Jahresrückblick Golferin Henseleit will ihr Silber-Glück von Paris für etwas Gutes nutzen
Jeder in Deutschland kennt Bernhard Langer, viele kennen Martin Kaymer und einige haben auch schon einmal vom "Golf-Punk" Marcel Siem gehört. Aber am 10. August 2024 rückte Esther Henseleit ins Rampenlicht: Da gewann die junge Frau aus Varel in Friesland als erste deutsche Golferin eine Medaille bei Olympischen Spielen.
Da hat Esther Henseleit endlich einmal frei nach einer so langen und strapaziösen Saison, ist auf Heimatbesuch mit ihrem Verlobten Reece Philipps und dann doch wieder in Sachen Golf unterwegs. Die 25-Jährige hat sich in ihr übliches Outfit mit Schirmmütze und Sponsorenlabels geworfen und macht Werbung für die German Masters. Das einzige Profi-Golf-Turnier für Frauen in Deutschland, das im kommenden Jahr erstmals in Winsen an der Luhe stattfinden wird.
"Es bedeutet mir sehr viel, vor Freunden, meiner Familie und hoffentlich ganz vielen Golf-Fans spielen zu können", sagte Henseleit ganz entspannt und voller Vorfreude. Sie wird vom 26. bis 29. Juni nicht nur dabei sein. Sie wird die Haupt-Attraktion.
Olympische Schlussrunde wie im Rausch
Dass es für die Golferin aus Varel in Friesland so weit gekommen ist, hat vor allem mit dem 10. August 2024 zu tun. Dem Tag, an dem sie beim olympischen Golfturnier in Paris mit fast aussichtslosen fünf Schlägen Rückstand auf die Medaillenränge auf die letzte Runde gegangen war.
"Mir war klar, dass ich schon etwas ganz Besonderes machen muss, wenn ich noch eine Chance haben will", sagte sie rückblickend dem NDR. Und sie machte von Beginn an besondere Sachen. Spielte auf den ersten beiden Spielbahnen, die mit furchteinflößenden Wasserhindernissen gesäumt sind, gleich zwei Birdies und verkürzte den Rückstand auf nur noch drei Schläge. Danach fühlte sich alles an wie im Traum. "Es war unglaublich, wie viele deutsche Zuschauer da waren, die mich angefeuert haben. So etwas hatte ich noch nie erlebt."
Getragen von dieser Unterstützung machte Henseleit einen Schlag nach dem anderen gut. Und nach der Hälfte der Runde lag die krasse Außenseiterin auf einmal in der Spitzengruppe. "Ich habe es auf der großen Anzeigetafel gesehen. Viele Profis sagen ja, sie gucken da lieber nicht drauf, um sich nicht unter Druck zu setzen. Aber ich bin da viel zu neugierig. Und mich hat das angespornt."
Gut zwei Stunden später beendete Henseleit die Runde mit zwei weiteren Birdies, spielte mit 66 Schlägen die zweitbeste Runde des Tages und holte sich tatsächlich hinter der Neuseeländerin Lydia Ko die olympische Silbermedaille. Als Krönung die Siegerehrung. "Es war so schön, das mit Lydia und Xiu gemeinsam zu erleben. Das sind zwei der nettesten Kolleginnen überhaupt, das war wunderschön."
Sponsoren stehen nach Silber Schlange
Mittlerweile liegt das einmalige Erlebnis von Paris viereinhalb Monate zurück. Die Auswirkungen spürt Henseleit aber noch fast täglich. Ihr Name ist in der Sportwelt ein Begriff geworden. Ihr Manager Christian Reimbold drückt es so aus: "Man kennt Esther mittlerweile auch über die Golf-Blase hinaus. Es gibt so viel mehr Anfragen von Medien und Sponsoren."
Damit lohnt sich der Erfolg auch finanziell, was im Frauen-Golf nicht selbstverständlich ist. Ausschlaggebend waren die Erfolge bei den Major-Turnieren und die Teilnahme am Solheim Cup. Aber allen voran natürlich der Gewinn der Silbermedaille. "Wir müssen mittlerweile sogar Sponsoren-Angebote ablehnen, weil es zu viele sind."
"Es gab definitiv mehr Aufmerksamkeit und ich versuche, das für etwas Gutes zu nutzen. Wenn die Medaille junge Golfer dazu inspiriert, ihren Träumen nachzujagen, dann bin ich sehr glücklich."
— Esther Henseleit
Bei der Pressekonferenz in Winsen an der Luhe hat Henseleit die Silbermedaille dabei. Denn erstmals in diesem ereignisreichen Jahr hat sie die Möglichkeit, das schwere Stück Familie und Freunden zu zeigen. Nach Olympia, damals im August, ging es ja direkt weiter. Mit Turnieren in Schottland und Nordamerika. Und natürlich dem Solheim Cup. Dem Erdteilvergleich zwischen Europa und den USA, dem Pendant zum Ryder Cup bei den Männern.
"Da ist auch ein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen. Dass ich da den allerersten Abschlag der Veranstaltung machen durfte, war eine große Ehre. Und wir haben den Amerikanerinnen am letzten Tag ganz schon Druck gemacht. Schade, dass wir es nicht ganz geschafft haben."
Reece Phillips - ein Mann, drei Rollen
Es war ein Jahr, in dem alles klappte. Auch privat. Henseleit verlobte sich mit ihrem langjährigen Freund Reece Philipps. Der verkörpert damit gleich drei Rollen in einer Person. Partner, Trainer und Caddie. Beide sind im Grunde immer zusammen und sie genießen es. Über eine vierte Rolle, die des Vaters, haben sie sich noch keine Gedanken gemacht. "Erste Priorität liegt eindeutig auf Golf. Die anderen Dinge haben noch Zeit."
Dabei erlebt sie in ihrem direkten Profi-Golf-Umfeld, wie es geht. Sowohl Carolin Masson als auch Sophia Popov haben in den vergangenen Jahren Kinder bekommen und sind nach einer Pause auf die Profitour zurückgekehrt. "Ich habe großen Respekt davor. Sophia ist eine meiner besten Freundinnen. Sie wohnt in Arizona nur zehn Minuten entfernt und wir verbringen viel Zeit miteinander. Wie sie und Caro das machen, Mutter sein und gleichzeitig Profigolf spielen, ist schon großartig."
Ziel für 2025: Erster Sieg auf der amerikanischen Tour
Trotzdem, direkte Vorbilder sind beide nicht. Henseleit ist mit 25 auch sieben beziehungsweise zehn Jahre jünger als Popov und Masson. Und auch ohne Kinder ist ihr Leben stressig genug. Da kommen die sechs Wochen Winterpause, die sie in Europa verbringt, gerade recht. Auftanken für das nächste Jahr, das nicht ganz so voll mit Höhepunkten ist. Ziele hat sie trotzdem: "Ich möchte im kommenden Jahr mein erstes Turnier auf der amerikanischen Tour gewinnen."
Aber vorher soll Golf für ein paar Wochen eine untergeordnete Rolle spielen. Die Weihnachtszeit und den Jahreswechsel in Europa genießen, das ist zunächst Ziel Nummer eins.
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27.12.2024 | 11:17 Uhr