Co-Trainer als Interimslösung HSV trennt sich von Walter - Polzin übernimmt
Der HSV hat sich von Trainer Tim Walter getrennt. Die Führung des Fußball-Zweitligisten traute dem 48-Jährigen nicht mehr zu, das Projekt Aufstieg erfolgreich umzusetzen. Beim Gastspiel in Rostock betreut der bisherige Co-Trainer Merlin Polzin als Chefcoach die Mannschaft.
"Wir haben da ein großes Trainertalent bei uns", erklärte HSV-Sportvorstand Jonas Boldt am Montag und bestätigte, dass Polzin am Sonnabend (13 Uhr, im NDR Livecenter) im Auswärtsspiel beim FC Hansa Rostock "hundertprozentig" der hauptverantwortliche Coach sein werde. "Er bekommt definitiv die Chance, aus voller Überzeugung. Wir wollen Stabilität reinbringen und dann in Ruhe schauen, wie es in der Konstellation oder dann vielleicht anderweitig weitergeht."
Merlin Polzin leitete am Montag das Training.
Der junge Trainer habe die Aufgabe mit "strahlenden Augen und einem völlig klaren 'Ja'" übernommen, berichtete Boldt über sein Gespräch mit Polzin, der direkt eine Idee habe, "'wie wir jetzt hier die Dinge anpacken'". Polzin leitete am Nachmittag bereits das Training.
"Leistungsschwankungen waren zu groß"
Am Montagmorgen hatte der HSV auf den sportlichen Schlingerkurs der vergangenen Wochen reagiert und Walter drei Tage nach der spektakulären 3:4-Niederlage gegen Hannover 96 freigestellt. Nach zuletzt drei Heimniederlagen in Serie liegen die Hamburger momentan auf dem Relegationsrang.
Walter zu entlassen, sei ihm "definitiv nicht leicht gefallen", sagte Boldt. Er habe hier "einiges aufgebaut" und "eine Euphorie in der Stadt entfacht". Das Saisonziel Bundesliga-Rückkehr stehe jedoch über allem: "Wir wollten die Situation nicht einreißen lassen. Unsere Leistungsschwankungen in den zurückliegenden Spielen waren zu groß und uns fehlt die volle Überzeugung, dass wir die nötige Balance und Stabilität in unserem Spiel in dieser Konstellation nachhaltig in den nächsten Wochen erreichen werden."
Tim Walter wäre gern geblieben
Walter selbst bedankte sich "beim HSV, bei der Geschäftsstelle und bei den außergewöhnlichen Fans für mehr als zweieinhalb Jahre tolle Zusammenarbeit" und fügte hinzu: "Ich hätte gerne weiter dazu beigetragen, gemeinsam unser Saisonziel zu erreichen."
Vor Weihnachten hatte der Trainer schon einmal auf der Kippe gestanden. Da erhielt er von Boldt und Sportdirektor Claus Costa aber noch einmal den klaren Auftrag, sein Team zu stabilisieren. Acht Gegentore in den ersten beiden Heimspielen des neuen Jahres gegen den Karlsruher SC (3:4) und Hannover 96 zeigten jedoch: Das bekam der Trainer nicht hin. Fehler in seinem Sturm-und-Drang-Fußball wurden immer wieder durch zu viele Gegentore bestraft, es fehlte die Konstanz.
Boldt: "Müssen das Potenzial wieder auf die Straße bringen"
Für den 48-Jährigen, dessen Vertrag noch bis Saisonende läuft, endet seine Amtszeit beim Hamburger SV damit nach mehr als zweieinhalb Jahren. Er war im Sommer 2021 zum HSV gekommen und landete in der Zweiten Liga zweimal auf Rang drei. Zum erhofften Aufstieg konnte er das Team aber nicht führen. 2022 scheiterte der HSV in der Relegation an Hertha BSC (1:0, 0:2), im vergangenen Jahr gegen den VfB Stuttgart (0:3, 1:3).
Neben Walter wurden seine Assistenten Julian Hübner und Filip Tapalovic mit sofortiger Wirkung freigestellt. Der bisherige Co-Trainer Merlin Polzin, der seit dreieinhalb Jahren zum Trainerteam der Hamburger gehört, übernimmt vorerst.
"Wir werden keinen 180-Grad-Wechsel vollziehen."
— HSV-Sportvorstand Jonas Boldt
Wie die Nachfolge auf der HSV-Trainerbank perspektivisch geregelt wird, ließ Boldt offen. "Wir werden keinen 180-Grad-Wechsel vollziehen", sagte er. Es gehe lediglich "um ein paar Stellschrauben, um das Potenzial wieder auf die Straße zu bringen".
Deshalb "aus voller Überzeugung" die Entscheidung für den 33-jährigen Polzin und Nachwuchschef Loïc Favé, der ihm als Assistent zur Seite stehen wird. Polzin, der gerade seine Trainerlizenz macht, habe "definitiv eine Chance", sich für mehr zu empfehlen: "Egal, in welcher Konstellation: Merlin Polzin wird definitiv dabei eine Rolle spielen."
Mögliche Kandidaten: Baumgart und Wicky
Mögliche Namen für die Walter-Nachfolge kommentierte Boldt nicht. "Natürlich kennen wir den Markt gut und wissen, was auf dem Markt ist und was wir wollen", sagte er. Man werde intern wie extern "weitere Gespräche führen" und parallel überlegen, "welche Möglichkeiten in der Realität wirklich existieren, den HSV weiter nach vorne zu bringen".
Ein potenzieller Kandidat für die Walter-Nachfolge ist laut Medienberichten Steffen Baumgart. Der 52-Jährige, der bis Ende 2023 den 1. FC Köln trainierte, ist bekennender HSV-Fan und dem Vernehmen nach bereit für ein Engagement in Hamburg. Auch Ex-HSV-Profi Raphael Wicky, derzeit bei Young Boys Bern unter Vertrag, wird gehandelt. Wer es auch sein wird: 13 Spiele bleiben dem Neuen, um die einst Unabsteigbaren wieder nach oben zu hieven.
Auch Boldt selbst gerät unter Druck
Zugleich rückt mit dem Trainerwechsel auch Boldt selbst in den Fokus: Seit 2019 im Amt, hat er vier vergebliche Anläufe in Richtung Bundesliga zu verantworten. Egal, ob Baumgart, Wicky, Polzin oder "Mister X" - der nächste Trainer muss den Aufstiegstraum erfüllen. Ein fünftes Scheitern wird Boldt dem mächtigen HSV-Aufsichtsrat kaum vermitteln können.
Erfolgreichster HSV-Zweitliga-Trainer
In den vergangenen 40 Jahren gab es in Hamburg nur drei Trainer mit einer längeren Amtszeit als Walter: Ernst Happel (1981-1987), Benno Möhlmann (1992-1995) und Frank Pagelsdorf (1997-2001). Walter holte in 103 Spielen im Schnitt 1,82 Punkte pro Partie, was der beste Wert in Hamburgs Zweitligahistorie ist.
Deshalb gab es zum Abschied auch lobende Worte von Boldt: "Tim und seine Jungs haben unseren HSV gelebt, sich voll mit der Aufgabe und dem Club identifiziert und den von uns eingeschlagenen Weg maßgeblich mitgestaltet. Tim hat mit seiner Energie und seiner Überzeugung zudem weit mehr Aufgaben als für einen Cheftrainer üblich übernommen."
Dieses Thema im Programm:
Sportclub | 11.02.2024 | 22:50 Uhr