Fußball | Zwischenbilanz Der VfB Stuttgart ist im Soll - aber auch ein Opfer der geschürten Erwartungshaltung
In der Länderspielpause zieht SWR Sport bei seinen Fußballklubs eine erste Zwischenbilanz: Der VfB Stuttgart steht nach dem Umbruch zwar ordentlich da, bekommt aber auch die gestiegene Erwartungshaltung zu spüren.
So lief der Saisonstart
Die abgelaufene Spielzeit war für den VfB Stuttgart wie ein nicht enden wollender Fiebertraum - im positiven Sinne. Mitreißender Fußball, 73 Punkte (so viele wie nie zuvor), Vize-Meisterschaft und die Qualifikation für die Champions League. Viel mehr geht nicht - und es war klar, dass es in der neuen Spielzeit nicht darum gehen wird, den Sensationserfolg zu bestätigen, sondern darum, sich nach Jahren des Abstiegskampfes, inklusive zweimaligem Gang in die 2. Liga, nachhaltig in der oberen Tabellenhälfte der Bundesliga zu etablieren.
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Dass dieses Unterfangen schwer werden würde, war allen Protagonisten beim VfB Stuttgart vor der neuen Saison klar. Erst recht nach den Sommer-Abgängen von 28-Tore-Stürmer Serhou Guirassy (Borussia Dortmund), Abwehrchef Waldemar Anton (Borussia Dortmund) sowie dem polyvalenten und ungemein wertvollen Defensivspieler Hiroki Ito (FC Bayern München). So gesehen ist der VfB mit neun Punkten aus den ersten sechs Bundesligaspielen, dem Weiterkommen im DFB-Pokal sowie ordentlichen Auftritten in der Champions League voll im Soll.
Es wäre aber auch mehr möglich gewesen. Bereits im Supercup bei Bayer Leverkusen (2:2, 3:4 i. E.) verspielte die Mannschaft von Trainer Sebastian Hoeneß kurz vor Schluss in Überzahl den sicher geglaubten Sieg. An den ersten zwei Bundesligaspieltagen (1:3 nach früher Führung beim SC Freiburg, 3:3 gegen Mainz 05 nach Zwei-Tore-Führung) ließen die Schwaben früh Punkte liegen. Auf der anderen Seite zeigte die Hoeneß-Truppe Moral und punktete mit Last-Minute-Toren beim VfL Wolfsburg (2:2) und gegen die TSG Hoffenheim (1:1), wobei sie es versäumte, beide Spiele frühzeitig in ihre Richtung zu lenken.
Dass es zumindest unter den Fans eine gewisse Unzufriedenheit zu geben scheint, liegt an der gestiegenen Erwartungshaltung. Vor anderthalb Jahren hätten alle VfB-Anhänger neun Punkte nach sechs Spielen wohl blind unterschrieben, aber der Erfolg der Vergangenheit hat in der Gegenwart Begehrlichkeiten geweckt. Drei Remis in Serie (Wolfsburg, Sparta Prag, Hoffenheim) zuletzt haben für ein leises Murren gesorgt. Es gibt aber auch die andere Lesart: Nach der Auftaktpleite in Freiburg ist der VfB in der Bundesliga ungeschlagen, inklusive eines 5:1 gegen Dortmund und eines 3:1 in Mönchengladbach. Also alles eine Frage der Perspektive. Und dass von Coach Hoeneß und Sportvorstand Fabian Wohlgemuth ausgegebene Ziel lautete schließlich, eine "sorgenfreie Saison" zu spielen. Da sind die Schwaben auf einem guten Weg.
So lief es für die Neuzugänge
Neuzugang Jeff Chabot (1. FC Köln) hat sich in der VfB-Abwehr schnell unentbehrlich gemacht. Der Innenverteidiger ist ein echtes Kraftpaket und verteidigt dadurch körperlicher als die Abgänge Anton und Ito. Chabot gilt als echtes "Zweikampfmonster" - Kopfbälle inkludiert - und stellte dies bislang auch überzeugend unter Beweis. Was ihm noch abgeht ist die Passsicherheit seiner Vorgänger, insbesondere im vertikalen Spielaufbau.
Ermedin Demirovic (FC Augsburg) ließ sich Stuttgart immerhin 21 Millionen Euro kosten. Der Bosnier erzielte in sechs Bundesligaspielen fünf Tore und traf zudem im DFB-Pokal beim 5:0 gegen Preußen Münster. Allerdings fremdelt Demirovic trotz der beeindruckenden Quote noch ein wenig, ist spielerisch noch nicht so stark eingebunden wie Vorgänger Guirassy. Leihgabe El Bilal Touré (Atalanta Bergamo) kommt an den gesetzten Angreifern Demirovic und Deniz Undav noch nicht vorbei, zeigte aber schon positive Ansätze und traf beim 5:1 gegen Borussia Dortmund.
Fabian Rieder (Stade Rennes), Nick Woltemade (Werder Bremen), Justin Diehl (1. FC Köln) und Frans Krätzig (FC Bayern) sind bislang Kaderspieler, die bereits auf einige Einsatzminuten und teilweise auch auf Scorerpunkte kommen. Das erklärte Ziel der VfB-Verantwortlichen vor der Spielzeit war es, den Kader für drei Wettbewerbe zu verbreitern - das ist ihnen gelungen.
Yannik Keitel (SC Freiburg) spielt bislang noch keine große Rolle. Der ablösefreie Neuzugang fremdelt noch etwas mit den Anforderungen des Hoeneß-Fußballs, der Defensivspieler bekommt aber ebenso Zeit wie Ramon Hendriks (Vitesse Arnheim), der als Perspektivspieler für die Abwehr verpflichtet wurde. Ameen Al-Dhakil (FC Burnley) wurde mit einer Verletzung verpflichtet und arbeitet aktuell an seiner Genesung. Wenn er fit ist, sollte der belgische Nationalspieler eine Verstärkung für die Stuttgarter Defensive darstellen.
So wirkt der Trainer
Sebastian Hoeneß hat sich beim VfB Stuttgart fast schon Legenden-Status erworben. Bei seinem Amtsantritt im April 2023 hat er die taumelnden Schwaben wieder zum Leben erweckt, über die Relegation zum Klassenerhalt und in der Folge-Saison zur Vize-Meisterschaft geführt. Seine Verpflichtung war ein absoluter Glücksfall für die Schwaben. Unter Hoeneß steht das "Fußball spielen" im Vordergrund, seine Mannschaft soll agieren, nicht reagieren. Sein Team spielt mit einer offensiven Ausrichtung, gepaart mit klaren Zuteilungen, Rollen und Aufgaben. Spielfreude, Spielkontrolle und defensive Stabilität sind die drei Faktoren, die Hoeneß anstrebt. Oft gelingt das, naturgemäß aber nicht immer. Doch Hoeneß hat sich einen riesigen Kredit bei den Anhängern erarbeitet. Zudem gilt er als Bessermacher der Spieler. Dass der VfB aktuell mit sechs Profis im Aufgebot der deutschen Nationalmannschaft vertreten ist, ist zu großen Teilen auch sein Verdienst. Kurz: Sebastian Hoeneß ist absolut unumstritten und bei den Schwaben hofft man, dass er noch lange auf der Trainerbank sitzt.
Ausblick
Der VfB Stuttgart wird sein proklamiertes Ziel der "sorgenfreien Saison" sicher erreichen. Die Mannschaft befindet sich noch in der Findungsphase, auch die Dreifachbelastung ist neu, dennoch wirken die Ansätze bereits vielversprechend. Sollte es dem Hoeneß-Team gelingen, defensiv noch stabiler zu werden und die leichten Fehler zu minimieren, so ist die erneute Qualifikation fürs internationale Geschäft drin. Noch einmal in die Champions League einzuziehen dürfte indes - auch angesichts der Konkurrenz - schwierig werden.