Hertha-Fans zünden Pyrotechnik auf Schalke (Quelle: IMAGO / Revierfoto)

Fußball, Fans, Feuerwerk Feuerwerk im Fußballstadion: No Pyro, no Party?

Stand: 23.03.2025 08:02 Uhr

Ein Konflikt als Dauerbrenner des deutschen Fußballs: Sollte Pyrotechnik ein Teil des Stadionerlebnisses sein oder nicht? Das Feuer der Fans hat symbolische Bedeutung – und wird so schnell nicht aus den Arenen verschwinden. Von Anton Fahl

In Westend brennt eine Fackel. Es ist der 21. Januar 2024 und Hertha BSC trifft in der 2. Fußball-Bundesliga auf Fortuna Düsseldorf - fünf Tage nach dem Tod des Vereinspräsidenten Kay Bernstein. Während der Schweigeminute zündet "Kreisel", Vorsänger der Ostkurve, ein Bengalo.
 
Eine Fackel mit Symbolcharakter. Zum einen steht sie sinnbildlich für Bernsteins Lebenslicht, das erloschen ist. Zum anderen repräsentiert sie, wofür der Hertha-Präsident zu Lebzeiten einstand. Sein Credo – auch im chronischen Konflikt um Pyrotechnik: Ein anderer Fußball ist möglich.

Ein Zuschauer hält einen "Pyro" in die Höhe beim Spiel Erzgebirge Aue gegen Energie Cottbus. (Bild: imago/Fotostand)
Wie der Pyro-Streit den Nordost-Fußball aufwühlt
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Geldstrafen in Höhe von mehr als 11 Millionen Euro - in einer Saison

Im Oktober 2022, wenige Monate nach seinem Amtsantritt, machte sich Kay Bernstein in der "Zeit" für eine Teillegalisierung von Pyrotechnik in deutschen Fußballstadien stark. Etwas konkreter: für reguliertes und sicheres Abbrennen. "Alles, was andere Menschen gefährden könnte, jegliche Form der Gewalt, kann ich nicht akzeptieren", sagte Bernstein damals. "Aber so, wie es jetzt geregelt ist, führt es doch zu nichts. Ich bin dafür, einen Teil der Kurve zum Pyro-Bereich zu machen, in dem Bengalos geregelt abgebrannt und direkt gelöscht werden können."
 
Ein konstruktiver und schon seinerzeit überfälliger Ansatz. Denn trotz Null-Toleranz-Politik des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und immer drastischerer Geldstrafen, die der Einsatz von Pyrotechnik auf den Tribünen nach sich zieht, ist eine klare Tendenz zu beobachten. Zuletzt hätten "pyrotechnische Vorfälle und Gewaltvorfälle in den Stadien der ersten drei Spielklassen der Herren in Deutschland signifikant zugenommen", teilt der DFB auf Anfrage von rbb|24 mit.
 
Die von den Rechtsinstanzen des DFB ausgesprochenen Geldstrafen in Folge der zunehmenden Verwendung von Pyrotechnik seien ebenfalls angestiegen. "So wurden in der Spielzeit 2018/2019 – der letzten vollständigen Spielzeit vor der Corona-Pandemie – in 193 Verfahren in den Lizenzligen wegen Vorfällen im Zuschauerbereich Geldstrafen in Höhe von 3.241.775 Euro verhängt. [...] In der Spielzeit 2023/2024 wurden von der DFB-Sportgerichtsbarkeit dagegen in 427 Verfahren Geldstrafen in Höhe von 11.248.600 Euro ausgesprochen, wobei Vereinen von diesem Betrag 3.655.000 Euro für eine Verwendung in eigene sicherheitsfördernde oder gewaltpräventive Maßnahmen nachgelassen wurden."

Pyroshow der Ostkurve Hertha BSC beim Zweitliga-Heimspiel gegen den 1. FC Magdeburg im Februar 2024 (Quelle: IMAGO / Eibner)

Pyroshow der Ostkurve Hertha BSC beim Zweitliga-Heimspiel gegen den 1. FC Magdeburg am 16. Februar 2024.

Kontrollen werden ad absurdum geführt

Eine Idee davon, was genau unter "sicherheitsfördernden oder gewaltpräventiven Maßnahmen" zu verstehen ist, verschafft Hertha BSC: "In der jüngeren Vergangenheit" seien Teile der Strafsummen "für Sicherheitsinfrastruktur wie Kamera-, Überwachungs- und Kommunikationstechnik, Ausstattung des Sicherheits- und Ordnungspersonals, Wegeleitung im Stadion, Sicherheitsmaterial wie Zäune, Gitter u. Ä." eingesetzt worden, antwortet der Verein auf Anfrage von rbb|24. "Daneben fördern wir in Abstimmung mit dem DFB-Kontrollausschuss Einrichtungen der Fanarbeit, soziale Projekte und Einrichtungen, die bei der sicherheitspräventiven Arbeit einen entsprechenden Beitrag leisten."
 
Der DFB betont – anders als es ein einschlägiger Fangesang nahelegt –, dass die Verwendung von Pyrotechnik "immer eine Ordnungswidrigkeit" darstelle "und darüber hinaus in vielen Fällen auch eine Straftat. Die Verwendung in einem Fußballstadion ist daher aus guten Gründen verboten - und zwar nach staatlichem Recht und nach Verbandsrecht - und Verstöße sind folglich auch zu sanktionieren."
 
Nun kann man entweder die Augen vor der Realität verschließen oder sich dem Abgleich von Wunschvorstellung und Wirklichkeit stellen. Überraschung: keine Kongruenz. Denn: Es brennt in den Stadien dieser Republik. In der 1. Bundesliga genauso wie in der Regionalliga. Flächendeckend werden sowohl Einlasskontrollen als auch "sicherheitsfördernde oder gewaltpräventive Maßnahmen" offensichtlich mit bemerkenswerter Beständigkeit ad absurdum geführt.

"Pyrotechnik wird quasi in jedem Stadion als besonderes Stimmungsmoment eingesetzt, mit dem die Fans ihren Support ausdrücken und eine Visitenkarte abgeben: Wir sind hier, das ist unser Stadion, das ist unsere Choreographie und unsere Pyro-Wand", sagt Harald Lange, Sportwissenschaftler und Professor für Fan- und Fußballforschung an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, im Gespräch mit rbb|24. Inzwischen seien die Fronten "zwischen dem Fußball-Establishment auf der einen und den Fans auf der anderen Seite" immer verhärteter.
 
"Die unterschiedlichen Positionierungen laufen auf die Frage hinaus: Wem gehört der Fußball? An der Kommerzschraube wird seit der Pandemie drastisch gedreht – im internationalen wie im nationalen Fußball. Und zugleich kommt mehr Emotionalität und Leidenschaft seitens der Fans ins Spiel", so der Fanforscher weiter. "Die Strafen haben im letzten Jahr Rekordhöhen erreicht. Wir erleben, dass sich der Pyro-Einsatz durch die Basta-Politik des DFB verselbstständigt hat und zu einem Symbol geworden ist, das von den Fans eingesetzt wird, um zu zeigen: Ihr könnt uns nicht gängeln. Wir machen, was wir wollen. Und weil das jetzt auf dieser symbolischen Ebene angesiedelt ist, sehe ich keine Chance, Pyrotechnik mit Hilfe von Strafen je aus den Stadien zu verbannen."
 
Zwar verweist Hertha BSC auf die Umsetzung seines "von der DEKRA zertifizierten Sicherheitskonzeptes" und die "rund 1.000 Sicherheits- und Ordnungspersonalkräfte", die an Heimspieltagen wie zuletzt gegen Schalke 04 oder den Hamburger SV eingesetzt und "allesamt auf ihre Zuverlässigkeit und Geeignetheit überprüft werden." Es bleibt aber die Erkenntnis, dass sämtliche Personen-, Block- und Bereichskontrollen die Fans nicht davon abhalten, regelmäßig auf den Rängen ihre Pyroshows zu realisieren.

Pyro auf der Dortmunder Südtribüne (Quelle: IMAGO / osnapix)

Alle Lampen an: die "Gelbe Wand" in Dortmund.

Auf die Frage, wie es zu erklären ist, dass immer wieder pyrotechnische Gegenstände ins Stadion gelangen, nennt die B.E.S.T. Veranstaltungsdienste GmbH Berlin, die im Olympiastadion für Sicherheit sorgen soll, gleich mehrere Gründe:
 

  • "Bei der Personennachschau sind aufgrund der Persönlichkeitsrechte der zu kontrollierenden Personen einige Bereiche des Körpers ausgenommen bzw. können diese nicht gründlich kontrolliert werden.
  • Das Stadion ist an allen Tagen außerhalb der Spieltage für Besucher frei zugänglich. Diese Besucher unterliegen verständlicherweise keinerlei Personenkontrollen. Hier ist aufgrund der Geländegröße am Spieltag eine Kontrolle aller Bereiche auf eventuell vorab eingebrachte Pyrotechnik nicht möglich.
  • Inwiefern andere am Spieltag beteiligte Personengruppen aufgrund ihrer Affinität zu Fangruppen und Pyrotechnik unterstützend eingreifen, kann nur vermutet werden."

Von offizieller Seite wird also bestätigt, was jeder fankulturaffine Stadiongänger wahlweise schon geahnt, gehört oder gesehen hat. Mit anderen Worten: Alle, die es wissen wollen, haben eine klare Vorstellung davon, wie Pyrotechnik in die Stadien kommt. Nicht alle können – oder wollen – es verhindern. Was jetzt?

Die Fans des FC Bayern München halten ein Handyverbots-Plakat hoch (imago images/ActionPictures)
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Vorstoß der NOFV-Mitglieder setzt den DFB unter Druck

Ende Januar veröffentlichten mehrere Fanszenen und Vereine des Nordostdeutschen Fußballverbandes (NOFV) ein Positionspapier, in dem eine Abschaffung von Verbandsstrafen für den "nicht missbräuchlichen Einsatz" von Pyrotechnik gefordert wird. Zu den Unterzeichnern zählen unter anderem der Hertha BSC e.V. mit der Ostkurve Hertha BSC und der SV Babelsberg mit der Nordkurve Babelsberg [hb98.de].
 
"Das deutet in eine Richtung, die ich als erfolgsversprechend erachte: Dass sich Vereinsführungen mit den Fans an einen Tisch setzen, um gemeinsam Verantwortung für die Sicherheit und das Herstellen von Atmosphäre im Stadion zu übernehmen", sagt Fanforscher Lange. "Dadurch entsteht ein Wir-Gefühl: Das ist unser Stadion, unser Support und wir treten gemeinsam dafür ein, dass alles sicher und stimmungsvoll abläuft."
 
Aus Sicht der DFB-Spitze sei dieser Vorgang, Lange zufolge, allerdings denkbar schlecht. "Da man selbst nicht dazu in der Lage war, eine Strategie der gemeinsamen Verantwortlichkeit auf den Weg zu bringen, haben das jetzt Teile des Systems gemacht. Die Mitglieder eines Regionalverbandes haben sich aufgemacht, an dieser Lösung, die schon seit vielen Jahren auf dem Tisch lag, zu arbeiten und das regional als Forderung einzubringen", erklärt der Sportwissenschaftler. Der DFB könne folglich nicht mehr mit einer Stimme sprechen, sondern werde von einem seiner Regionalverbände getrieben.

Zumal die ewige Pyro-Debatte nicht ohne Scheinheiligkeit auskommt. Was schon bei den Konfliktparteien anfängt: Hier die Chaoten und sogenannten Fußballfans, dort die lupenreinen Funktionäre. Zur Erinnerung: Nach der Weltmeisterschaft in Katar ist vor den Festspielen in Saudi-Arabien.
 
Es ist auch keine allzu steile These, dass die Deutsche Fußball Liga (DFL) und der DFB in der Vermarktung ihrer Premiumprodukte Bundesliga und DFB-Pokal nicht nur von spielerischer Klasse auf dem Rasen, sondern auch von laut- und leuchtstarker Unterstützung der Fans auf den Rängen profitieren. Denn während Vereine für Vergehen ihrer Anhänger zahlen müssen, kassiert der DFB gleich doppelt ab. Nämlich auch in Form einer mindestens indirekten Zweitverwertung der beeindruckenden Kulissen. Brennt es auf den Rängen, bringen die übertragenden Fernsehsender und Streaminganbieter ihre Spidercams in Stellung. Das sprichwörtliche Popcorn wird herausgeholt. Spieler, Zuschauer und Rundfunkanstalten teilen die Bilder in den sozialen Medien.

Ausschreitungen beim Drittliga-Duell zwischen Rostock und Dresden im Februar 2025 (Quelle: IMAGO / Fotostand)

Paradebeispiel für missbräuchliche Verwendung von Pyrotechnik im Stadion: Ausschreitungen beim Drittliga-Duell zwischen dem FC Hansa Rostock und der SG Dynamo Dresden am 22. Februar 2025.

Besonders problematisch wird es jedoch, wenn Feuerwerkskörper missbräuchlich eingesetzt werden, wenn Böller und Leuchtspuren in benachbarte Blöcke fliegen – wie zuletzt etwa beim Drittliga-Duell zwischen Hansa Rostock und Dynamo Dresden. Ausschreitungen wie diese torpedieren das Anliegen aller Fanszenen und sind Wasser auf die Mühlen der Ultra-Kritiker.

Eine Hundertschaft der Polizei rückt in den Fanblock von Hertha BSC ein. (Foto: IMAGO / Fotostand)
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"Es geht um Machtverhältnisse im Fußball"

Zusammenfassend sagt Harald Lange: "Je tiefer man das durchdenkt, desto klarer lässt sich herausarbeiten, dass es nicht nur um Pyrotechnik geht. Es geht um Macht- und Besitzverhältnisse im Fußball", bilanziert der Fanforscher. "Kann man aus Fußball ein Produkt machen, das man als Management eines Klubs nach seinen wirtschaftlichen Kriterien genauso vermarktet wie eine neue Brause oder ein neues Auto? Das kann man eben nicht."
 
Fußball sei vielmehr "eine kulturelle Errungenschaft und hat einen kulturellen Wert. Die Einzigen, die spürbar und nachhaltig auf diese Werthaltung achten, sind Fangruppierungen. Auch wenn man in der Form, wie sie das machen, nicht immer einer Meinung mit ihnen sein muss", so Lange. "Und auch wenn man nicht damit einverstanden ist – mit Pyrotechnik zum Beispiel -, liegt dem Ganzen dieses Problem zugrunde. Wenn der DFB nicht gewillt ist, das in seine Überlegungen mit einzubeziehen, können wir tausend weitere künstliche runde Tische und Konzepte auf den Weg bringen: Sie werden immer ins Leere laufen." Fortsetzung folgt.