Biathlon Ex-Biathletin Kati Wilhelm über große Abschiede und die Saison
Kati Wilhelm spricht zum Saisonabschluss über Abschiede vom Spitzensport, große Fußstapfen, junge Talente und Nachwuchssorgen.
Sportschau: Kati Wilhelm, nach mehr als einem Jahrzehnt als Leistungssportlerin und dann mehr als einem Jahrzehnt als Biathlon-TV-Expertin war das die erste Saison, in der du nicht mehr so nah dran warst. Welche Beziehung hast du noch zum Biathlon?
Kati Wilhelm: Es war auch so ein sehr schöner Winter. Ich hatte mehr Zeit, um mit den Kindern zu trainieren und das Familienleben zu genießen. Ich engagiere mich auch ehrenamtlich im Verein und im Thüringer Skiverband, von daher bin ich durchaus noch nah dran am Sport, allerdings jetzt eher im Nachwuchs verwurzelt. Und mit ein bisschen mehr Abstand kann man die Rennen auch etwas ruhiger verfolgen als früher.
Sportschau: Du hast durch deinen Mann (Andreas Emslander, DSV-Chef-Skitechniker, Anm. d. Red.) natürlich noch Verbindungen zum Deutschen Skiverband. Hast du denn selbst noch Kontakt zu Sportlerinnen oder Sportlern?
Wilhelm: Weniger, ich merke das natürlich auch dadurch, dass ich einfach länger raus bin. Mittlerweile ist kaum noch jemand dabei, der zu meiner Zeit gelaufen ist. Aber mit ehemaligen Kolleginnen stehe ich schon noch in Kontakt. Und bei der Heim-WM in Oberhof haben wir auch die Chance genutzt, einander zu treffen. Das ist für uns dann wie so eine Art Klassentreffen.
Sportschau: Die WM fand vor deiner Haustüre statt und war ein großes Highlight: Verspürst du manchmal noch die Lust, selbst an den Start zu gehen?
Wilhelm: Das ist natürlich sehr weit weg. Aber klar, wenn man die Stimmung mitbekommt, denke ich an meine Zeit zurück - das war schon sehr cool. Aber es war auch wahnsinnig intensiv und anstrengend. Es gehört eben jetzt der Vergangenheit an, und ich bin stolz auf das, was ich erreicht habe. Und ich weiß das auch wirklich wertzuschätzen, weil ich weiß, wie hart man dafür arbeiten muss, mal da oben stehen zu dürfen. Aber ich habe da einen Haken dran gemacht.
Sportschau: Den Haken macht nach dieser Saison auch Denise Herrmann-Wick hinter ihre Karriere. Wie war das für dich damals, aufzuhören?
Wilhelm: Es ist etwas Besonderes, so eine lange und erfolgreiche Karriere zu beenden. Sie hat es relativ spät bekannt gegeben. Ich finde es aber sehr schön, dass sie hier in Oslo, ihrem besonderen Fleck Erde, ihren Abschied feiert und das genießen kann. Sie wird sich seelisch und moralisch natürlich darauf vorbereitet haben. Das ist auch wichtig. Ich habe mein letztes Schießen mit Null absolviert, da hab ich gedacht, jetzt kann ich auch aufhören.
Sportschau: Denise Herrmann-Wick hat sich um den deutschen Biathlon sehr verdient gemacht, vor allem in den vergangenen Jahren. Was für eine Lücke hinterlässt sie?
Wilhelm: Immer wenn jemand Großes aufhört, kommt die Frage, wie groß die Lücke ist. Aber wir sehen ja, dass mit Hanna Kebinger, Sophia Schneider oder auch Vanessa Voigt junge Athletinnen nachkommen, die wirklich schon nahe dran sind. Für sie wäre es sicher schön gewesen, wenn sie sich im Schatten von Denise noch hätten weiter entwickeln können. Davon haben sie in diesem Jahr aber schon profitiert und sind reif, in die Verantwortung genommen zu werden. Sie haben ja noch den Status des Youngsters, da darf der eine oder andere Fehler noch passieren. Aber ich glaube, die sind auch heiß darauf, in die Position von der Denise reinzukommen.
Sportschau: Die Nachwuchsathletinnen Selina Grotian und Lisa Spark stehen im Weltcup erst am Anfang. Wie siehst du die Zukunft des deutschen Biathlons?
Wilhelm: Mir fehlt die Breite. Mit Selina ist eine da, die in diesem Jahr schon für ordentlich Furore gesorgt hat und in große Fußstapfen tritt. Sie wird bereits mit Magdalena (Neuner, Anm. d. Red.) oder Laura (Dahlmeier, Anm. d. Red.) verglichen, hat aber schon die richtige Antwort gefunden. Sie macht ihr Ding und will mit Leistungen überzeugen. Eine Athletin, die weiß, was sie will.
Sportschau: Welche Stellschrauben müssten beim Nachwuchs gedreht werden, damit sich das ändert?
Wilhelm: Schwierig, jetzt ein Rezept zu präsentieren. Dann wäre es ganz einfach, und man hätte es schon lange gemacht. Du brauchst unten eine große Basis. Die Kinder müssen lange Spaß haben am Sport und nicht gleich mit Medaillen überschüttet werden. Da kommt vielleicht schon zu früh eine Zufriedenheit. Man soll ja im Leistungssport immer hungrig bleiben und weiter hart an sich arbeiten. Da muss man das Feuer am Lodern halten. Ob das die Gründe sind, dass nicht genügend junge Sportler Lust drauf haben, sich zu quälen, ist eine Vermutung von mir.
Sportschau: Neben Herrmann-Wick beenden mit Marte Olsbü Roiseland, Tiril Eckhoff und Anais Chevalier-Bouchet prägende Athletinnen ihre Karriere. Findest du, dass dem Biathlonsport langsam die Persönlichkeiten ausgehen?
Wilhelm: Nein, das ist jetzt wieder eine Phase, in der sich über viele Jahre diese drei, vier Namen in Szene gesetzt, den Biathlonsport beherrscht und ihren Stempel aufgedrückt haben. Aber danach wird wieder jemand kommen und uns begeistern. Vielleicht steht ja schon der/die Nächste in den Startlöchern und bislang war nur der Fokus noch nicht drauf. Kann aber demnächst die Chance nutzen, wenn jetzt ab der nächsten Saison Platz ist.
Sportschau: Wie ist dein Fazit der Saison. Welche Schulnote würdest du den deutschen Biathleten vergeben?
Wilhelm: Bei der WM haben sie sich teilweise unter Wert geschlagen. Gerade bei den Männern wäre sicher noch mehr möglich gewesen. Ich würde eine gute Zwei geben. Wir haben sie im Vorfeld auch schlechter gemacht als sie eigentlich waren. Und vor allem haben die vielen neuen Gesichter gute Leistungen gebracht. Wir sollten aber trotzdem hungrig nach der Eins bleiben.
Das Gespräch führte Uri Zahavi