
NDR-Sport Muhammed Cham: Beim VfL Wolfsburg aussortiert, nun Nationalspieler
Muhammed Cham spielte in seiner Jugend für Hannover 96 und den VfL Wolfsburg. Danach begann für den gebürtigen Wiener eine Tingeltour durch Europa, bevor er im Profibereich Fuß fasste. Nun feierte der einst bei den "Wölfen" aussortierte Mittelfeldmann vom türkischen Club Trabzonspor sogar sein Startelf-Debüt in der österreichischen Nationalmannschaft.
Vielleicht wäre am Sonntagabend im Stadion Rajko Mitic in Belgrad ja vieles anders, besser für die Auswahl des Österreichischen Fußball-Bundes (ÖFB) gelaufen, wenn Konrad Laimer in der sechsten Minute des Play-off-Rückspiels gegen Gastgeber Serbien eine Sekunde später losgesprintet wäre. Dann hätte der Allrounder vom FC Bayern München nach dem tollen Pass von Muhammed Cham nicht im Abseits gestanden und sein Tor die 1:0-Führung für die Alpenrepublik bedeutet. Ein früher Treffer wäre für die Elf des deutschen Trainers Ralf Rangnick in der hitzigen Atmosphäre wahrscheinlich von großer Bedeutung gewesen.
"Bei ihm geht es darum, dass er seine Waffen gezielter einsetzt, sich seiner Stärken auch bewusst ist."
— Österreichs Nationalcoach Ralf Rangnick über Cham
So aber rannten die Österreicher nach dem 1:1 im Hinspiel in Wien weiter an, waren zwar dominant, im Abschluss aber zu hektisch und glücklos. Auch Cham, der sein Startelf-Debüt für das ÖFB-Team feierte, hatte nach seinem tollen Zuspiel zu Beginn auf Laimer kaum noch nennenswerte Szenen. Zur Halbzeit wurde der 24-Jährige von Rangnick gegen Marko Arnautovic ausgetaucht. Aber auch der frühere Bundesliga-Star von Werder Bremen konnte das Ruder nicht herumreißen: Österreich verlor mit 0:2 und verpasste den Wiederaufstieg in die Liga A der Nations League.
Rangnick lobt Cham nach Österreich-Comeback
So bitter das zweite Duell mit Serbien auch verlief (Rangnick: "Rein vom Spielverlauf ist dieses Ergebnis absurd, es fühlt sich auch so an") und so groß der Frust anschließend bei den ÖFB-Schützlingen auch war, für Cham hatten die Tage bei der Nationalmannschaft große Bedeutung. Ein Jahr lang war der gebürtige Wiener nicht nominiert worden. Nun feierte der Mittelfeldmann mit dem feinen linken Fuß ein Comeback und darf auf weitere Einsätze hoffen.
"Wir wissen um das Potenzial, das in ihm schlummert. Er ist ein technisch sehr bewanderter Spieler mit einem guten linken Fuß und guten Tempodribblings", sagte Rangnick über den Edeltechniker. Der "Fußball-Professor" fand aber zugleich mahnende Worte für den Mann, der einige Umwege machen musste, um oben anzukommen: "Bei ihm geht es darum, dass er seine Waffen gezielter einsetzt, sich seiner Stärken auch bewusst ist."
Ex-Coach Reis: "Sein Problem war damals die Disziplin"
Dass Muhammed-Cham Saracevic, so sein kompletter Name, nun überhaupt Nationalspieler ist und als Leistungsträger beim türkischen Spitzenclub Trabzonspor die Begehrlichkeiten von anderen Clubs geweckt hat, war vor gar nicht allzu langer Zeit noch nicht abzusehen. Der Offensivspieler, Sohn einer Gambierin und eines Senegalesen, benötigte nach seiner Zeit im Leistungszentrum des VfL Wolfsburg mehrere Anläufe, um im Herrenbereich Fuß zu fassen.

Cham spielte von 2016 bis 2019 für den VfL Wolfsburg.
"Von der Qualität und von den Voraussetzungen her war bei ihm immer was möglich. Sein Problem war damals die Disziplin", erklärte Thomas Reis, früherer Jugendcoach von Cham beim VfL Wolfsburg und nun Trainer bei Tranzonspor-Konkurrent Samsumspor. Eine Profikarriere bis zum Nationalspieler? "War zu dem Zeitpunkt in der U19 nicht vorauszusehen", sagte Reis. Einmal nahm er den Nachwuchsspieler sogar für mehrere Wochen aus dem Trainingsbetrieb.
Leihe in die dänische Provinz als Wendepunkt
Cham beschönigt in der Rückschau nichts. Er nennt Reis sogar "extrem wichtig für meine Entwicklung". In der Regionalliga-Mannschaft des VfL setzte er sich nicht durch, danach beim österreichischen Club Admira Wacker auch nicht.
"Der Wendepunkt", so der 24-Jährige, kam erst, als ihn 2020 der französische Zweitligist Clermont Foot verpflichtete und für eine Saison nach Dänemark an den Provinzclub Vendsyssel FF ganz im Norden des Landes verlieh.

Trabzonspor ist bereits der sechste Club im Herrenbereich für Cham.
"Ich war dort auf mich alleine gestellt, meine Familie war weit weg, ich habe die Sprache und die Kultur nicht gekannt. Irgendwann habe ich aber gemerkt: Ich muss erwachsen werden. Dann habe ich begonnen, härter zu trainieren und mehr zu machen als alle anderen Spieler", sagte er in der aktuellen Ausgabe des österreichischen Fußball-Magazins "Ballesterer".
Braunschweig-Profi Tachie gibt wertvollen Tipp
Zudem begann der Mittelfeldakteur damit, Bücher zu lesen. Dazu hatte ihm Richmond Tachie, aktuell Profi bei Eintracht Braunschweig und früherer Mitspieler bei den "Wölfen", geraten. "Das ist ein sehr, sehr guter Freund von mir, fast schon eine Art großer Bruder. Wenn dir so jemand empfiehlt, ein Buch anzufassen, versucht man es auch einmal. Mein erstes Buch war dann 'Mamba Mentality' von Kobe Bryant. Das hat mir extrem geholfen. Ich war beim Training viel motivierter und habe danach Extraschichten im Gym eingelegt, anstatt direkt nach Hause zu gehen", erklärte Cham.
Cham träumt von Wechsel in die Bundesliga
Nach seinem Intermezzo in Dänemark wechselte Cham nach Österreich, stieg mit Lustenau in die Bundesliga auf, avancierte danach zum Stammspieler bei Clermont Foot und erlag schließlich im vergangenen Sommer dem Lockruf von Trabzonspor. Dort wurde der Mann, der mit acht Jahren mit seinen Eltern aus Wien nach Niedersachsen gezogen war und dort vor seinem Wechsel nach Wolfsburg beim TuS Ricklingen und bei Hannover 96 in der Jugend gekickt hatte, zum Gehaltsmillionär. Cham erhielt einen Vierjahreskontrakt mit der Option auf weitere zwölf Monate. Ob er solange am Schwarzen Meer bleiben wird, ist aber ungewiss.
"Hannover ist natürlich mein Zuhause, da bin ich aufgewachsen, da leben meine Freunde und meine Familie."
— Muhammed Cham im Magazin "Ballesterer
"Ich habe immer gesagt, dass ich einmal in der deutschen Bundesliga spielen möchte. Das ist ein Kindheitstraum. Aber so wie es aktuell läuft, bin ich sehr glücklich", sagte der 24-Jährige "Ballesterer". Möglicherweise geht es für ihn ja irgendwann zurück nach Niedersachsen. Vielleicht ja sogar zurück zu 96. Das wäre jedenfalls für ihn naheliegend. Denn: "Hannover ist natürlich mein Zuhause, da bin ich aufgewachsen, da leben meine Freunde und meine Familie."
Ex-Wolfsburger noch nicht am Leistungslimit
Dafür aber müssten die "Roten" wohl erst einmal in die Bundesliga aufsteigen. Und selbst in diesem Fall dürfte Cham, sollte er weiter hart an sich arbeiten, nur schwer für 96 zu finanzieren sein. Denn durch sein Nationalmannschafts-Comeback hat sich der Mittelfeldakteur noch weiter ins Rampenlicht gespielt. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, dass absolute europäische Topclubs bei ihm anklopfen.
Auch ÖFB-Teamchef Rangnick ist zuversichtlich, dass der 24-Jährige noch längst nicht sein Leistungslimit erreicht hat. "Ich habe bei ihm die Hoffnung, dass da in den nächsten ein, zwei Jahren noch mal der nächste Entwicklungsschritt kommt", sagte der Trainer über den Mann mit dem ungewöhnlichen Karriereweg.