Herthas Trainer Stefan Leitl am Rande des Spiels gegen Karlsruhe | Bild: IMAGO/Nordphoto

Heimsieg gegen den KSC Zweiter Sieg in Serie: Hertha BSC hat eine neue Leitl-Kultur

Stand: 29.03.2025 17:37 Uhr

Hertha BSC gewinnt das Heimspiel gegen den Karlsruher SC und damit zum zweiten Mal in Folge. Der erste Heimsieg seit Oktober 2024 gelang auch deshalb, weil die Mannschaft immer mehr den Stil des neuen Trainers Stefan Leitl verinnerlicht. Von Marc Schwitzky

Als Hertha BSC Mitte Februar den Trainer wechselte, entschied sich der Klub nicht nur fußballerisch für einen neuen Weg, sondern auch menschlich. Cristian Fiél – bis zum 22. Spieltag für die Mannschaft verantwortlich - war bekannt für seine überschwappende Leidenschaft, auf den Pressekonferenzen ging es oft emotional zu.
 
Doch Fiéls Emotionshaushalt kostete Energie, er faserte zum Ende seiner Amtszeit immer weiter aus, fand sowohl in seiner Spielidee als auch seinen gesprochenen Worten immer seltener die nötige Klarheit. Es wurde verkopft – und scheiterte.
 
Mit Nachfolger Stefan Leitl veränderte sich die Raumtemperatur bei den Berlinern. Der 47-Jährige ist wesentlich trockener in seiner Art. Leitl lässt kein Gramm Fett an seine öffentlichen Aussagen, die sehr gerade und fokussiert daherkommen. Mit seiner etwas unterkühlten, sehr ruhigen Art schafft Leitl einen deutlichen Kontrast zu seinem Vorgänger – aber auch mit seinem Fußball.

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So erlebt Hertha seit rund sechs Wochen einen regelrechten Kulturwandel auf dem Trainerstuhl. Ein Prozess, der etwas Anlaufzeit brauchte, nun aber sichtbare Früchte trägt. Am Samstagnachmittag konnte die "alte Dame" gegen den Karlsruher SC ein 3:1 und damit den zweiten Sieg nacheinander einfahren. Es war der erste Heimerfolg seit Oktober 2024 – und der trägt eine klare Handschrift.

Leitl treibt Hertha den Schlendrian aus

Dass die Blau-Weißen beinahe ein halbes Jahr auf ihre nächste (wenn auch noch sehr kurze) Siegesserie warten mussten, ist der fehlenden Konstanz zuzuschreiben. Seltenst konnte Hertha in zwei aufeinanderfolgenden Partien der laufenden Saison eine annähernd kohärente Leistung darbieten. Selbst nach Siegen stellte sich kein gesteigertes Grundniveau ein. Hertha würfelte die Tagesform zu Anpfiff.
 
Doch nicht mit Stefan Leitl. Herthas Trainer ließ sowohl nach den guten Leistungen seiner Mannschaft gegen Nürnberg (0:0) und Schalke 04 (1:2), als auch nach dem jüngsten Sieg in Braunschweig (5:1) keinerlei Selbstzufriedenheit aufkommen. Beinahe stoisch mahnte er weiter zu maximaler Fokussierung. "Man hat in der Länderspielpause schon gemerkt, dass der Sieg in Braunschweig ein Brustlöser war. Doch es beginnt heute wieder bei null", erklärte Leitl vor dem Anpfiff des Spiels gegen den Karlsruher SC.
 
Es scheint Leitls klarer Auftrag zu sein, in den Kopf seiner so überaus wankelmütigen Mannschaft zu kommen und ihr den Schlendrian der Vormonate auszutreiben. Gebetsmühlenartig betont er, die Mannschaft müsse die "Prioritäten der zweiten Liga" annehmen – sprich: Kampf, Wille, Konzentration. Ohne jene Attribute verpufft jedes Talent.

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Ein klarer Stil

Es scheint, als habe die Mannschaft verstanden. Die Blau-Weißen knüpften gegen den KSC an ihre starke Leistung des Braunschweiger Brustlösers an und zeigten von Beginn an eine hochgradig fokussierte Vorstellung. Die Spieler harmonieren und marschieren im 3-4-1-2, das mittlerweile ihr vertrautes System geworden ist. Der von Leitl praktizierte Umschaltfußball unterscheidet sich deutlich vom Ballbesitz-Ansatz seines Vorgängers, liegt Herthas Akteuren jedoch sichtlich.
 
So entstand auch der 1:0-Führungstreffer nach einem Ballgewinn, den Hertha schnell nach vorne trug, blitzartig kombinierte und zu Fabian Reese brachte. Herthas Unterschiedsspieler ließ sich nicht zweimal bitten und wuchtete den Ball ins Tor. Es war die erste wirkliche Chance des Spiels, die der Hauptstadtklub sofort zu nutzen wusste – ein Spiegelbild des Braunschweig-Spiels. Und eine Abgezocktheit, die Hertha unter Fiél nicht mehr zuzutrauen war. Unter Leitls Vorgänger standen spielerischer Aufwand und Ertrag in Toren in keinem Verhältnis mehr, der Ball wollte einfach nicht rein.
 
Doch Leitls klarer Stil hat Hertha die Kunst des Einfachen wiedergegeben. Der Umschaltfußball mit seinen wenigen Stationen bis zum Torabschluss lässt Herthas so talentierte, aber auch oftmals verkopfte Ausnahmekönnern keine Zeit zum Nachdenken – sie müssen sofort handeln und agieren daher so effizient wie lange nicht mehr. Hertha hat mittlerweile klar weniger Ballbesitz als seine Gegner, nutzt den aber deutlich besser. Eine neue Ernsthaftigkeit.

Nur noch selten Hurra-Fußball

Dass Hertha mit dem 1:0 in die Halbzeitpause ging, lag vor allem an der Arbeit gegen den Ball. Die Hauptstädter agieren unter Leitl deutlich galliger im Defensivverhalten, verschieben äußerst diszipliniert und ruhen sich nicht im tieferen Block aus, sondern stören den Gegner immer wieder durch hohes Pressing. So auch gegen den KSC, der im ersten Durchgang überhaupt nicht gefährlich wurde und kein Tempo aufbauen konnte.
 
Wollte Hertha unter Fiél noch immer den Ball und litt jede Sekunde, in der sie ihn nicht hatten, hat die Mannschaft unter Leitl kein Problem, jene Phasen durch gutes Pressing- und Kettenverhalten für sich zu nutzen. Leitl fordert von seinen Schützlingen ein, jede Sekunde des Spiels aktiv zu sein, eine hohe Frequenz an eigenen Aktionen zu kreieren und so nie abzuschalten. Daraus resultiert eine erhöhte Konzentration - und somit weniger individuelle Fehler.
 
So spielt Hertha unter Leitl zwar nur selten Hurra-Fußball, bewegt sich allerdings in einem deutlich engeren Leistungsintervall, das ein gewisses Grundniveau kaum unterschreitet. Ein deutlich pragmatischerer Ansatz, mit dem Hertha spielerisch nicht mehr mit dem Kopf durch die Wand will.

Mehr Verstand als Glück - und Reese

Hertha begann den zweiten Durchgang erneut sehr effizient – und erneut durch einen herausragenden Reese, der unter Leitl regelrecht explodiert. Wieder war Hertha gegen den Ball hellwach, Reese kam nach einem gegnerischen Fehlpass schneller an den Ball als KSC-Schlussmann Max Weiß, sprintete zum Tor und lupfte den Ball cool über einen Verteidiger zum 2:0 ein. Reese blüht als Mittelstürmer auf, erzielte sechs der letzten neun Hertha-Tore. Ihm kommt der Umschaltfokus unter Leitl sehr entgegen, da er so seine Dynamik perfekt ausspielen kann.
 
Doch nur neun Minuten später kassierte Hertha den Anschlusstreffer. KSC-Kapitän Marvin Wanitzek verwandelte einen Elfmeter, nachdem Toni Leistner ein unnötiges Foul begangen hatte – der womöglich einzige klare individuelle Fehler eines Blau-Weißen am Samstagnachmittag. Zwar konnte der KSC am Anschluss ein wenig an Momentum zulegen, doch Hertha überstand jene Phase schadlos. "Wir haben in der Phase, in der der KSC am Drücker war, Leidenschaft gezeigt. Die Jungs haben sich in alles hineingeworfen", lobte Leitl nach dem Spiel.

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Dass Hertha trotz des KSC-Aufbäumens nur eine wirkliche Großchance (80. Minute) zuließ, spricht ebenfalls für eine neue Haltung zum Spiel gegen den Ball. Hertha hatte in jener brenzligen Phase mehr Verstand als Glück, ging nicht im Chaos unter.
 
Das zeigte sich in einer der letzten Szenen des Spiels. Hertha hörte nicht auf, eigene Akzente nach vorne zu setzen und so legte Joker Marten Winkler für den ebenfalls eingewechselten Luca Schuler auf, der die Flanke zum 3:1-Endstand einköpfte. Erneut ein Moment, der vor Effizienz und Coolness nur so strotzte – Vokabeln, die vor kurzem noch Fremdwörter in Berlin waren.

Es ist noch nichts gewonnen

Hertha war am Samstagnachmittag nicht immer die optisch bessere, aber beinahe durchgehend die galligere, diszipliniertere und effizientere Mannschaft mit dem klareren Spielplan – und so auch der verdiente Sieger der Partie. Die Berliner konnten direkt an ihr Spiel gegen Braunschweig anknüpfen, ähnliche Qualitäten gegen einen schwereren Gegner zeigen und erste Anzeichen einer aufkommenden Konstanz unter dem noch neuen Trainerteam erkennen lassen.
 
Es scheint, als würden Mannschaft und Trainer fußballerisch eine gemeinsame Sprache sprechen und so ist nach anfänglichen Problemen eine klare, erfolgsbringende Richtung zu erkennen. Leitl ließ auch nach dem 3:1-Erfolg keinerlei Selbstzufriedenheit aufkommen. "Wir haben noch einen langen Weg vor uns. Diese Liga ist brandgefährlich, wir müssen punkten", mahnt der Münchener weiter stoisch. Die eingeschlagene Richtung scheint jedoch die richtige zu sein. Leitls klare und nimmersatte Art scheint der oftmals verkopften wie auch etwas vorschnell zufriedenen "alten Dame" sehr gut zu tun.

Sendung: rbb24 UM6, 29.03.2025, 18:00 Uhr