
Vom Fast-Absteiger in die Spitzengruppe Plötzlich ein Kandidat für Europa: Was ist denn bei Mainz 05 passiert?
Der 1. FSV Mainz 05 stand in der letzten Saison schon mit einem Bein in der 2. Liga, jetzt winkt der Sprung nach Europa. Wie ist der Höhenflug zu erklären? Und wo kann die Reise noch hingehen?
Als Bo Henriksen vor der Saison im Sommertrainingslager nach dem Saisonziel gefragt wurde, antwortete er wie alle Mainzer Trainer und Verantwortlichen seit dem Bundesliga-Aufstieg 2009: Klassenerhalt. Etwas überraschend fügte er hinzu: "Wir haben auch Ambitionen und wenn wir das Ziel erreicht haben, können wir hoffentlich für eine Überraschung sorgen." Was das für eine Überraschung sein könnte? "Vielleicht in Europa zu spielen."
Da zog manch einer erstaunt die Augenbrauen hoch. Schließlich hatten die 05er nur wenige Wochen zuvor lediglich dank einer fulminanten Rückrunde den Klassenerhalt gesichert. Im Vorfeld des Trainingslagers hatten die Rheinhessen zudem eine 0:3-Packung beim Regionalligisten Eintracht Trier kassiert. Und jetzt redete der Däne von Europa?
Mainz 05 mit holprigem Saisonstart
Darüber hinaus hatten mit Brajan Gruda und Leandro Barreiro wichtige Spieler den Klub verlassen. Die Skeptiker durften sich nach acht Spieltagen vorerst bestätigt sehen. Mit nur zwei Siegen dümpelten die Mainzer im unteren Mittelfeld und hätten sicher noch nicht gewagt, den Blick nach oben zu richten. Vor allem in der heimischen Arena taten sich die 05er mit dem Punkten lange schwer.
Nur knapp vier Monate ist das her, und doch ist am Bruchweg eine Menge passiert seitdem. Henriksens Optimismus hat sich ausgezahlt. Mit seiner impulsiven, unvergleichlichen Art hat er die Mannschaft auf Erfolgskurs gebracht: Der FC Bayern wurde besiegt, der VfB Stuttgart ebenso und Borussia Dortmund war nach den Roten Karte gegen Emre Can beim 1:3 in der Mainzer Arena gleich gänzlich chancenlos.
Nun, Mitte Februar, stehen die 05er nach dem souveränen 2:0 beim 1. FC Heidenheim mit 35 Punkten auf Rang sechs. Auf die Champions-League-Ränge fehlen gerade einmal zwei Punkte. Um den Klassenerhalt muss sich in Mainz in dieser Saison längst niemand mehr sorgen.
Die Mainzer Defensive - Erfahrung und Qualität
Doch was sind die Gründe für den Höhenflug? Die Basis ist sicher die Defensive, die den Mainzern schon im letzten Jahr zum Klassenerhalt verholfen hatte. Doch in dieser Saison stehen die Rheinhessen noch deutlich sicherer. Nur der FC Bayern (19) hat weniger Gegentore kassiert als die Henriksen-Elf (24). Der Däne setzt dabei auf eine Fünferkette mit drei Innenverteidigern und den Schienenspieler Philipp Mwene und Anthony Caci. Den beiden kommt eine Schlüsselrolle zu, denn der Österreicher und der Franzose sind sowohl in der Defensive als auch in der Offensive wichtige Akteure in Henriksens System.
In der Innenverteidigung erlebte Routinier Stefan Bell bis zu seiner Muskelverletzung in Bremen seinen x-ten Frühling. Seitdem wird der 33-Jährige von Neuzugang Moritz Jenz neben Dominik Kohr und Danny da Costa in souveräner Manier vertreten. Mit Andreas Hanche-Olsen und Maxim Leitsch stehen zudem weitere adäquate Alternativen parat. Und im Tor steht mit Robin Zentner ein Keeper, der in dieser Saison die meisten Bälle pariert hat. Der 30-Jährige strahlt zudem die nötige Ruhe aus und hat gemeinsam mit den drei Innenverteidigern Bell, da Costa und Kohr fast 1000 Bundesligaspiele auf dem Buckel. Erfahrung kannst du eben nicht trainieren, zumal in der Defensive.
Sano und Amiri harmonieren perfekt
Im Mittelfeld hat sich der Japaner Kaishu Sano mit ein wenig Anlaufzeit als die erhoffte Verstärkung herausgestellt. Nach dem Wirbel um seine vorübergehende Festnahme wegen einer mutmaßlichen Beteiligung an einem Sexualdelikt in seiner Heimat stieß der Neuzugang von den Kashima Antlers verspätet zum Kader und brauchte etwas Zeit zur Eingewöhnung. Längst aber ist der 24-Jährige mit seiner Zweikampfstärke und seiner enormen Laufleistung zu einer Konstante im Mainzer Spiel geworden. Von Leandro Barreiro spricht jedenfalls niemand mehr am Bruchweg.
Der Japaner spielt auch einen sauberen Ball, für die Gestaltung ist aber vor allem sein Nebenmann Nadiem Amiri zuständig. Der gebürtige Ludwigshafener war im letzten Winter aus Leverkusen gekommen und schon eine der prägenden Figuren beim Husarenritt zum Klassenerhalt gewesen. Und auch in dieser Saison präsentiert sich der fünfmalige Nationalspieler wieder in starker Verfassung - vier Tore und zwei Assists sind Ausdruck dafür, wie wertvoll Amiri für die 05er ist. Und das, obwohl er nach seinen Platzverweisen (Gelb-Rot in Augsburg, Rot in Frankfurt) schon einige Partien zum Zuschauen verdammt war.
Paul Nebels eindrucksvolle Entwicklung
Auch in der Offensive läuft es rund. Mit Jae-Sung Lee und Paul Nebel haben sich auf den Außenpositionen zwei ähnliche Spielertypen festgespielt. Wendig, trickreich, laufstark, mit großer Aggressivität im Gegenpressing. Letzteres hilft den 05ern vor allem in der Arbeit gegen den Ball, doch das Duo sorgt auch für Torgefahr. Fünf Treffer und drei Asssists haben Lee und Nebel jeweils auf dem Konto. Besonders die Entwicklung von Nebel sorgt in Mainz für zufriedene Gesichter angesichts der gelungenen Planung um den 22-Jährigen. Nebel war zwei Jahre an den Karlsruher SC ausgeliehen und hat in seinen Jahren in der 2. Bundesliga den erhofften Entwicklungsschritt genommen, wie er in dieser Saison eindrucksvoll beweist.
Beim 2:0-Sieg in Heidenheim am Sonntagabend war Nebel neben Torhüter Zentner, Angreifer Nelson Weiper, der überraschend für Lee in der Startelf gestanden hatte, und Jonny Burkardt einer von vier Akteuren, die im eigenen NLZ ausgebildet wurden. Die erfolgreiche Nachwuchsarbeit trägt also Früchte. Apropos Burkardt: Der 24-jährige Nationalspieler ist neben Trainer Henriksen das Gesicht der starken Mainzer Saison. 13 Tore in 18 Partien hat der Angreifer auf dem Konto. Ausgebremst von zwei Muskelverletzungen hat Burkardt bereits vier Spiele verpasst, sonst wäre für die 05er vielleicht sogar noch der ein oder andere Zähler mehr drin gewesen. So sagten etwa zahlreiche Fans nach dem 0:1 in Bremen unisono: "Mit Jonny hätten wir heute nicht verloren."
Jonny Burkardt bleibt der Fixpunkt
Bleibt die Frage, wo die Mainzer Reise in dieser Saison endet. Tatsächlich hängt viel davon ab, ob Torjäger Burkardt fit bleibt. Beim Sieg in Heidenheim hat er mit einem Tor und einem Assist erneut bewiesen, wie wertvoll er für die Mannschaft ist. "Unglaublich", wie Henriksen in dieser Spielzeit schon so oft über seinen Top-Scorer gesagt hat. Weiper oder auch Armindo Sieb können Burkardt zwar ordentlich bis gut vertreten, in die Kategorie "Unterschiedsspieler" fallen sie jedoch (noch) nicht. Wobei der 19-jährige Weiper mit zwei Toren in den letzten vier Spielen seine Torgefährlichkeit mehr als nur angedeutet hat.
In der Defensive haben die 05er dagegen genügend Alternativen, um auch auf Ausfälle reagieren zu können. So steht etwa Winter-Neuzugang Lennard Maloney zur Verfügung, der bei Ex-Klub Heidenheim zwar seine ersten elf Minuten im Mainzer Trikot auf den Platz brachte, aber angesichts der starken, funktionierenden Stammelf bislang praktisch nicht benötigt wurde.
Spiele gegen St. Pauli und in Leipzig weisen den Weg
Diese Stammelf hat eine enorme Entwicklung genommen. "Wir haben den Kampf angenommen. Wir wussten, dass es ein sehr schwieriges Spiel wird", sagte Burkardt nach der Partie in Heidenheim im Sportschau-Interview. Genau das unterscheidet die 05er vom Auftreten zu Beginn der Saison, da ging etwa das Heimspiel gegen giftig agierende Heidenheimer noch mit 0:2 verloren.
Die Mainzer treten seit vielen Wochen mannschaftlich geschlossen auf und verfügen in der Offensive über mehr Qualität als viele der Teams im Mittelfeld. Diese Mischung sorgt aktuell dafür, dass die Rheinhessen schwer zu bespielen sind. Zudem sind sie in der Lage, auch gegen Top-Teams zu punkten. In Frankfurt siegten die Mainzer in Unterzahl, beim Meister Bayer Leverkusen wäre mehr drin gewesen als das knappe 0:1.
Die Chance, einen europäischen Wettbewerb zu erreichen, ergibt sich auch aus den wechselhaften Leistungen der Konkurrenz. Während der FC Bayern und Leverkusen enteilt sind, zeigt sich alleine Eintracht Frankfurt im oberen Tabellendrittel einigermaßen konstant. Alle anderen Teams wie RB Leipzig, der SC Freiburg oder der VfB Stuttgart unterliegen mal kleineren, mal größeren Schwankungen. Nur deshalb darf mit Mainz 05 auch mal einer der "kleinen" Klubs oben anklopfen.
Die kommenden Wochen werden richtungsweisend sein. Zunächst empfängt Mainz den FC St. Pauli (22.02.2025), dann reist die Mannschaft zu RB Leipzig. Ein Spiel zwischen zwei direkten Konkurrenten, sogar um einen Platz in der Champions League, so unwirklich das klingen mag. Sollte die Elf von Henriksen am Wochenende den Aufsteiger aus Hamburg schlagen und auch in Leipzig punkten, werden erneut Fragen nach dem internationalen Geschäft gestellt werden. Und dieses Mal würde niemand mehr die Augenbrauen hochziehen.
Sendung am Do., 20.2.2025 16:00 Uhr, Der Tag in RLP, SWR1 Rheinland-Pfalz