Tennis im Wandel Ist die einhändige Rückhand vom Aussterben bedroht?
Mit der einhändigen Rückhand wurde Michael Stich einst Wimbledonsieger. Bis heute ist er ein Fan davon - und würde diese Technik-Variante nicht nur bei den US Open wieder gerne vermehrt sehen.
Was haben Stan Wawrinka, Denis Shapovalov, Stefanos Tsitsipas, Lorenzo Musetti oder auch Grigor Dimitrov gemeinsam? Richtig. Diese Profis nehmen an den diesjährigen US Open, dem letzten Grand-Slam-Turnier des Jahres, teil.
Und: Alle gehören der immer seltener werdenden und womöglich sogar vom Aussterben bedrohten Spezies der Tennisprofis an, die eine einhändige Rückhand spielen.
Bei den Frauen haben es die drei verbliebenen Einhänderinnen Viktioria Golubic, Diane Parry und Tatjana Maria allesamt ins 128er-Hauptfeld in New York geschafft.
Michael Stich: "Einhändige Rückhand gab mir mehr Kontrolle"
"Ich kann die einhändige Rückhand viel weiter durchschwingen, was mir persönlich immer mehr Kontrolle gab", sagt der ehemalige Weltklassespieler Michael Stich der Sportschau - und ihm ist die Freude beim Gedanken an diesen freien Schwung anzusehen. Das Problem: Die beidhändige Variante hat mittlerweile die (Tennis-)Welt erobert.
Der heute 55 Jahre alte, ehemalige Wimbledon-Sieger und ATP-Weltmeister Stich war schließlich einst selbst ein Meister dieses Schlages, dieser Technik. "Bei der einhändigen Rückhand hat man das Gefühl, das sieht elegant aus und macht den Zuschauern Freude", so Stich.
So wie vor allem bei Ex-Superstar Roger Federer, dessen Rückhand-Schwung stets als besonders kunstvoll und gelungen galt und der als großes Vorbild für die Befürworter dieser Technik gilt.
Wandel bei der Rückhand
Stich macht keinen Hehl daraus, dass er entgegen dem internationalen Trend die einhändige der beidhändigen Rückhand noch immer vorzieht. "Wenn man dann den Ball so richtig schön im Sweetspot hat, dann gibt es einfach kein schöneres Gefühl, wenn der Ball vom Schläger weggeht, in der Ecke des Courts landet und man weiß, dass der Gegner da eh nicht rankommt", schwärmt Stich.
Einhänder vs. Doppelhänder
Heute gibt es insgesamt gerade einmal acht Spieler und drei Spielerinnen in den jeweiligen Top 100. Zu Stichs Zeiten, in den Achtzigern bis hinein in die neunziger Jahre, da nutzte die Mehrzahl der Spieler noch die einhändige Rückhand. Boris Becker, Ivan Lendl, er selbst und so viele andere Spitzenspieler konnten sich kaum etwas anderes vorstellen.
Erhöhte physische Anforderungen
Aber es gab auch damals schon Ausnahmen. "Ich habe als Kind auch mal eine beidhändige Rückhand gespielt, weil mein Vorbild Jimmy Connors war", erinnert sich Stich. "Aber mehr Laufen zu müssen war für mich kein Konzept. Es ist ein größerer Aufwand, was die Physis angeht", sagt der gebürtige Pinneberger.
Das Tennisspiel ist fraglos dynamischer, athletischer geworden. Die Spieler wirken heutzutage kräftiger, durchtrainierter, beweglicher, universeller als zu Zeiten Stichs. Auch ein Grund, weshalb mittlerweile die deutliche Mehrzahl der Profis die beidhändige Rückhand nutzt. Den aktuellen Profis machen die erhöhten physischen Anforderungen offenbar viel weniger aus.
Mehr Vorteile bei der einhändigen Rückhand
Deshalb würden viele der aktuellen Spieler auch recht weit hinter der Grundlinie spielen, dafür aber die etwas weniger fehleranfällige Technik mit zwei Händen wählen, sagt Stich. "Das ist alles eine Entwicklung, die mit der beidhändigen Rückhand zusammenhängt."
Dennoch: Der Ex-Profi sieht weiterhin mehr Vorteile bei der einhändigen Variante. "Wir haben die Bälle viel früher, im Aufsteigen genommen. Der Einhänder muss ein bisschen mehr Risiko gehen. Dafür ist er in der Lage, einen vernünftigen Rückhand-Slice zu spielen. Beim Volley ist die beidhändige Rückhand auch ein großes Problem", sagt Stich.
Trainer müssen wieder einhändige Rückhand lehren
Und so stellen sich existentielle (Technik-)Fragen. Wird die einhändige Rückhand auf kurz oder lang aussterben? Oder wird es irgendwann sogar wieder eine Renaissance geben?
Für Michael Stich ist das alles lediglich eine Frage der Zeit und des jeweiligen Zeitgeistes. "Es sind Wellenbewegungen. Es muss nur wieder Trainer geben, die den Kindern eine einhändige Rückhand beibringen", sagt er.
Und vor allem eines müsse es wieder geben: "Vorbilder, wie früher Roger Federer. Wir brauchen wieder einen jungen Spieler, der Bock auf die einhändige Rückhand hat", so Stich. Der Rest werde sich dann ganz automatisch wieder finden.