurde trotzdem nur wegen Totschlags verurteilt - und Totschlag war verjährt.

Das liegt daran, dass das damals ein Geschworenengericht war und die Geschworenen waren Angehörige der Kriegsgeneration oder der unmittelbaren Nachkriegsgeneration. Und die waren in ihren Urteilen sehr, sehr milde. Das ist ein Problem der Nachkriegsjustiz. Aus heutiger Sicht ist dieses Urteil ein Skandal. Aber damals hieß es: Jetzt hört mal endlich auf damit. Was soll das noch so viele Jahre später? Und: Was wollt ihr ist? Er ist doch ein alter Mann.

"Kitzbühel diente als wunderbare Kulisse"

Sportschau: Der Kitzbüheler Skiclub hat ab 1939 gemeinsam mit der Stadt auch die Alpinski-Meisterschaften der Wehrmacht und der Polizei ausgerichtet. Würden Sie sagen, der Skiclub war Teil des NS-Systems?

Plakat mit der Ankündigung "Deutsche und Wehrmachts-Ski-Meisterschaften" in Kitzbühel 1939

Pitscheider: Ja, sie haben mitorganisiert. Nicht nur die Polizei- und Wehrmachts-Meisterschaften. Es waren auch die Meisterschaften der Hitlerjugend, die Meisterschaften der SA und SS-Meisterschaften. Das alles fand in Kitzbühel statt, weil Kitzbühel einfach die Infrastruktur dafür hatte und genug Betten geboten hat, um all diese Sportlerinnen und Sportler unterzubringen. Und das passende Publikum, weil Kitzbühel mondän war.

Sportschau: Wie meinen Sie das?

Pitscheider: Kitzbühel hatte damals schon den Ruf, ein mondäner, kleiner Ort zu sein. Denn Kitzbühel hat nicht nur die Hahnenkamm-Seilbahn geboten. Kitzbühel hat Nachtclubs gehabt, ein Spielcasino. Wobei in der NS-Zeit dann nicht mehr, weil ein Spielcasino unmoralisch war. Aber es gab jeden Abend mindestens zwei, drei Bälle. Man konnte einen ganzen Abend durch die Stadt flanieren, von einem Lokal ins andere.

Kitzbühel diente als wunderbare Kulisse. Es ist sehr schön mit dieser beeindruckenden Abfahrt und darunter die Stadt. Es hatte luxuriöse Unterkünfte. Es kam Prominenz, nicht nur aus dem Deutschen Reich, die sich die Rennen angeschaut hat. Der Gauleiter hat die Infrastruktur genutzt, um eine japanische Delegation einzuladen und auch eine italienische Delegation. Da kam dann das Who is Who der befreundeten, verbündeten Nationen. Es war einfach glamourös.

Kitzbühel mit Hakenkreuzfahnen um 1940

"Der Skiclub macht es sich zu einfach"

Sportschau: In Kitzbühel gibt es ja auch Hoteliersfamilien, die waren in der NS-Zeit schon wichtig und sind es heute immer noch …

Pitscheider: Ja, einige große Familien gibt es noch. Aber ich habe mit ihnen nicht gesprochen. Musste ich insofern nicht, weil ich viele Akten aus dem Tiroler Landesarchiv und dem Kitzbüheler Stadtarchiv hatte. Es gab auch keine Interventionen oder so von bestimmten Familien. Ob das Buch ihnen gefällt, da bin ich mir nicht sicher. Aber ich glaube, man muss seinen Frieden machen mit der Vergangenheit. Und zum Frieden machen gehört auch, dass man akzeptiert, was war.

Sportschau: Auf der Internetseite des Kitzbüheler Skiclubs steht heute ein Porträt über den ersten Hahnenkamm-Gewinner Friedensbacher. Das Wort "Nationalsozialist" kommt nicht darin vor. Dort heißt es vielmehr: "Als Feldgendarm hatte Friedensbacher im Mai 1944 auf Kreta einen griechischen Widerstandskämpfer erschossen, am 9. Dezember 1970 wurde er von einem Geschworenengericht in Innsbruck freigesprochen." Was sagen Sie dazu?

Pitscheider: Das reicht nicht. Dass das Wort Nationalsozialist nicht vorkommt - okay, sei es drum. Dass das bei vielen nicht vorkommt, das ist normal. Normal unter Anführungszeichen. Aber damit macht es sich der Skiclub einfach ein bisschen zu einfach, es so darzustellen.