Union Berlin-Trainer Steffen Baumgart schaut während des Bundesliga-Spiels in Leverkusen am 12. April 2025 auf seine Uhr (Bild: Imago Images/Eibner)

Union Berlin ärgert auch Leverkusen Steffen Baumgarts Zeitreise - die Analyse zu Union Berlins Remis in Leverkusen

Stand: 12.04.2025 21:51 Uhr

Mit einem 0:0 in Leverkusen beseitigt Union Berlin in der Fußball-Bundesliga die letzten Abstiegssorgen. Trainer Steffen Baumgart hat eine Mannschaft geformt, in der alle Spieler immer wissen, was sie zu tun haben. Von Till Oppermann

Zehn Sekunden dauerte die Zeitreise, auf die Unions Josip Juranovic seinen Trainer im Spiel gegen Bayer Leverkusen schickte. Direkt nach dem Anpfiff am sonnigen Samstagnachmittag spielte er einen unsauberen Pass in Richtung des eigenen Tores. Jeremy Frimpong nahm den Ball auf und rannte unbedrängt auf Torhüter Frederik Rönnow zu. Frimpongs Schuss streifte das Außennetz, die Unioner waren wieder im Hier und Jetzt.
 
Und die Köpenicker erinnerten sich mit leichter Verspätung daran, dass sie gar nicht mehr die instabile Mannschaft aus den ersten Wochen unter Steffen Baumgart sind. "Wir haben gegen eine der besten Offensivmannschaften sehr, sehr wenig zugelassen", lobte Baumgart. Die ersten zehn Schrecksekunden waren schnell vergessen. Danach verteidigte Union wieder wie immer in diesem Frühling: makellos.

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Baumgart hat recht behalten

Noch Anfang März war Baumgart mit einem Punkteschnitt von 0,78 Punkten pro Spiel der erfolgloseste Union-Trainer seit 2004. Aus den folgenden fünf Spielen holte Union dann elf Punkte. Die Gegner lauteten Frankfurt, Bayern, Freiburg, Wolfsburg und eben Leverkusen. In der deutschen Fußball-Öffentlichkeit hätte den Eisernen das niemand zugetraut.
 
Umso zufriedener war Baumgart nach dem Spiel am Samstag. Schließlich hatte er selbst nach den schlechtesten Leistungen seiner Mannschaft stets nach dem Guten gesucht und lange vor allen anderen eine Entwicklung erkannt. Die Zeit gab ihm recht und eine Begründung hat er auch: "Die Jungs wollen das umsetzen, was wir ihnen mitgeben."
 
Ein berechtigtes Eigenlob, schließlich ist seine Handschrift klar zu erkennen. Laufstark und zweikampffreudig war die Mannschaft schon immer. Unter Baumgart sind aber neue Attribute dazugekommen. Ein Stichwort lautet "Kompaktheit". Bei keiner Mannschaft in der Bundesliga sind die Abstände zwischen den einzelnen Spielern und den verschiedenen Mannschaftsteilen so eng. So ist es Union gegen den Ball möglich, so gut wie jede Gefahr durch die Mitte zu bannen. Im eigenen Ballbesitz führt es dazu, dass nachrückende Spieler immer wieder zweite Bälle gewinnen.

Aktuell sind sie bereit 100 Prozent zu geben und alles auf dem Platz zu lassen.

Ganz offenkundig lautet die Devise, möglichst jeden Pass in die Tiefe zu spielen. Im Zweifel wird die walzenartig nachrückende Mannschaft den Ball schon zurückgewinnen. Bestes Anschauungsmaterial dafür lieferte die 62. Spielminute gegen Leverkusen. Nach einer Ecke klärten die Eisernen lang. Leverkusens Keeper Hradecky konnte danach zwar per Kopf gegen den nachrückenden Lucas Tousart klären, dafür übernahm Benedict Hollerbach. Nachdem der gestoppt worden war, kam der Ball über Umwege schließlich wieder zu Tousart, der am Ende knapp scheiterte. Ein Angriff aus reinem Willen ganz nach Baumgarts Geschmack: "Aktuell sind sie bereit 100 Prozent zu geben und alles auf dem Platz zu lassen."

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Ähnlich und doch anders als in Baumgarts Kölner Zeit

Dass Baumgart nur 100 Prozent kann, weiß Fußball-Deutschland spätestens seit seiner Zeit beim 1. FC Köln, als er den Verein nach Europa führte. Auch dort rannte er während der Spiele laut pfeifend und winkend am Platz entlang. Auch dort spielte seine Mannschaft körperlich durchgehend am Anschlag.
 
Aber einige Dinge waren anders: Die Kölner vermarkteten ihren Trainer als Kultfigur, verkauften Schiebermützen mit Baumgarts Geburtsjahr im Fanshop, und ermutigten ihn dazu, regelmäßig in Interviews und auf Pressekonferenzen seine Weltsicht darzulegen. Darauf verzichten er und Union nun bewusst. "Wir haben kein Maskottchen verpflichtet", sagte Kommunikations-Geschäftsführer Christian Arbeit schon nach Baumgarts Ankunft. Bei Union soll es nur um Fußball gehen.

Umso passender ist es, dass das größte Diskussionsthema seit Baumgarts Ankunft rein sportlich ist. Weil der Trainer in seiner Anfangszeit erfolglos versuchte, eine Viererkette zu etablieren, forderten viele eine Rückkehr zum gewohnten System mit drei Innenverteidigern. Baumgart gab nach und erfreute damit ganz besonders die Mannschaft. "Wir haben defensiv Stabilität in die Mannschaft gebracht. Das war wichtig in der Phase", sagte Christopher Trimmel auch in Leverkusen. Ohne die Umstellung wäre der aktuelle Lauf schwer vorstellbar.

Spieler haben klare Aufgaben

Auch weil die individuelle Qualität der Defensivspieler deutlich größer ist als in der restlichen Mannschaft. Neben Danilho Doekhi und Diogo Leite beweist das Leo Querfeld. Der junge Innenverteidiger läutete mit seinem Kopfballtor gegen Eintracht Frankfurt die Wende ein. In Leverkusen zeigte er erneut, dass er auf höchstem Niveau mithalten kann. Mit knapp 65 Prozent gewonnenen Zweikämpfen hatte er eine der besten Quoten auf dem Platz.

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Zumindest Leverkusens Torjäger Patrick Schick weiß jetzt, wie Querfeld es schaffen konnte, in den vergangenen acht Jahre absolut keinen Zucker zu essen, obwohl seine Eltern mehrere Kaffeehäuser in Wien führen.
 
Aber nicht nur Querfelds Leistungen sind unter Baumgart besser geworden. Auch Spieler wie Lucas Tousart oder Janik Haberer machen einen deutlich gefestigteren Eindruck. Trimmel und Rani Khedira haben ihren zweiten Frühling. Bei Union weiß mittlerweile jeder zu jedem Zeitpunkt, was seine Aufgabe ist. So genau, dass der Trainer keine Bauchschmerzen hatte, Eigengewächs David Preu zu seinem Bundesligadebüt zu verhelfen. "Gegen solche Spieler von Leverkusen zu spielen, ist schon was sehr Besonderes", sagte der nach dem Spiel. Auf dem Platz fügte er sich nahtlos ein: Seine erste Aktion in der Bundesliga war ein harter Zweikampf gegen Florian Wirtz.

Hoffnung auf das Ende der turbulenten Zeiten

Nach dem 0:0 gegen Leverkusen kann die sportliche Führung endgültig eingleisig planen. Steffen Baumgart bekommt dann die Chance, Union nach einer ganzen Saisonvorbereitung in die Bundesliga zu führen. Die Hoffnung ist groß, dass die turbulenten Zeiten der letzten anderthalb Jahre jetzt vorbei sind. Der Bundesliga droht dann eine andere Zeitreise.

Sendung: rbb24 Inforadio, 12.04.2025, 22 Uhr