Flucht nach vorn Krisengebeutelter Deutscher Schwimmverband startet Reformprozess
Der DSV sucht den Ausweg aus der Dauerkrise. Der Verband, der wegen Missbrauchsvorwürfen und arbeitsrechtlicher Streits hunderttausende Euro Schadenersatz zahlen muss, will seine Spitze neu aufstellen.
Der DSV sucht den Ausweg aus der Dauerkrise. Der zuletzt führungslose Verband, der wegen Missbrauchsvorwürfen und arbeitsrechtlicher Streits hunderttausende Euro Schadenersatz zahlen muss, will seine Spitze neu aufstellen. Ein dreiköpfiger hauptamtlicher Vorstand soll es richten. Die Schatten der Vergangenheit sind allerdings immer noch Thema.
Der Ausnahmezustand war im Deutschen Schwimmverband DSV zuletzt zur Regel geworden. Seit der frühere Wasserspringer Jan Hempel im Sommer 2022 in einer ARD-Doku Missbrauchsvorwürfe gegen seinen früheren Trainer öffentlich machte und dem DSV Tatenlosigkeit vorwarf, steuerte der Verband von einer Krise in die nächste.
Bei der Mitgliederversammlung in Kassel sollte nun ein Ruck durch die Reihen gehen. Beschlossen wurde der Entwurf einer neuen Verbandssatzung, für den sich knapp 75 Prozent der Delegierten in Kassel in geheimer Abstimmung entschieden haben. Wichtigster Inhalt: Der DSV will im kommenden Jahr einen neuen Vorstand bestimmen. Künftig soll ein hauptamtliches Führungstrio den Verband in eine bessere Zukunft führen. Die Dreierspitze soll die Bereiche Verbandsmanagement, Leistungssport und Sportentwicklung verantworten.
Damit könne der Verband der Fülle der Aufgaben gerecht werden, begründete Vizepräsident Wolfgang Rupieper und gab an: "Eine Tätigkeit im Vorstand ist ein Vollzeit-Job und im Ehrenamt findet sich dafür niemand mehr." Der DSV stelle sich auf diese Weise für die Zukunft auf und verdeutliche den Wert der Hauptamtlichkeit.
Eine Grundlage für die Zukunft
Rupieper und sein Amtskollege, Vizepräsident Kai Morgenroth, hatten den Antrag, eine neue Satzung zu beschließen, eingebracht. Schon bei ihrer Wahl im November 2022 hatten sie dies angekündigt. Die Erleichterung, dass es nun geklappt hat, ist offenbar groß. Denn im Vorfeld der Versammlung war die Satzung kontrovers diskutiert worden. "Wir sind der Überzeugung, dass diese Satzung ein Meilenstein ist, um eine Grundlage für die Zukunft zu haben", so Rupieper.
Erst am Freitag hatte Wolfgang Hein, Präsident des Niedersächsischen Schwimmverbandes, in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" indes gesagt, dass der Entwurf der neuen Satzung ihm nicht weit genug gehe.
Strukturelle Probleme
Die strukturellen Probleme des DSV bestehen schon seit der Wiedervereinigung, sagte Lutz Thieme, Sportwissenschaftler der Hochschule Koblenz, vor der Mitgliederversammlung. Der Experte für Sportvereins- und Verbandsforschung hat die neue Satzung seit Januar 2021 als Mitglied der verantwortlichen Kommission im DSV mitentwickelt. "Die Zeiten haben sich geändert, die Herausforderungen auch. Es muss klar sein, wer was zu sagen hat und was zu tun ist. Sonst kann man keine Aufgaben lösen", betonte Thieme in Kassel.
Ob es nun auch zur umstrittenen Erhöhung der Lizenzgebühren für Wettkampfschwimmer kommen wird, wird sich allerdings erst im kommenden Jahr zeigen. In Kassel ist dies zunächst am Widerstand der Landesverbände gescheitert. Im neuen Jahr sollen dazu weitere Beratungen stattfinden. Der Haushalt für das kommende Jahr wurde deshalb ohne die Lizenzerhöhung durch die Delegierten verabschiedet. Auch die Liquidität des Verbands sei sichergestellt, wie Morgenroth erklärte.
Rupieper kontert Kritiker
Thema in Kassel waren zudem die außergerichtlichen Einigungen mit Missbrauchsopfer Jan Hempel und dem früheren Leistungssportdirektor Thomas Kurschilgen. Ein im Vorfeld der Versammlung versendetes Schreiben des Anti-Doping-Beauftragten des DSV, Alexander Mesch, hatte für Diskussionen gesorgt, weil Mesch darin seinen Rücktritt erklärt hatte. Das Schreiben liegt der Sportschau vor.
Durch die beiden Vergleiche hätten die beiden Vize-Präsidenten "massiv in die Finanzverhältnisse des Verbandes eingegriffen", die Rücklagen seien "zweckentfremdet" worden, schreibt Mesch. Für ihn sei eine finanzielle Wiedergutmachungsleistung an Jan Hempel "weder aus juristischen Gesichtspunkten notwendig noch in dieser Größenordnung aus moralischer Anteilnahme angezeigt" gewesen.
Das Logo des Deutschen Schwimm-Verbandes.
Auch in der offenen Aussprache kam Kritik an der Einigung mit Hempel auf: Peter Obermark aus dem Schwimmverband Schleswig-Holstein monierte, dass bei einer Entscheidung dieser Tragweite eine Sitzung der Mitgliederversammlung hätte einberufen werden müssen. Rupieper antwortete darauf mit emotionalen Worten: "Dann setzt ihr euch doch hier oben hin und übernehmt die Verantwortung in dieser Krisenzeit. Ich bin auch froh, wenn ich diese Entscheidungen nicht mehr treffen muss."
DSV strebt Einigung mit Buschkow an
Auch im Streit mit dem früheren Bundestrainer der Wasserspringer Lutz Buschkow strebt der DSV eine außergerichtliche Einigung an. Buschkow, der im Oktober 2022 fristlos gekündigt wurde, hatte dagegen vor dem Arbeitsgericht in Halle geklagt. Bei der ersten Güteverhandlung war es im zurückliegenden Sommer zu keiner Einigung gekommen.
Morgenroth berichtete, durch ein persönliches Gespräch mit Buschkow "Schaden begleichen" und damit den zweiten Gerichtstermin mit Zeugenvernehmungen im Februar verhindern zu wollen. "Buschkow geht es um öffentliche Rehabilitation und vor Gericht wird der Schaden für alle größer", ergänzte er.
Auf Bernd Berkhahn wartet ein Gespräch
Auf ein Gespräch wird sich auch Bundestrainer Bernd Berkhahn einstellen können: Der Trainer der Medaillengaranten Leonie Beck und Florian Wellbrock hatte dem Verband vor zwei Wochen gegenüber dem ARD-Morgenmagazin ein "großes Führungsproblem" attestiert. Berkhahn sagte, es werde "strukturell und perspektivisch nicht gearbeitet", die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele verlaufe nicht professionell. Auf der Mitgliederversammlung äußerte Leistungssportdirektor Christian Hansmann Unverständnis über Berkhahns Äußerungen: "Ich erwarte von den Bundestrainern, dass sie ihre Kompetenz einbringen. Verbandspolitische Äußerungen obliegen mir und dem Vorstand."
Als direkter Vorgesetzter von Berkhahn gab Hansmann zusätzlich Einblick in das Binnenverhältnis zwischen Leistungssportdirektor und dem erfolgreichsten Bundestrainer: "Mein Vorgänger (Anm. d. Red.: Thomas Kurschilgen) hatte ein gutes Verhältnis zu Berkhahn. Für mich war es schwer, diese Position anzutreten, die Voraussetzungen waren und sind nicht einfach". Hansmann betonte, er bekäme "Feuer und Tritte vors Schienbein", mit denen er sich "auseinandersetzen" müsse und zog eine Parallele zu 2021.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Berkhahn als Mitunterzeichner eines offenen Briefs Kritik am damaligen Vorstand um DSV-Präsident Marco Troll geübt - wenige Monate vor Beginn der Olympischen Spiele in Tokio: "Schon damals sollte der Vorstand destabilisiert werden und dem muss man jetzt begegnen." Zusammen mit Rupieper und Morgenroth sei ein Gespräch mit Berkhahn am kommenden Wochenende geplant.