WADA behält sich Einspruch vor Positive Dopingtests - aber keine Sperre für Sinner
Der Tennis-Weltranglistenerste Jannik Sinner ist im März zweimal positiv auf das verbotene Steroid Clostebol getestet worden. Die Tennis Integrity Agency folgte nach einer Untersuchung Sinners Darstellung, das Mittel sei unbeabsichtigt durch seinen Masseur über die Haut übertragen worden. Beendet ist der Fall damit womöglich aber nicht, die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA kann einen Einspruch vor dem Internationalen Sportgerichtshof (CAS) einlegen.
Die WADA kündigte auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch (21.08.2024) an, die Entscheidung im Fall des Tennis-Weltranglistenersten Jannik Sinner zunächst "sorgfältig prüfen" zu wollen. Man behalte sich das Recht vor, gegebenenfalls Berufung beim Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne einzulegen, erklärte die WADA, die ihren Sitz im kanadischen Montréal hat.
Eine Reaktion der Italienischen Anti-Doping-Agentur (NADO) stand zunächst noch aus. Auch die nationale Agentur kann gegen die Entscheidung Berufung einlegen, wie die International Tennis Integrity Agency (ITIA) ausdrücklich in der Mitteilung erklärte.
Sinner im März zweimal positiv auf Clostebol getestet
Die ITIA ist eine vom Tennis-Weltverband, den Spielergewerkschaften und Turnierveranstaltern berufene Organisation, die unter anderem für die Überwachung der Integrität und der Anti-Doping-Regeln im Tennissport zuständig ist. Anders als in anderen Sportarten, wo etwa nationale Anti-Doping-Agenturen federführend für Doping-Verfahren sind. So hatte die Tennis-Integritäts-Agentur im Jahr 2023 im Fall von Simona Halep, unter anderem wegen der Einnahme einer verbotenen Substanz, eine Sperre von vier Jahren verhängt.
Die ITIA hatte nun auch die Untersuchung gegen Sinner am Dienstag (20.08.2024) publik gemacht. Demnach wurde Sinner am 10. März 2024 bei einer Wettkampfkontrolle in Indian Wells positiv auf das anabole Steroid Clostebol getestet, bei der Dopingprobe wurden geringe Mengen festgestellt. Eine weitere Probe, die acht Tage später in einer Trainingsphase genommen wurde, erbrachte nach ITIA-Angaben dasselbe Ergebnis.
Laut ITIA wurde jeweils im April eine vorläufige Sperre verhängt, das ist gemäß des Welt-Anti-Doping-Codes (WADC) in solchen Fällen üblich. Sinner habe in beiden Fällen Berufung eingelegt und damit Erfolg gehabt. Deshalb durfte er in der Folge weiter an Turnieren teilnehmen.
Sinners Erklärung: Kontamination durch einen Betreuer
Als Erklärung habe Sinner angeführt, die Substanz sei über die Hände seines Physiotherapeuten Giacomo Naldi in seinen Körper gelangt. Demnach habe der Betreuer ein in Italien rezeptfreies Clostebol-haltiges Spray benutzt, um einen Schnitt an seiner Hand zu behandeln. Aufnahmen vom Turnier in Indian Wells zeigen, dass Naldi tatsächlich eine bandagierte Hand hatte.
Italienische Medien zitieren aus dem 33-seitigen, detallierten Untersuchungsbericht, inklusive dem Namen der Apotheke in Bologna, in der Sinners Athletikcoach Umberto Ferrara das Trofodermin, so der Handelsname des Mittels, gekauft hat. Das Spray ging dann mit Sinners Team auf Tour nach Indian Wells. Dort wurde es laut ITIA-Mitteilung vom Masseur über mehrere Tage angewendet, zwischen dem 5. und 13. März. In dieser Zeit habe er auch Sinner massiert, was "zu einer unwissentlichen transdermalen Kontamination" geführt haben soll.
Tennis Integrity Agency hält Sinners Schilderung für glaubwürdig
Nach Rücksprache mit Sachverständigen, für die Sinners Erklärung glaubwürdig gewesen sei, habe die ITIA dann im April den Einsprüchen des Spielers zur Aufhebung der vorläufigen Sperren stattgegeben. Die Agentur verwies den Fall nach eigenen Angaben an eine als unabhängig deklarierte, privatwirtschaftliche Schlichtungsstelle namens Sports Resolutions. "Um die spezifischen Fakten zu prüfen, vergleichbare Anti-Doping-Entscheidungen zu überprüfen und festzustellen, welche Schuld der Spieler gegebenenfalls trug und welches Ergebnis angemessen war", wie es in der ITIA-Mitteilung hieß.
Am 15. August wurde schließlich eine Anhörung einberufen, "bei der das unabhängige Gericht feststellte, dass in dem Fall kein Verschulden oder keine Fahrlässigkeit vorlag, was zu keiner Sperre führte".
Zwischen den Positivtests im März und dem Abschluss der Ermittlung vergingen demnach fünf Monate. Dass in dieser Zeit nichts über die auffälligen Befunde beim besten Tennisspieler der Welt veröffentlicht wurde, steht nach Ansicht von ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt nicht im Einklang mit dem WADA-Code. "Dies legt den Eindruck nahe, hier sollte etwas möglicherweise nicht an die Öffentlichkeit gelangen, was geschäftsschädigend sein könnte", sagte Seppelt. Die ITIA argumentiere, dass sie ihre eigenen Regeln habe, so Seppelt. Ob das Verfahren korrekt abgelaufen sei, müsste sportjuristisch erst bewertet werden.
ITIA: "Nehmen jeden positiven Test äußerst ernst"
"Wir nehmen jeden positiven Test äußerst ernst und werden immer die strengen Verfahren der Welt-Anti-Doping-Agentur anwenden. Die ITIA hat eine gründliche Untersuchung der Umstände durchgeführt, die zu den positiven Tests geführt haben, bei der Herr Sinner und seine Vertreter uneingeschränkt kooperierten", sagte ITIA-Geschäftsführerin Karen Moorhouse: "Nach dieser Untersuchung akzeptierte die ITIA die Erklärung des Spielers. Dies wurde auch vom Gericht akzeptiert."
Obwohl Sinner von der ITIA entlastet wurde und ihm nach Ansicht des Schiedsgremiums auch keine Fahrlässigkeit vorgeworfen werden konnte, werden ihm gemäß der Anti-Doping-Regeln das beim Turnier in Indian Wells erspielte Preisgeld und die dort erzielten Ranglistenpunkte aberkannt.
Anti-Doping-Experte Fritz Sörgel: "Außerhalb der WADA-Regeln"
Deutliche Kritik an dem Freispruch für Sinner äußerte Dopingexperte Fritz Sörgel in einem Interview mit "Sport1". Ein Positiv-Test auf Clostebol müsse automatisch eine Sperre nach sich ziehen, so Sörgel, das Verfahren und der anschließende Freispruch durch ein Gericht seien "außerhalb der WADA-Regeln" abgelaufen. Der Pharmakologe zweifelte insbesondere die Erklärung an, wonach das verbotene Steroid infolge der Behandlung durch den Masseur in Sinners Körper gelangt sei. Es sei "sehr unwahrscheinlich, dass das Clostebol in solchen Mengen durch die Haut eindringt, dass es im Dopingtest auffällt".
Allerdings kam im Jahr 2020 eine italienische Studie zum Einsatz von Clostebol-Präparaten im Sport zu einem entgegengesetzten Befund. Die Untersuchung in Zusammenarbeit mit dem italienischen Anti-Doping-Labor bezog sich ausdrücklich auf das Mittel Trofodermin, das nun auch in Sinners Fall im Fokus steht: Demnach sei es bei der Anwendung grundsätzlich möglich, dass sich die Substanz über Hautkontakt, etwa beim Händeschütteln oder bei einer physiotherapeutischen Behandlung, übertragt und dies dann bei der zweiten Person zu einem positiven Doping-Befund führt.
Ob das auf diesem Weg, ob wissentlich oder unbeabsichtigt, verabreichte Clostebol aber tatsächlich eine leistungssteigernde Wirkung haben kann, gilt unter Experten eher als unwahrscheinlich, schon allein wegen der geringen Konzentration von 5 Prozent in dem Wundspray.
Sperren nach Clostebol-Befund - auch im italienischen Sport
Im italienischen Sport gab es bereits einen prominenten Clostebol-Fall, der Basketballer Riccardo Moraschini wurde nach einem Positivtest im Januar 2022 für ein Jahr gesperrt. Der langjährige Nationalspieler beteuerte seine Unschuld, für den Clostebol-Befund gab er eine ähnlich klingende Erklärung an: Seine Partnerin habe sich während der Essenszubereitung in den Finger geschnitten und die Wunde ebenfalls mit einer Clostebol-Salbe behandelt.
Einen weiteren Fall gab es 2022 in der US-Baseballliga MLS, dort wurde Fernando Tatis Jr. für 80 Spiele wegen der verbotenen Einnahme von Clostebol gesperrt. Die Substanz sei Teil eines Mittels gegen eine Wurmerkrankung gewesen, das ihm verschrieben worden sei. Diese Version rief erhebliche Zweifel hervor, schon allein deshalb weil die in den USA gängigen Wurmkur-Medikamente gar keine Steroide enthalten.
Auch die norwegische Langlauf-Königin Therese Johaug wurde wegen eines Clostebol-Befunds für 18 Monate gesperrt und verpasste die Winterspiele 2018. Nach Darstellung des norwegischen Verbands hatte bei Johaug eine Trofodermin-Lippencreme, aufgetragen gegen Sonnenbrand, den Positivtest ausgelöst.
Sinner-Mitteilung: "Herausfordernde und zutiefst unglückliche Zeit"
Sinners Berater-Agentur veröffentlichte im Anschluss an die IATA-Entscheidung eine Mitteilung. Darin wird auch der Weltranglistenerste zitiert, er teilte den Post bei Instagram. "Ich werde diese herausfordernde und zutiefst unglückliche Zeit jetzt hinter mir lassen", sagte Sinner demnach. Er werde "weiterhin alles tun, um sicherzustellen, dass ich das Anti-Doping-Programm der ITIA einhalte".
Spielervereinigung ATP betrachtet Fall als geklärt
Auch die Spielervereinigung ATP reagierte: "Dies war eine schwierige Angelegenheit für Jannik und sein Team und unterstreicht die Notwendigkeit für Spieler und ihr Umfeld, bei der Verwendung von Produkten oder Behandlungen äußerste Vorsicht walten zu lassen. Integrität ist das A und O in unserem Sport", teilte die ATP mit - die den Fall damit wohl als abgeschlossen betrachten möchte.
Kritik von anderen Spielern
Von Spielerseite gab es dagegen Kritik an der Entscheidung des Gerichts. "Lächerlich, ob es nun ein Unfall war oder nicht", schrieb etwa der Australier Nick Kyrgios im sozialen Netzwerk X: "Du solltest für zwei Jahre gesperrt werden. Deine Leistung hat sich verbessert." Auch der Kanadier Denis Shapovalov ist nicht begeistert: "Ich kann mir nicht vorstellen, was andere wegen Kontamination mit verbotenen Substanzen gesperrte Spieler derzeit fühlen."
Deutschlands Spitzenspieler Alexander Zverev äußerte sich zurückhaltend: "Ich habe keine Meinung dazu, weil ich zu wenig Informationen habe", sagte Deutschlands Nummer eins am Freitag über den Italiener. "Jannik ist ein super Typ, den ich auch außerhalb des Platzes kenne", sagte Zverev weiter, "ich habe eine gute Beziehung zu ihm, da wird sich auch nichts ändern."