Machtmissbrauch im Tennis Schleppende Aufarbeitung sorgt für Unmut
In diesen Tagen sollte der Abschlussbericht der "Aufarbeitungskommission Tennis" vorliegen. Vor sechs Monaten hatte der Deutsche Tennis Bund (DTB) ein unabhängiges Gremium mit der "Aufarbeitung und Prävention interpersonaler Gewalt" beauftragt. Anlass waren Vorwürfe des Machtmissbrauchs gegen den inzwischen verstorbenen DTB-Vizepräsidenten Dirk Hordorff.
"Man kann nicht unbedingt davon ausgehen, dass der Deutsche Tennis Bund ein ernsthaftes Interesse daran hat, dass aufgeklärt wird." So urteilt eine Person, die sich mehrfach proaktiv an die vom DTB eingerichtete Aufarbeitungskommission herangetreten war, um ihr Wissen zu teilen.
Mitte Mai hatte der Verband ein dreiköpfiges Gremium mit dem Frankfurter Juristen Felix Rettenmaier, der Jura-Professorin Ute Sacksofsky und dem ehemaligen Tennisprofi Erik Jelen mit der "Aufarbeitung und Prävention interpersonaler Gewalt" beauftragt. Betroffene sind nicht eingebunden.
Ob und wie die Kommission seitdem gearbeitet hat oder arbeitet, ist unklar. Das macht auch die oben genannte Person gegenüber der Sportschau deutlich. Sie sei jeweils kontaktiert und um Terminvorschläge für eine Anhörung gebeten worden, schildert sie. Der Bitte sei sie dreimal nachgekommen und dreimal habe sich die Kommission nicht mehr bei ihr gemeldet. Ihr Fazit: "Ich bin sprach- und fassungslos."
Dabei hätte sie der Kommission aus Interesse an Aufklärung ihr Wissen zur Verfügung gestellt im Fall Maximilian Abel. Der ehemalige Profi hatte dem Tennisfunktionär Dirk Hordorff unter anderem emotionale und physische Gewalt vorgeworfen und sich dazu ausführlich gegenüber dem Rechercheteam von Sportschau, NDR und "Süddeutscher Zeitung" geäußert. Dirk Hordorff hatte die Vorwürfe bestritten, war in der Folge aber aus gesundheitlichen Gründen von seinem Posten als DTB-Vizepräsident zurückgetreten. Ende Juli verstarb Hordorff.
"Wir wurden nicht kontaktiert"
Neben Abel hatten in einer ARD-Fernsehdokumentation weitere Personen - zum Teil anonymisiert - ihre Erfahrungen mit Dirk Hordorff geschildert oder Hinweise gegeben. Maximilian Abel, aufgrund von Betrugsdelikten zu einer langen Haftstrafe verurteilt, ist nach Sportschau-Informationen von der Aufarbeitungskommission kontaktiert worden. Zu einer Anhörung durch die Kommission ist es bisher aber nicht gekommen.
Der indische Tennisprofi Sriram Balaji, der in der Berichterstattung des Rechercheteams ebenfalls Vorwürfe des Machtmissbrauchs gegen Hordorff erhoben hatte, ist nach eigenen Angaben nie vom Aufarbeitungsteam kontaktiert worden. "Nichts gehört", bestätigen auch die anderen Personen, die mit Klarnamen in der ARD-Dokumentation zu Wort kommen und Hinweise zur Aufarbeitung geben könnten. Von der Kommission habe sich niemand gemeldet.
Das gilt auch für Maximilian Klein von der Interessenvertretung Athleten Deutschland. "Wir wurden auch noch nicht kontaktiert oder befragt", so Klein, der als Athletenvertreter durch Maximilian Abel von Anfang an in den Fall involviert war. Athleten Deutschland hatte bereits Zweifel an einer ersten Untersuchung des Falles Hordorff durch eine Anwaltskanzlei geäußert. Die hatte das DTB-Präsidium in Auftrag gegeben und soll dafür einen sechsstelligen Betrag gezahlt haben.
Das Ergebnis war zwar dem Beschuldigten zur Verfügung gestellt worden, Maximilian Abel hatte lediglich und mit Verzögerung Auszüge erhalten. Bereits damals hatte Athleten Deutschland eine Aufarbeitung des Falles gemäß vorliegender Standards etwa der Aufarbeitungskommission des Bundes oder der deutschen Sportjugend angemahnt.
"Unfassbar enttäuschend"
Vor sechs Monaten hatte der DTB dann eine Aufarbeitungskommission installiert. Welche Expertise die drei Kommissionsmitglieder in der Aufarbeitung gemäß der vorgegebenen Standards haben, blieb zunächst unbekannt. Nach sechs Monaten hieß es damals, sollte der Abschlussbericht vorliegen. Die sind nun vorbei.
Aktuell ist vollkommen unklar, ob und wie die Kommission bisher gearbeitet hat. Entsprechende Fragen der Sportschau hat Rechtsanwalt Felix Rettenmaier nicht beantwortet. Keine Informationen über einen Prozess, der bei Betroffenen Hoffnung geweckt hatte. "Das ist ein Schlag ins Gesicht", sagt Boris Kaminski im Gespräch mit der Sportschau. Er hat als Kind im Tennissport schwere sexualisierte Gewalt durch seinen Betreuer erlebt, was dieser bestreitet.
Kaminski ist es ein Anliegen, für das Thema zu sensibilisieren und seine Erfahrungen als Betroffener im Tennissport weiterzugeben und so Veränderungen zu bewirken. Das habe er in einem persönlichen Gespräch mit dem DTB-Präsidenten Dietloff von Arnim auch so kommuniziert. Kaminski war davon ausgegangen, dass die Aufarbeitungskommission sich bei ihm melden würde. Das ist nicht passiert.
"Als Betroffener hat man natürlich die Hoffnung, auch einen Stein angestoßen zu haben. Und jetzt wird dann doch wieder eine Mauer aufgebaut und wieder verschleiert und verhüllt. Ich finde das unfassbar enttäuschend und es macht mich total wütend", sagt Kaminski.
Bericht im ersten Halbjahr 2024
Aus vielen Gesprächen entsteht der Eindruck, dass der Deutsche Tennis Bund es mit der Aufarbeitung des Falles Hordorff nie ernst gemeint hat. Häufig fällt das Wort "Lippenbekenntnis". Nach dem Tod des ehemaligen DTB-Vizepräsidenten sei das Thema Aufarbeitung nicht weiter verfolgt worden, auch in der Hoffnung, es würde in Vergessenheit geraten, vermuten einige.
Dem widerspricht DTB-Präsident Dietloff von Arnim, der sich am Sonntag (19.11.2023) bei der Mitgliderversammlung des Verbandes in Köln zur Wiederwahl stellt. Die Kommission arbeite unabhängig vom Tode Dirk Hordorffs, schreibt der Tennisfunktionär auf Anfrage der Sportschau.
Ein Abschlussbericht liege nicht vor, bestätigt von Arnim, nennt für die Verzögerung allerdings keinen Grund und schreibt: "Wir hoffen, dass uns der Abschlussbericht im ersten Halbjahr 2024 vorliegt, aber das liegt in den Händen der unabhängigen Kommission." Bei allen weiteren Fragen, etwa warum niemand von den öffentlich bekannten Hinweisgebern von der Kommission gehört wurde, verweist er an die Kommission. Diese antwortet auf diesbezügliche Fragen nicht.
Aufarbeitung physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt im Sport ist Neuland. Drei solcher Kommissionen sind aktuell bei der Arbeit, im Schwimmen, Handball und im Turnen in Weimar. Alle Kommissionen folgen den Standards der Aufarbeitungskommission der Bundesregierung oder der Deutschen Sportjugend. Sie sind interdisziplinär besetzt und beteiligen Betroffene. Alle sprechen von einer sehr großen Herausforderung, kommen langsamer voran als eigentlich gedacht und haben Probleme zu bewältigen. Aber das wurde kommuniziert.
Im Tennis dagegen gibt es keinerlei Informationen. Der Hinweis, dass sich ein möglicher Abschlussbericht um mehrere Monate verzögern wird, erfolgt nicht aktiv sondern nur auf Nachfrage. Hier scheint sich das zu bestätigen, was Athletenvertreter Maximilian Klein als Risiko einer angekündigten Aufarbeitung beschreibt: "Wenn Betroffene beobachten, vielleicht aus der Ferne, wie der Verband agiert, wie er kommuniziert, wie er reagiert, wie er Versprechen offenbar nicht einhält, das ist eine verheerende Signalwirkung an Betroffene. Wohin sollen sie sich wenden?"
Auf der Tagesordnung für die Mitgliederversammlung des Deutschen Tennis Bundes am Sonntag ist die Arbeit der Aufarbeitungskommission kein Thema.