Unions Trainer Nenad Bjelica (imago images/O.Behrendt)

Heimniederlage gegen Bochum Unkonzentrierte Unioner am Abgrund

Stand: 05.05.2024 23:44 Uhr

Union Berlin rutscht immer tiefer in den Abstiegsstrudel der Fußball-Bundesliga. Auch gegen den VfL Bochum scheitert die Mannschaft an ihrer Konzentration.

Rani Khedira brachte es nach Union Berlins 0:3-Niederlage gegen den VfL Bochum auf den Punkt: "Die erste Halbzeit war so schlecht, dass Du es nicht mehr drehen konntest."

Im Abstiegsduell gegen den direkten Konkurrenten aus Bochum wirkten die Köpenicker in den ersten 45 Minuten maßlos überfordert. In den Zweikämpfen prallten sie an ihren Gegenspielern ab, als wären sie Flummis.

Und der Bochumer Doppeltorschütze Maxi Wittek sah gegen seine Gegenspieler aus wie Lionel Messi. In seinen 155 Zweitligaspielen traf Wittek sechsmal. Gegen Union zweimal innerhalb von 15 Minuten. Eine wirkliche Erklärung dafür hatte Kapitän Khedira nicht. Nur so viel: Durch die Atmosphäre im Stadion an der Alten Försterei vor dem Spiel habe die Mannschaft "etwas überdreht".

Mental nicht bundesligareif

Was das genau heißen soll, ließ er offen. Allerdings: Es gehört für Fußballprofis zur Berufsbeschreibung, vor Publikum zu spielen. Wirklich überraschen sollte es da also nicht, dass besagtes Publikum vor einem möglicherweise vorentschiedenen Spiel im Abstiegskampf besonders laut ist. So oder so deutet Khediras Antwort auf ein Problem, das Union durch die Saison begleitet. Die Mannschaft ist mental zu oft nicht auf der Höhe. Wohin das führen kann, zeigte sich beim 0:1. Nach einem eigenen Abstoß verloren die schlecht gestaffelten Unioner zuerst den ersten und dann den zweiten Ball. Sekunden später jubelten die Gäste.

"Das ist genau Bochums Spiel, sie sind bei zweiten Bällen brutal und spielen es dann One-Touch durch", erklärte Benedict Hollerbach nach dem Spiel im TV-Interview mit DAZN. Das belegt: Die Unioner waren auf Bochums mannorientierten Fußball mit vielen Zweikämpfen und direkten Pässen eingestellt.

Trotzdem schafften sie es nicht, so hart wie nötig dagegenzuhalten. Das lässt sich nur mit mangelnder Konzentration und Einstellung erklären. Auch beim zweiten und beim dritten Gegentor ließen die verunsicherten Gastgeber zu großen Abständen. "So wie wir es in der ersten Halbzeit gemacht haben, war es einfach dumm", kritisierte Hollerbach.

Bjelica stellt erfolgreich um

Wie es anders geht, zeigten Hollerbach und seine Mitspieler nach dem Seitenwechsel. Trainer Nenad Bjelica hatte auf Viererkette umgestellt und mit Yorbe Vertessen, Brenden Aaronson und Chris Bedia gleich drei Offensivspieler neu in die Partie gebracht. Sofort schaffte es Union, tief in der gegnerischen Hälfte Druck zu erzeugen. Im 4-2-3-1 war die Mannschaft durch den zusätzlichen Spieler im offensiven Mittelfeld deutlich besser gestaffelt und kam endlich in die Zweikämpfe. Plötzlich waren die Bochumer überfordert und Union war da.

Das lag aber nicht nur an einer besseren Staffelung gegen den Ball, wie Hollerbach erklärte: "In so einem Spiel musst du den Ball beruhigen", so der Flügelstürmer. Durch längere Ballbesitzphasen und mit Hilfe der guten Techniker Aaronson und Vertessen liefen die Gäste immer häufiger ins Leere. Union übernahm die Spielkontrolle. "Für die zweite Halbzeit hätten wir einen Punkt verdient", sagte Bjelica angesichts der drei Tore von Vertessen, Bedia und Hollerbach. Es ist nicht auszuschließen, dass ihm seine Umstellung zur Pause den Job vorerst gerettet hat. Der Trainer hat am Sonntag angedeutet, dass er die Spieler erreicht und passende Maßnahmen treffen kann.

Sportschau, 05.05.2024 18:02 Uhr

Bjelica kritisiert Transferpolitik

Aber auch die Kritiker Bjelicas werden die zweite Hälfte zum Anlass nehmen, um dem Kroaten unangenehme Fragen zu stellen. Warum musste er Bedia, Vertessen und Aaronson erst einwechseln? Und warum spielt er nicht immer nur mit vier Verteidigern, wenn es Unions großes Problem ist, zu wenige Tore zu schießen? Im TV-Interview versuchte der Trainer eine Erklärung, die man auch als Kritik an der Kaderplanung verstehen kann. Die Dreierkette sei logisch gewesen. Denn wichtige Spieler wie Robin Gosens und Kevin Vogt hätten ihre Stärken in erster Linie im 3-5-2-System.

Zumal die Mannschaft im gesamten Frühjahr im Sturm keinen Zielspieler gehabt habe. "Wenn man Bedia in den ersten Monaten im Training gesehen hat, konnte man ihn nicht aufstellen", erklärte Bjelica. Liegt er richtig, war der Verkauf von Kevin Behrens im Winter eine folgenschwere Fehleinschätzung. Ohne ihn spielten mit der hängenden Spitze Kevin Volland und dem Flügelspieler Benedict Hollerbach zwei Spieler im Angriff, die in einem 4-2-3-1-System als einzelne Spitze nicht funktionieren. "Wir improvisieren die ganze Zeit", rechtfertigt Bjelica sich und sein Trainerteam.

Phlipp Höppner, Sportschau, 05.05.2024 17:26 Uhr

Abwehr muss konzentriert bleiben

Tatsächlich fehlten Union durch Verletzungen und Sperren zeitweise derart viele Spieler, dass sich die Mannschaft quasi von allein aufstellte. Und abgesehen von Benedict Hollerbach erfüllte bisher keiner der Sommer- und Wintertransfers Unions Erwartungen. Bjelicas Kritik wird also wohl auch in der Chefetage Gehör finden. Allerdings frühestens nach der Saison. Denn am nächsten Samstag steht gegen den 1. FC Köln das nächste Duell gegen einen direkten Konkurrenten an.
 
Wenn er dann noch Trainer ist, muss es Bjelica vor allem die Konzentration seiner Mannschaft schärfen. Denn auch in der verbesserten zweiten Halbzeit gegen Bochum gelang es den Spielern nicht durchgehend, im Spiel zu bleiben. Philipp Hofmann ist jedem in der Liga als Bochums kopfballstärkster Stürmer bekannt. Sein vorentscheidendes 4:2 erzielte er trotzdem vollkommen unbedrängt mit dem Schädel. Verteidigt Union an den letzten beiden Spielen weiter so nachlässig, droht mindestens die Relegation.