WM in Nove Mesto "Mein Auto ist mein Haus" - Underdogs bei der Biathlon-WM
Sportler aus 33 Nationen nehmen an der Biathlon-WM in Nove Mesto teil. Während die großen und etablierten Länder mit riesigen Funktionsteams anreisen, sind die Underdogs oftmals auf sich allein gestellt - und auf die Hilfe der Biathlon-Familie angewiesen. Wer sucht, findet bemerkenswerte Geschichten.
Achtung, es wird direkt etwas kompliziert. Für jedes Großereignis verteilt der Biathlon-Weltverband (IBU) sogenannte Wildcards. So auch für die WM in Nove Mesto. Wildcards sind Startrechte für Athletinnen und Athleten, die sich sportlich eigentlich nicht für die Weltspiele qualifizieren konnten. Soweit, so klar.
Wildcards gibt es für maximal zehn Sportler. Bedingung dafür: Sie dürfen nicht aus den 30 bereits gesetzten Ländern kommen. Ob ein Sportler eine Wildcard erhält und damit an den Weltmeisterschaften teilnehmen darf, errechnet sich aus seinen erzielten Qualifying Points. Die kann ein Athlet bei ausgewählten Rennen sammeln. Welche Wettbewerbe nun wiederum die Kriterien dafür erfüllen, ist nochmal eine gefühlte Wissenschaft für sich.
Roberto Piqueras Garcia - Ein-Mann-Team aus Spanien
Wiederum ganz einfach wahrzunehmen, ist die Begeisterung in den Augen der Wildcard-Athleten, wenn Sie über die Erfüllung ihres Traums sprechen: bei einer Biathlon-WM dabei zu sein. Da ist zum Beispiel Roberto Piqueras Garcia aus Spanien. Für den 33-Jährigen ist es schon die fünfte WM. Auf dem Parkplatz vor der Arena in Nove Mesto steht sein dunkelblauer Van. "Mein Auto ist mein Haus", sagt er auf Englisch mit starkem spanischen Akzent und lacht.
Seit Anfang Januar hat er bereits 7.000 Kilometer zurückgelegt. Das Gefährt hat er randvoll gepackt mit zehn Paar Skiern, seiner Waffe, einem Fernglas, zig Paar Schuhen, Skistöcken. Während Top-Nationen mit Wachs-Trucks, diversen Skitechnikern, Physiotherapeuten, Trainerteam, Betreuern und Medien-Mitarbeitern durch die Welt reisen, ist Piqueras Garcia ganz allein unterwegs. "Seit Jahren sage ich mir nach jeder Saison, dass ich aufhöre", erzählt der 15-malige Weltcup-Starter. Sich um die Logistik ganz allein zu kümmern, sei unglaublich anstrengend. "Einer der Hauptgründe, warum ich noch weitermache, ist die Biathlon-Familie. Wenn mich jemand von den großen Nationen alleine sieht, dann wird mir sofort Hilfe angeboten." Und ohne die geht nichts.
Beim Wachsen helfen die Bulgaren
Seine Skier beispielsweise testet er zwar selbst, beim Wachsen helfen ihm jedoch die Bulgaren. Beim Anschießen und im Training schaut auch schon mal der Trainer der Norweger durch das Glas und zeigt die Trefferbilder an. In Sachen Biathlon ist Spanien ein Entwicklungsland - es gibt genau einen Schießstand. In ganz Spanien. Ohne die finanzielle Unterstützung der internationalen Biathlon-Union wäre der Sportsoldat nicht imstande, seiner Leidenschaft nachzugehen. "Wenn ich Menschen in Spanien erzähle, dass ich Biathlon mache, denken sie zunächst, es ist eine Kombination aus Laufen und Schwimmen“, berichtet er und schmunzelt.
Piqueras Garcia selbst stand erst mit 20 Jahren beim Militär das erste Mal auf Skiern. Ein Kamerad zeigte ihm dann den Biathlon. Seitdem ist das spanische Ein-Mann-Team Feuer und Flamme für den Sport. "Bei der Biathlon-WM dabei zu sein, ist für mich immer wieder ein absoluter Traum." Im Sprint wurde der Mann aus Zentral-Spanien 89.. "Wenn Johannes Thingnes Bö Erster wird, muss doch auch jemand Letzter werden." Er lacht.
Darcie Morton - Kind einer australischen Biathlon-Familie
"Thank you very much", sagt Darcie Morton freundlich. Die Australierin hat gerade ihre Skier in Empfang genommen - und zwar im Wachstruck der tschechischen Nationalmannschaft. Auch die 24-Jährige ist auf Hilfe der großen Biathlon-Nationen angewiesen. Das australische Team hat keinen eigenen Wachser mit - geschweige denn einen Truck. Zum Vergleich: Die Deutschen sind mit neun Skitechnikern angereist und haben zusätzlich zu ihrem Wachstruck eine Schleifmaschine dabei. Morton und ihr Mannschaftskollege Noah Bradford sind immerhin zu zweit. Sie haben sogar einen Trainer dabei - er ist Tscheche.
Darcie Morton sagt über sich selbst, dass sie auf Skiern steht, "seit ich laufen kann". Der Grund ist simpel: ihre Familie. Ihr Vater startete für Australien bei dem Olympischen Winterspielen 2006 in Turin. Durch ihn wurden seine Kinder mit dem Biathlon-Fieber infiziert. Darcies älterer Bruder Damon lief ebenfalls im Weltcup, musste wegen einer Verletzung aber seine Karriere frühzeitig beenden. Die dritte im Bunde ist Schwester Damika - sie läuft im IBU-Junior-Cup. "Biathlon ist eine echte Familienangelegenheit für uns", fasst Darcie zusammen.
Ziel: "Mal null Fehler schießen"
Morton hat sich große Ziele gesteckt. Seitdem sie 16 ist, betreibt sie professionell Biathlon. "2026 will ich zu den Olympischen Spielen. Und ich will mal null Fehler im Weltcup schießen, das ist mir noch nicht gelungen. Und dazu will ich mal unter die Top 40 laufen. Das wären meine ersten Weltcup-Punkte."
In Australien lebt Darcie im Bundesstaat Victoria direkt an der Küste - Schnee gibt es zwischen Juni und August, jedoch zweieinhalb Fahrstunden von Mortons Wohnort entfernt. Dementsprechend ist sie immer unterwegs. "Ich bin nie länger als zwei Monate an einem Ort."
Enkhsaikhan Ekhbat schreibt Biathlon-Geschichte
Enkhsaikhan Ekhbat ist in der vergangenen Woche Historisches gelungen. Bei den IBU-Junioren-Europameisterschaften gewann er in Polen den Einzelwettbewerb - als erster Athlet aus der Mongolei überhaupt. Der 21-Jährige ist gerührt, als er darüber spricht. "Es war mein allererstes Podium - ich hatte Tränen in den Augen." Null Fehler am Schießstand waren die Grundlage für diesen Sensations-Erfolg. Im vergangenen Jahr war er bei der EM noch 72. in dieser Disziplin geworden.
Ekhbat hatte jedoch nicht lange Zeit, um zu feiern. Mit seinem Trainer ging es von Polen aus auf direktem Wege nach Nove Mesto, wo auf das Nachwuchstalent direkt das nächste Highlight wartet: die Teilnahme an seiner ersten Biathlon-WM im Männer-Bereich. Die Ziele steckt sich Ekhbat auch im Konzert der ganz Großen hoch: "Ich will im Einzel wieder null Fehler schießen." Um den Sieg wird er in Tschechien vor 30.000 Zuschauern nicht mitlaufen. Voraussichtlich wird das keiner der Biathlon-Underdogs. Und trotzdem sind sie ein entscheidender Teil der Biathlon-Familie - auch bei dieser WM.