Kader, Finanzen, Historie, Stadion Was der Einzug in die Champions League für den 1. FC Union bedeuten würde

Stand: 20.05.2023 13:59 Uhr

Was wie ein Märchen klingt, hat längst reale Züge: Im Saison-Endspurt steuert der 1. FC Union auf die Champions League zu. Johannes Mohren über die historische Dimension, Auswirkungen auf Kader und Finanzen - und die Stadionfrage.

Noch will sich beim 1. FC Union niemand locken lassen. Champions League? Diese Worte meidet nicht nur Trainer Urs Fischer trotz unzähliger Fragen. Dass er diese dennoch wieder und wieder gestellt bekommt, liegt in der Natur der Sache - oder präziser gesagt: an der Tabelle. Zwei Spieltage vor Schluss stehen die Köpenicker als Vierter der Bundesliga auf eben einem solchen Champions-League-Platz. So wie sie es bislang nach 30 der 32 Spieltage taten. Grund genug zu schauen, was die Teilnahme an der Königsklasse für den Klub bedeuten würde.

Finanzen

Ils sont les meilleurs / Sie sind die Besten / These are the champions
Die Meister / Die Besten / Les grandes équipes / The champions
 
Es sind diese beiden Strophen der Champions-League-Hymne, die vor jedem Spiel der Königsklasse erklingen. Die Botschaft des Textes - untermalt von einer imposant aufsteigenden Streichermelodie (der Gänsehaut-Garantie für Fußball-Fans) - ist so reduziert wie klar: Es folgt nun Extraklasse. Das Beste, was der europäische Fußball-Vereinssport zu bieten hat.
 
Das spiegelt sich auch in den Prämien. Die Uefa (Union Europäischer Fußballverbände, Anm. d. Red.) schüttet für les meilleurs, die Besten, the champions in ihrem Premium-Wettbewerb weit (!) mehr Geld aus als etwa in der Conference oder Europa League. Allein die Teilnahme an der Gruppenphase brachte in der laufenden Saison 15,64 Millionen Euro. Da war noch kein Spiel gespielt. "Das wird in der kommenden ähnlich sein, tendenziell gibt es sogar noch ein paar Euro mehr", sagt Transfermarkt-Experte Philipp Marquardt im rbb|24-Interview. Zum Vergleich: In der Europa League bekam der 1. FC Union in dieser Spielzeit 3,63 Millionen Startgeld.

Union-Präsident Dirk Zingler spricht auf der Mitgliederversammlung der Eisernen. Quelle: imago images/Matthias Koch
"Der Erfolg des 1. FC Union steht auf tönernen Füßen"

Zieht der 1. FC Union in die Champions League ein, stößt er auch finanziell in andere Sphären vor. Doch wie sehen die Bilanzen aktuell aus? Es gebe viel Nachholbedarf, sagt Wirtschaftsexperte Henning Zülch - und kündigt einen schwierigen Spagat an. mehr

Bei sportlichem Erfolg lässt sich schon in der Gruppenphase weiter ordentlich Geld verdienen. 2,8 Millionen überweist die Uefa pro Sieg, 930.000 Euro für ein Remis. Doch es ist mehr als 'nur' das. Die TV-Einnahmen steigen. Mit dem Merchandising wird mehr verdient. Der Verein ist präsenter. "Die internationale Sichtbarkeit wird größer, der Klub wird auch von Sponsoren ganz anders wahrgenommen - und gleichzeitig stärkt er seine Position als Nummer-eins-Player in Berlin", sagt Wirtschaftswissenschaftler Henning Zülch im rbb|24-Interview.
 
Doch die Champions League würde für den 1. FC Union nicht nur sprudelnde Einnahmen bedeuten. Das Personal wird bei einem Einzug in die Königsklasse (fast) zwangsläufig teurer werden - ein Posten, der bei den Köpenickern ohnehin schon ungewöhnlich hoch ist. "Die Personalaufwandsquote, also der Anteil der Personalaufwendungen an den Gesamterlösen, ist von 2019 bis 2021 von 42 Prozent auf 58 Prozent angestiegen - Tendenz weiter steigend", sagt Zülch. Der Bundesliga-Durchschnitt liegt bei gut 40 Prozent und damit deutlich niedriger.

Es ist wie bei einem gut laufenden Start-up-Unternehmen. Man kommt von null auf hundert, aber die Organisation und ihre Fähigkeiten sind noch nicht so gewachsen, dass man mit den etablierten Kräften auf Augenhöhe ist.

Für den Wirtschaftswissenschaftler ist das ein Symptom deutlicher (infra-)struktureller Defizite, die er beim 1. FC Union sieht. Es stehe "alles auf tönernen Füßen". Kurz zusammengefasst: Der Weg in die sportliche Spitze sei so schnell verlaufen, dass der Klub als Gesamtes (noch) deutlich hinterherhinke. "Es ist im Grunde wie bei einem gut laufenden Start-up-Unternehmen. Man kommt von null auf hundert, aber die Organisation und ihre Fähigkeiten sind noch nicht so gewachsen, dass man mit den etablierten Kräften auf Augenhöhe ist", sagt Zülch.
 
Es müsse - so wie vom Verein angekündigt - nun an vielen Stellen investiert werden. Das gelte ganz besonders für die Nachwuchs-Infrastruktur: "Im Gegensatz zu Hertha BSC steht man eigentlich noch ganz am Anfang, hat im Grunde kaum Erfolge. Aber nur so kann sich ein Verein unabhängiger vom Transfermarkt machen." Derzeit fehle dem Verein die Substanz, er sei deshalb "nach wie vor mit sehr viel Risiko unterwegs". Risiko, das dann sichtbar werden könnte, wenn der stromlinienförmige Weg nach oben unterbrochen werde. "Dann wird sich zeigen, ob man es geschafft hat, die Substanz aufzubauen, um wettbewerbsfähig zu sein", so Zülch.

Hansa Rostock im Spiel gegen Barcelona und jubelnde Union-Spieler (Quelle: IMAGO / Rainer Schulz, Contrast)
"Ich hoffe sehr, dass es die anderen ostdeutschen Vereine beflügelt"

Der Einzug des 1. FC Union als Ex-DDR-Oberligist in die Champions League wäre ein historisches Novum. Was Zeithistoriker Daniel Küchenmeister an dieser Betrachtung stört - und warum es ausgerechnet der DDR-Fahrstuhlmannschaft gelingen könnte.mehr

Historie

Der Abend des - womöglich bald vorläufigen - Abschieds fiel auf einen Mittwoch. Am 2. Oktober 1991 empfing Hansa Rostock in der Qualifikationsrunde zum Europapokal der Landesmeister den großen FC Barcelona. Deutlich hatte Hansa das Hinspiel im Camp Nou mit 0:3 verloren, nun liefen der junge Pep Guardiola und Co. - dirigiert von Trainer Johan Cruyff - im Ostseestadion auf. 8.500 Zuschauer sahen, wie der fliegende Michael Spies den Ball zum 1:0-Sieg ins Tor köpfte. Was sie wussten: Es war ein großer, wenn auch sportlich bedeutungsloser Sieg in der Klub-Geschichte. Was sie nicht wussten: Es sollte bis heute kein weiteres Spiel eines Ex-DDR-Oberligisten im höchsten europäischen Vereinswettbewerb geben.
 
Rostock hatte sich noch als letzter Meister der DDR für den Vorgänger der Champions League qualifiziert. Als der Klub im Spätherbst 1991 gegen Barcelona triumphierte, war er dann schon Teil der gesamtdeutschen Bundesliga. In der fanden sich die Vereine aus dem Fußball-Oberhaus der DDR nicht mehr in der Spitze wieder. Bis Union sich aufmachte, das zu ändern - und damit ausgerechnet ein Klub, der in der DDR gar nicht zur Spitze zählte. "Der 1. FC Union von damals war eine sogenannte Fahrstuhlmannschaft. Die sportliche Qualität reichte für den Spitzenfußball in der DDR nicht aus", sagt Zeithistoriker Daniel Küchenmeister im rbb|24-Interview.

Ein solches Umfeld - von der Zahl der möglichen Fußballbegeisterten und der Wirtschaftskraft - kann keine andere ostdeutsche Mannschaft aufweisen.

In einem Sportsystem, in dem staatliche Eingriffe Usus waren ("Spielerwechsel wurden von oben dekretiert"), waren den Köpenickern Grenzen gesetzt. Auch einen betrieblichen Rückhalt - wie etwa bei Europapokalgewinner Magdeburg - gab es nicht. Während also in der DDR die Rahmenbedingungen nicht für, ja sogar gegen den 1. FC Union sprachen, änderte sich das im Nachwende-Fußball grundsätzlich. Der Schlüssel zum Erfolg? Für Küchenmeister der Standort. "Ein solches Umfeld - von der Zahl der möglichen Fußballbegeisterten und der Wirtschaftskraft - kann keine andere ostdeutsche Mannschaft aufweisen."
 
Während sich nun also die Bundesliga-Qualifikanten von 1990/91 - neben Hansa Rostock noch Dynamo Dresden - in der zweiten und dritten Liga wiederfinden und die viertklassige Regionalliga Nordost zur unfreiwilligen Heimat vieler Topteams der DDR geworden ist, könnte dem 1. FC Union das historische Novum gelingen. Er könnte der erste Ex-DDR-Oberligist werden, der als gesamtdeutscher Vertreter in die Champions League einzieht. "Ich hoffe sehr, dass es die anderen ostdeutschen Vereine beflügelt", sagt Küchenmeister - auch wenn er weiß, dass die Bedingungen zum Abheben denkbar schlecht sind: "Das Problem ist eben strukturell bedingt und wird sich mittelfristig nicht auflösen lassen. Momentan fehlt mir jegliche Fantasie."

Kader

126,1 Millionen. Auf diese Summe beläuft sich - laut des Portals transfermarkt.de - der aktuelle Kaderwert des 1. FC Union. Auch an ihm lässt sich die Entwicklung des Klubs nachvollziehen. Als die Köpenicker 2019/20 ihre erste Saison im Fußball-Oberhaus spielten, betrug er noch 41,2 Millionen. Es ist also eine satte Verdreifachung in vier Jahren. "Trotzdem sind die 126,1 Millionen im Vergleich noch nicht üppig", sagt Transfermarkt-Experte Philipp Marquardt. Der 1. FC Union - in der entscheidenden sportlichen Tabelle auf Rang vier - liegt beim Kaderwert sechs Plätze weiter hinten und ist damit nur Zehnter. "Sie sind der Überperformer der Liga", so Marquardt.

In der Champions League würden die Köpenicker im Marktwert-Vergleich noch weiter hinten landen. In der laufenden Saison, so Marquardt, hätte sich Union "auf Platz 25 der 32 Teilnehmer [einsortiert], knapp hinter dem FC Brügge und vor den Glasgow Rangers". Die Underdog-Rolle ist allein damit eindrucksvoll beschrieben. Ebenso wie die Aufgabe von Manager Oliver Ruhnert. Er muss - wenn der Champions-League-Einzug Realität wird - mit klugen Entscheidungen finanzielle Diskrepanzen überbrücken. Immerhin mit den Möglichkeiten eines zuletzt Saison für Saison um rund zehn Millionen gestiegenen Lizenzspieleretats (aktuell: 52 Millionen).
 
"Bisher gab es seit dem Aufstieg in die erste Liga nie den ganz großen Stilbruch", sagt Marquardt mit Blick auf die Transferaktivitäten. Die Verpflichtung von Isco wäre vielleicht einer gewesen, platzte aber bekanntlich spektakulär. Und doch hat sich seine Strategie weiterentwickelt. Lotste Ruhnert früher vornehmlich Zweitliga-Schnäppchen zum 1. FC Union, kam im Winter Josip Juranovic von Celtic Glasgow mit sechs Champions-League-Auftritten in der ersten Saisonhälfte. Für Marquardt ein Signal: "Er hat 8,5 Millionen gekostet und ich bin mir sehr sicher, dass wir im Sommer eine ähnliche Ablöse oder aber eine neue Rekordsumme sehen werden."

Unions Geschäftsführer Profifußball Oliver Ruhnert (Quelle: IMAGO/Matthias Koch)
"Seit dem Aufstieg gab es nie den ganz großen Stilbruch"

Schafft es der 1. FC Union in die Champions League, wartet auch auf Manager Oliver Ruhnert eine große Herausforderung. Transfermarkt-Experte Philipp Marquardt über die Kaderentwicklung, die Königsklassen-Konkurrenz - und Lehren aus der Isco-Posse. mehr

Stadion

Es war Anfang August 2022, als ein Bagger-Bild aus dem Stadion An der Alten Försterei in den Medien kursierte. Der 1. FC Union machte seine Heimstätte - konkret: die Aufwärmzonen am Seitenrand - fit für die Europa-League-Saison. Denn die Uefa hatte wenige Tage zuvor überraschend bekanntgegeben, wieder Stehplätze im europäischen Wettbewerb zuzulassen. Zunächst auf Probe und für drei ausgewählte Länder: Deutschland, England und Frankreich. Das Stehplatz-Stadion der Köpenicker (fast 18.500 der 22.012 Plätze) war damit plötzlich mit kleineren baulichen Anpassungen kompatibel für europäischen Spitzenfußball.
 
Würde in der kommenden Saison auch die Champions-League-Hymne im Stadion An der Alten Försterei erklingen? Das hängt nun an zwei Entscheidungen - einer des Vereins und einer der Uefa. Noch hat der europäische Verband nicht verkündet, was für Schlüsse er aus dem Probelauf (im Uefa-Sprech: Beobachtungsprogramm) zieht. Verlängert er die Stehplatz-Erlaubnis - oder weitet sie sogar aus - wäre Champions League im Stadion An der Alten Försterei denkbar. Sonst wäre der Conference-League-erprobte Umzug ins Olympiastadion unausweichlich.
 
Aber auch wenn die Uefa ihr Go gibt, sind Köpenicker Königsklassen-Abende im Berliner Westend durchaus möglich. Denn die Uefa hat in ihrem Stadioninfrastruktur-Reglement genau festgelegt, was für Voraussetzungen Stadien für die verschiedenen Wettbewerbe erfüllen müssen. Sie unterteilt dabei in vier Kategorien - und während für die Europa League nur Kategorie drei erfüllt werden muss, gilt für die Champions League die vierte und somit höchste. Das bedeutet unter anderem ein Mehr an VIP- und Medienplätzen auf den Tribünen, aber auch umfangreichere Infrastruktur im Stadioninneren (Presseraum) und -umfeld (Parkplätze). Noch weniger 'normale' Union-Fans hätten so die Chance, vor Ort dabeizusein. Der Verein könnte deshalb entscheiden, von sich aus in die Heimstätte des Stadtrivalen Hertha BSC auszuweichen.

Die vertiefenden Interviews zu diesem Thema in voller Länge:
 
Wirtschaftswissenschaftler Henning Zülch: "Der Erfolg des 1. FC Union steht auf tönernen Füßen"
 
Zeithistoriker Daniel Küchenmeister: "Ich hoffe sehr, dass es die anderen ostdeutschen Vereine beflügelt"
 
Transfermarkt-Experte Philipp Marquardt: "Seit dem Aufstieg gab es nie den ganz großen Stilbruch"

Sendung: rbb24, 06.05.2023, 18 Uhr