Aufsteiger auf einem Abstiegsplatz Hält Holstein Kiel die Klasse? Hier muss Trainer Rapp ansetzen
Aufsteiger Holstein Kiel steht nach 15 Spieltagen in der Fußball-Bundesliga mit nur zwei Siegen auf einem direkten Abstiegsplatz. Trainer Marcel Rapp ist überzeugt, dass die KSV die Klasse hält, wenn seine Spieler weiter lernen. Die Daten zeigen, wo der "Bessermacher" ansetzen muss.
Holstein Kiel startet in das Jahr 2025 mit einer großen Offensive. Für das 125. Jahr seines Bestehens hat sich der Verein bis zum Gründungstag am 7. Oktober einen genauen Fahrplan überlegt. Man wolle "die große Tradition, die Persönlichkeiten und die Erfolge der KSV besonders in den Mittelpunkt rücken", heißt es dazu auf der Homepage der "Störche".
Der umfangreich geplante Ablauf könnte im Sommer nochmal ins Wanken geraten - wenn den Kielern der Klassenerhalt gelingen sollte. Der wäre nach dem Aufstieg im vergangenen Jahr das nächste Fußball-Wunder an der Förde.
Holstein Kiel mit Rückenwind - und gravierenden Problemen
Zwar geht das Rapp-Team nach dem 5:1-Erfolg über Augsburg mit Hoffnung und Rückenwind an diese Aufgabe, muss in den verbleibenden 19 Partien - beginnend mit dem Spiel beim SC Freiburg am 11. Januar (15.30 Uhr, im NDR Livecenter) - allerdings auch einige Baustellen schleunigst in den Griff bekommen.
Die Experten des Global Soccer Networks (GSN) haben anhand von Daten analysiert, dass Holstein "gravierende Schwächen in allen Schlüsselbereichen zeigt: eine instabile Defensive, eine wenig effiziente Offensive und ein unpräzises sowie wenig kreatives Passspiel".
Viele Gegentore durch die Mitte
Mit 38 Gegentoren haben die Schleswig-Holsteiner die bislang schwächste Defensive der Liga. Besonders anfällig ist die Mannschaft im Zentrum. Durchschnittlich 1,2 Gegentore pro Spiel kassiert sie durch die Mitte (ligaweit Rang 18), was den GSN-Experten zufolge "auf eine fehlende Kompaktheit und unzureichendes Zweikampfverhalten in zentralen Räumen hinweist". In Innenverteidiger David Zec sind die "Störche" hier eines der dringlichsten Probleme zumindest personell angegangen.
Den Daten nach ist der Slowene - aktueller GSN-Index 62,71 (unterdurchschnittlicher Bundesligaspieler), möglicher GSN-Index: 64,99 (solider Bundesligaspieler) - ein robuster Zweikämpfer mit guten Passwerten, allerdings einer durchschnittlichen Übersicht in Drucksituationen.
Was ist der GSN-Index?
Vier-Säulen-Prinzip:
- 1. "fußballerische Eigenschaften": Technik, Spielübersicht oder der erste Kontakt: Einschätzungen über 130 fußballspezifische Eigenschaften von mehr als 300 Scouts weltweit.
- 2. "fußballerisches Potenzial": Wo werden Spieler besser, wo stagnieren sie oder entwickeln sich zurück? Ein Algorithmus analysiert Daten aus der ersten Säule und vergleicht Spielertypen.
- 3. "Performance auf dem Spielfeld": Tore, Pässe, Fouls, Schüsse oder auch Abseitspositionen: die Spiel-Basisdaten und weiterführende Analysen wie "Expected goals" oder "Action scores" werden durch einen Algorithmus in einen übergeordneten Kontext gesetzt - zum Beispiel positionsbezogen.
- 4. "Spielniveau": Jede Mannschaft oder Liga hat einen Zahlenwert, der ihre Stärke bemisst. Oberliga oder Champions League: Umso höher das Spielniveau des Gegners, desto positiver wirkt es sich auf den GSN-Index aus.
Bewertungs-Skala:
- 85 - 100: Weltklasse
- 70 - 85: internationale Klasse
- 60 - 70: Durchschnitt Bundesliga bzw. der Top 5 Ligen
- 50 - 60: Durchschnitt 2. Bundesliga
- 40 - 50: Durchschnitt 3. Liga
- 30 - 40: Durchschnitt Regionalliga
Zwei GSN-Index-Werte:
- aktueller GSN-Index: zeigt die aktuelle, allumfassende Qualität eines Spielers basierend auf den Daten der vier Säulen und Algorithmus-Berechnungen.
- möglicher GSN-Index: Künstliche Intelligenz ermittelt anhand der Daten das bestmögliche, zukünftige Leistungsniveau eines Spielers.
Zec und seine neuen Kollegen werden sich steigern müssen - zum Beispiel indem die Verteidiger mehr gegnerische Pässe abfangen. Aktuell sind das nur knapp elf pro Spiel (ligaweit Rang 16). Zumal die Norddeutschen sich mit Ballverlusten in der eigenen Hälfte immer wieder selbst in die Bredouille bringen.
Ballverluste in der eigenen Hälfte
Im Schnitt 46 Mal pro Spiel verlieren sie den Ball in der eigenen Hälfte (Rang 16), häufig in gefährlichen Räumen, was zu vielen gegnerischen Torchancen führt (Rang 16). Bedeutet in der Konsequenz: Kein Team in der Liga lässt so viele Abschlüsse des Gegners zu wie Holstein - fast 16 pro Partie. Und da viele davon auch noch als "hochwertig" eingestuft werden, ergibt sich ein sehr hoher Wert der Expected Goals Against (xGA), der bei über zwei pro Spiel liegt (Rang 17).
Das "Expected goals"-Modell
"Expected goals" sind "zu erwartende Tore" und werden anhand eines Datenmodells berechnet, in das eine Vielzahl von Faktoren einfließt - unter anderem von wo auf dem Platz der Abschluss erfolgte, wie der Winkel zum Tor war und wie viele Gegenspieler noch zwischen Ball und Tor standen. Jede Torchance erhält dabei einen Wert zwischen 0 und 1, um die Wahrscheinlichkeit zu bestimmen, mit der der Ball von diesem Punkt aus im Tor landet. "Expected goals"-Werte sind so aussagekräftiger als die normale Torschuss-Statistik, die alle Abschlüsse gleich behandelt. GSN hat zur Berechnung mehr als drei Millionen Tore ausgewertet.
Dabei geht es beileibe nicht nur um die Defensivarbeit in der eigenen Hälfte, sondern auch um das "Nach-vorne-verteidigen". Doch auch hier hapert es. Die KSV hat "keine effektiven Rückeroberungen nach Ballverlusten (null Prozent nach zehn Sekunden, Rang 18) und wenige Ballgewinne in der gegnerischen Hälfte (knapp 20 pro Spiel, Rang 18). Die Gegner können sich also einerseits sehr häufig leicht frei spielen und andererseits den Druck auf die Kieler Abwehr konstant hoch halten.
Zu wenig Kreativität und Variabilität in der Offensive
In der Offensive funktioniert kaum etwas: weder über das Passspiel - Kiel ist Liga-Schlusslicht bei Pässen ins letzte Drittel sowie bei Pässen in den gegnerischen Strafraum - noch über Flanken oder Dribblings. Hinzu kommt eine eklatante Schwäche, Angriffe mit Abschlüssen zu kreieren (keine zehn pro Partie, Rang 18) - und diese effizient zu verwerten.
Die fünf Treffer gegen Augsburg haben die Statistik noch deutlich geschönt. Vor der Begegnung gegen den FCA hatten die Norddeutschen den viertschlechtsten Angriff der Liga. Das Zwischenfazit der GSN-Experten fällt entsprechend aus: "Die Angriffsmuster von Holstein Kiel wirken statisch und eindimensional. Insbesondere das Flügelspiel ist schwach."
Gesucht: Typ "Spielmacher"
Dringend gebraucht wird ein zentraler Mittelfeldspieler. Ein Neuzugang auf dieser Position wäre den Daten nach noch wichtiger als der Zec-Transfer für die Innenverteidigung. Laut GSN ist die Mittelfeldposition für die KSV "die wichtigste Baustelle, um Kreativität und Struktur ins Spiel zu bringen". Einerseits gehe es darum, "Lösungen in engen Räumen zu finden", aber auch präzise Pässe spielen und gefährliche Standardsituationen ausführen zu können.
Coach Rapp hatte allerdings bereits vor der kurzen Winterpause klargemacht: "Wenn wir Spieler verpflichten oder ausleihen, dann sollten die besser sein, als die, die wir haben, und bezahlbar sein. Diese Kombination ist nicht so einfach für Holstein Kiel."
5-3-2 den Daten nach die beste Holstein-Formation
Im Umkehrschluss könnte das bedeuten: Die KSV wird es weiter mit "Bordmitteln" probieren (müssen). Um defensiv besser zu stehen, wird das Team an kompakteren Strukturen arbeiten müssen, also etwa an engeren Abständen zwischen den Mannschaftsteilen. Denkbar wären auch eine Absicherung durch eine Doppel-Sechs im Mittelfeld, ein besseres Pressing beziehungsweise Gegenpressing sowie die konsequentere Verteidigung von Standardsituationen und Kontern.
Um auch auf den Flügeln nach vorne gefährlicher zu werden, könnten die Außenverteidiger stärker eingebunden werden. Diagonalpässe könnten hier ein adäquates Stilmittel sein, zudem mehr Läufe in den Rücken der gegnerischen Abwehr gewagt werden, um mehr Breite und Tiefe zu schaffen. Im Testspiel bei Union Berlin am Sonntag (2:1) klappte das Flügelspiel - ebenso wie ein gesteigertes Gegenpressing - zumindest in Phasen besser.
Generell sprechen die GSN-Daten dafür, dass Coach Rapp über eine 5-3-2-Formation nachdenken sollte. Denn das System könnte der KSV helfen, die Schwächen in der Defensive zu minimieren und gleichzeitig die vorhandenen Stärken wie Laufintensität, Kopfballpräsenz und Konterspiel besser zu nutzen.
"Wenn wir unseren Weg so weitergehen, die Jungs entwickeln, dann werden wir zum Schluss die Klasse auch halten."
— KSV-Trainer Marcel Rapp
Situativ könnten die "Störche" zudem relativ leicht "umschwenken" - gegen Teams, die das Zentrum kontrollieren, etwa auf eine 3-5-2-Formation mit drei zentralen Mittelfeldspielern.
"Bessermacher" Rapp ist überzeugt, dass die Lehren aus den ersten 15 Begegnungen weiter Früchte tragen werden: "Wenn wir unseren Weg so weitergehen, die Jungs entwickeln, dann werden wir zum Schluss die Klasse auch halten." Im Kieler Medienteam wäre ihm sicher niemand böse, wenn man den ausgeklügelten Fahrplan zum 125. Geburtstag im Mai aufgrund des Ligaverbleibs ändern müsste.
Mögliche Aufstellung Holstein Kiel (5-3-2):
Weiner - Puchacz, Geschwill, Zec, Ivezic, Rosenboom - Remberg, Holtby, Knudsen - Machino, Pichler
Dieses Thema im Programm:
Schleswig-Holstein Magazin | 06.01.2025 | 19:30 Uhr