
1:1-Unentschieden gegen Darmstadt Hertha findet zu neuer Stabilität
Obwohl Hertha BSC keinen sonderlich guten Tag erwischte, reichte es zu einem Punkt gegen den SV Darmstadt 98. Ein Zeichen dafür, dass Trainer Stefan Leitl auch ohne das verrückte Momentum der letzten Wochen wirkt. Von Marc Schwitzky
Spätestens nach dem aberwitzigen Traumtor von Fabian Reese zum 1:0-Auswärtserfolg bei Spitzenreiter Köln schien es so zu sein, dass Hertha BSC nun wirklich alles gelingen würde. Egal, was Trainer Stefan Leitl anfasste – es wurde zu Gold. Und so rauschte der Hauptstadtverein nach Monaten der Tristesse und Abstiegsangst urplötzlich durch die Liga – drei Siege in Folge gelangen den Berlin zuletzt 2019. Es war, als habe Hertha durch sehr viele unglückliche Spielverläufe unter Ex-Coach Cristian Fiél nur lange genug aufs Karma-Konto eingezahlt, um unter Nachfolger Leitl alles auf einmal einzulösen.
Doch was passiert, wenn nicht mehr alles gelingt? Wenn die Tagesform nicht bei allen Spielern stimmt? Wenn Sperren die Startaufstellung und damit den Rhythmus verändern? Wenn der Gegner allmählich die erste Idee Leitls für den Aufschwung entschlüsselt und Gegenmaßnahmen trifft? Erst dann kann die Mannschaft den Beweis ablegen, wie weit sie unter dem noch neuen Trainergespann ist.
So wurde das 1:1-Unentschieden gegen den SV Darmstadt 98 am Samstagnachmittag zum Realitätscheck für die "alte Dame", wie groß die Fortschritt in den letzten Wochen wirklich war.

Empfindliche Startelfveränderungen
Es war vorauszusehen, dass Hertha irgendwann an Momentum einbüßen und wieder im Alltag ankommen muss. Und Liga-Alltag bedeutet auch: Spieler fallen aus, eine Mannschaft wird nicht ohne Veränderungen auskommen. Trainer Leitl musste für das Heimspiel gegen Darmstadt auf zwei wichtige Säulen der Vorwochen verzichten: Mittelfeldmotor Michael Cuisance und Rechtsverteidiger Jonjoe Kenny fehlten beide gelbgesperrt. Zwei empfindliche Verluste für die zuvor so gut geölte Startelf, in der alles ineinander zu greifen schien.
Deyovaisio Zeefuik ersetzte Kenny auf der rechten Abwehrseite, machte seine Sache auch ordentlich, aber eben nicht so herausragend gut wie der Engländer in den Vorwochen. Kenny hatte mit Reese ein exzellentes Duo gebildet, dieses teilweise blinde Verständnis wollte zwischen Zeefuik und Herthas Starspieler nicht entstehen.
Cuisance wurde von Kevin Sessa ersetzt, dem jedoch der fehlende Rhythmus durch zahlreiche Verletzungspausen in der Saison weiterhin anzumerken ist. Ihm sollte deutlich weniger gelingen. Und so fehlten Hertha auch im zentralen Mittelfeld ein paar Prozentpunkte der Vorwochen, in denen die Blau-Weißen konstant an der 100 gekratzt hatten und so Sieg nach Sieg einfuhren.
Ein guter Gegner
Liga-Alltag bedeutet auch, dass gegnerische Mannschaften nach einem Trainerwechsel irgendwann verstehen, wie sie sich einzustellen haben. Herthas Fußball unter Leitl ist sicherlich noch nicht entschlüsselt, allein schon deshalb, weil er mitten im Ligabetrieb übernahm, keine Vorbereitung leiten und so viele seiner Inhalte noch gar nicht vermitteln konnte. Doch was Leitl aktuell von seinem Team verlangt, ist laut eigener Aussage, bewusst einfach gehalten, um die zuvor verunsicherten Spieler noch nicht zu überfordern. Das ist der Schlüssel des jüngsten Erfolgs und gleichzeitig ein natürliches Einfallstor für taktisch kluge Gegner.
Darmstadts Trainer Florian Kohfeldt hatte erkannt, was Herthas 3-4-1-2-System derzeit stark macht: ein tieferer Defensivlock, viele Umschaltaktionen und vertikales Spiel, das möglichst bei Fabian Reese sein Ende findet. Die "Lilien" schenkten Hertha vor allem in der ersten Halbzeit keinerlei Tiefe, hatten Reese und Sturmpartner Derry Scherhant voll im Griff. Zudem verschoben sie gut, wenn Hertha vertikale Seitenwechsel vornahm, um Marten Winkler oder Zeefuik ins Spiel zu bringen. Darmstadt war sehr gut auf Herthas Stärken abgestimmt – so ergab sich kaum Durchschlagskraft.
Da aber auch die Hausherren gegen den Ball clever wie diszipliniert agierten, ergab sich ein mehrheitlich zähes Spiel, in dem keiner der beiden Mannschaften allzu viel herschenkte. Wenn im Fehlersport Fußball wenige Fehler produziert werden, passiert eben oftmals sehr wenig.

Keine gute Tagesform
Doch in der 48. Minute sollte es zu einem kapitalen Fehler kommen. Herthas Torhüter Tjark Ernst, der ansonsten gut aufgelegt war, wehrte einen Distanzschuss unglücklich nach vorne ab, sodass Darmstadts Isac Lidberg den Ball nur noch ins leere Tor schieben musste. Ein Gegentreffer, an dem Hertha länger zu knabbern hatte. Das lag an der allgemeinen Tagesform der Mannschaft, die nicht auf der Höhe der Vorwochen war. Unterschiedsspieler wie Ibrahim Maza, Scherhant oder Reese wollte kaum etwas gelingen – es fehlte an herausragenden individuellen Momenten wie zuletzt noch gegen Köln.
Dazu kam eine allgemeine Schwerfälligkeit. Hertha konnte im Ballbesitz kaum Tempo entwickeln, auch durch das Fehlen von Cuisance und Kenny griffen die Abläufe nicht wie zuletzt perfekt ineinander, alles dauerte einen Moment zu lange und gab Darmstadt stets die Chance, sich rechtzeitig zu sortieren. Den Berlinern fehlte es am Samstag lange Zeit an Mut und Genauigkeit. Nach 55 Minuten verzeichneten sie Expected-Goals-Wert von 0,08.
Hertha arbeitet sich in die Partie
Sie sollten dennoch zum Ausgleich kommen. In der 62. Minute fiel der Ausgleich durch ein Eigentor von Darmstadt-Verteidiger Aleksandar Vukotic. Sicherlich ein glückliches 1:1, vorausgegangen war allerdings der bis dahin beste Berliner Angriff. Endlich hatte sich das Team schnell und schnörkellos bis in den gegnerischen Strafraum kombiniert. Der Rest war das besagte Karma-Konto.
Die viel größere Leistung war es aber, nach dem 0:1-Rückstand die richtige Reaktion gezeigt zu haben. Hertha wirkte nicht nervös, sondern blieb bei sich. "Wie wir zurückgekommen sind und uns den Punkt erarbeitet haben – da machen wir Entwicklungsschritte", lobte Trainer Leitl nach der Partie.
Nach dem Ausgleichstreffer wurde Hertha immer besser, fand seinen Mut wieder und drückte die Hessen immer weiter in deren Spielhälfte. Weiterhin war zu erkennen, dass es bei Hertha an diesem Tag einfach nicht flutschen wollte. Wieder und wieder wollten Pässe, Dribblings und Abschlüsse nicht wie die Spieler in blau-weiß wollten, doch wieder und wieder versuchten sie es weiter. Sie spielten schneller nach vorne, bewegten sich mehr und gewannen mehr zweite Bälle, um länger anhaltenden Druck zu entwickeln. Florian Niederlechner (87.) und ein auf einmal zum Ballkünstler mutierter Toni Leistner (92.) hatten sogar das 2:1 auf dem Fuß.
Eine neue Stabilität
Hertha verdiente sich den Punkt in den letzten 25 Minuten der Begegnung. Weil die Mannschaft eine neue Stabilität und die Fähigkeit, zur Not auch Fußball zu arbeiten, an den Tag legte. Es sind Attribute, die dem fußballerisch so talentierten, aber oftmals wankelmütigen und wenig resilienten Berliner Aufgebot lange nicht zugetraut wurden.
So riss mit dem 1:1-Unentschieden gegen die Lilien zwar die Siegesserie der Hauptstädter, die damit aber immerhin seit vier Partien ungeschlagen sind und den beruhigenden Abstand auf die Aufstiegsplätze aufrecht erhalten können. Es bleibt dabei, dass Hertha unter Leitl erst ein durchweg schwaches Spiel (gegen Elversberg) zeigte – eine sehr gute Bilanz bei nun immerhin sieben Partien unter dem neuen Trainer.
Dem 47-Jährigen ist es gelungen, eine neue Stabilität in die Mannschaft zu bringen. Eine Stabilität, die auch eine schwache Tagesform, einen gut eingestellten Gegner und einen Rückstand aushält; und die nicht nur von einem Momentum und genialen individuellen Momenten lebt, das irgendwann vergehen musste. Auch an schlechten Tagen etwas mitzunehmen, ist eine elementare Qualität – es scheint, als würde Hertha das allmählich verstehen.
Sendung: rbb UM6, 12.04.2025, 18 Uhr