Fousseni Alassani hält in seinem Tattoo-Studio seine Biografie mit dem Titel Geduld in der Hand

NDR-Sport Fousseni Alassani: Überfälle statt Tore, Knast statt Fußball-Karriere

Stand: 20.01.2025 08:08 Uhr

Fousseni Alassani stand die Tür zum Profifußball sperrangelweit offen. Der Hamburger spielte für die U23 des FC St. Pauli, Felix Magath wollte ihn zum VfL Wolfsburg holen. Doch statt in der Bundesliga landete der gebürtige Togolese im Gefängnis. Dort wurde er beinahe umgebracht. Mit 33 Jahren blickt Alassani auf ein bewegtes Doppelleben zwischen Kriminalität und Bolzplatz zurück, das er in der Biografie "Geduld - Sabr" schonungslos offenlegt.

Von Hanno Bode

Auf einer Gehwegplatte vor einem Eingang ist eine Blutlache. Irgendwoher erklingt die Stimme einer Frau, die hingefallen ist und nun in fremder Sprache offenbar nach Hilfe ruft. Das Blaulicht eines Rettungswagens spiegelt sich bald darauf in einigen Fenstern des Innenhofs, durch den Fousseni Alassani am Freitagnachmittag mit einigen seiner langjährigen Freunde geht. Die Lage ist unübersichtlich, lässt den 33-Jährigen und seine "Brüder", wie er seine Kumpel nennt, aber komplett kalt. Sie alle sind hier in Mümmelmannsberg aufgewachsen.

Blut, Blaulicht und Schreie zählten für sie in ihrer Jugend zum Alltag in der Großwohnsiedlung im Hamburger Stadtteil Billstedt. Das Quartier gilt als sozialer Brennpunkt. "Vor zwei Wochen ist hier einer unserer Freunde erschossen worden. Wir waren gerade auf seiner Beerdigung. Das ist normal hier", sagt einer von Alassanis Kumpels und zuckt dabei mit den Achseln. Der Fall des 20-Jährigen, der kurz nach einer Schießerei in der Nähe des U-Bahnhofes Mümmelmannsberg verstarb, ging bundesweit durch die Presse. Die Polizei vermutet einen Streit im Drogenmilieu. Keine abwegige Einschätzung, wie Alassani bestätigt: "Hier wirst du entweder Fußball-Profi oder Dealer, aber bestimmt nicht Arzt."

Kindheit und Jugend in den Straßen von Mümmelmannsberg

Der 33-Jährige lebt inzwischen nicht mehr in "Mümmeltown", wie das Quartier von seinen Bewohnern auch gerufen wird. Für und mit dem NDR ist er noch einmal an den Ort seiner Jugend zurückgekehrt. Für ihn ist die kurze Fahrt durch den kleinen Stadtteil mit ganz vielen Erinnerungen verbunden. "Ich bin hier auf der Straße groß geworden und habe viel Scheiße gebaut", erklärt Alassani. Er verübte Überfälle, beging Diebstähle und dealte mit Marihuana.

"Er hat Sachen gemacht, die nicht mal die Älteren gemacht haben."
— Lamin Jawla, langjähriger Freund von Alassani

"Er hatte hier schon als Jüngerer ein hohes Ansehen, weil er Sachen gemacht hat, die nicht mal die Älteren gemacht haben", berichtet Lamin Jawla, der Alassani bereits seit seinem fünften Lebensjahr kennt. Beide sind eng befreundet. Zur Verteidigung seines "Buddys" sagt der 33-Jährige: "Man musste sich hier einfach auch oft verteidigen und seinen Mann stehen." Aus dem Mund von Alassani klingt es ganz ähnlich: "Man musste sich hier durchboxen, um essen zu können."

Rauswurf bei St. Pauli wegen Klau einer Personenwaage

Der gebürtige Togolese, der als Zweijähriger mit seinen Eltern nach Deutschland kam, hätte sich aber durchaus in eine andere, bessere Zukunft schießen können. Und zwar nicht mit einer Pistole, sondern seinen Füßen. Alassani war ein begnadeter Kicker. Nach einer überragenden letzten Saison im Jugendbereich beim JFV Jung-Elstern verpflichtete ihn der FC St. Pauli 2010 für seine U23.

Fousseni Alassani hält in seinem Tattoo-Studio seine Biografie mit dem Titel Geduld in der Hand

Alassani hält seine Biografie "Geduld - Sabr" in der Hand. Es ist eine große Lebensbeichte.

Damit war der erste Schritt in Richtung Profifußball getan. Rund eineinhalb Jahre lang lief es für ihn sportlich auch gut. Der Offensivspieler war Leistungsträger, durfte sogar regelmäßig mit der Erstliga-Mannschaft des Kiezclubs trainieren und hatte eine Offerte des VfL Wolfsburg vorliegen.

Dann aber folgte eine Auswärtspartie mit dem U23-Team beim VFC Plauen. Im Nachgang des Spiels kam das Kind im Manne bei Alassani zum Vorschein. Er ließ aus "Jux und Spaß" eine Personenwaage aus dem Mannschaftshotel mitgehen. Der Diebstahl flog auf - und Alassani raus. Auch, weil noch andere Dinge vorgefallen sein sollen.

Ex-St.-Pauli-Coach Großkopf: "Riesentalent mit zwei Gesichtern"

"Es war eine Enttäuschung für uns alle und auch eine traurige Geschichte", erklärt sein damaliger Trainer Jörn Großkopf dem NDR. Der Ex-Profi ist überzeugt davon, dass Alassani "das Zeug hatte, in der Zweiten oder Ersten Liga zu spielen". Das "Riesentalent" sei auch ein "lieber, netter Kerl" gewesen, so der Coach. "Aber er war eben ein Mann mit zwei Gesichtern", sagt er mit Blick auf das Doppelleben seines früheren Schützlings zwischen Bolzplatz und kriminellem Milieu.

Fußball-Trainer Jörn Großkopf

Jörn Großkopf war Alassanis Coach bei der U23 des FC St. Pauli.

Alassani selbst macht gar kein Hehl daraus, auch während seiner Zeit bei St. Pauli weiter "krumme Dinger" gedreht zu haben: "Bei Pauli habe ich 1.000 Euro bekommen, auf der Straße konnte ich 40.000 Euro machen", berichtet der 33-Jährige. Da sei die Verlockung einfach zu groß gewesen, sich auf illegalem Weg zu bereichern. Zumal er "geldgierig" gewesen sei.

Überfall auf Supermarkt in Wedel

Nach dem Rauswurf bei St. Pauli fiel das Talent in ein mentales Loch. Der Fußball hatte ihn zuvor davon abgehalten, noch mehr Blödsinn zu machen. Nun fehlte dieser Halt, ein geordneter Tagesablauf. Ein Kumpel gab ihm den Tipp, einen Supermarkt in Wedel zu überfallen, wo er nach seiner Ankunft in Deutschland zunächst gelebt hatte. Dort seien 60.000 Euro zu holen. Alassani kannte die Umgebung und war sich seiner Sache ziemlich sicher. Und weil er "als kleiner Junge schon Überfälle auf Kioske gemacht hatte", sei es für ihn auch kein großer Schritt mehr gewesen, nun einen Supermarkt zu überfallen.

An einem Samstagabend im März 2012 zog er sich eine schwarze Skimaske über das Gesicht und ging mit einer Schreckschusspistole bewaffnet und Pfefferspray kurz vor Ladenschluss in die Filiale. "Ich knall euch ab, wenn ihr euch bewegt", schrie er die Verkäuferinnen an, wie es im Urteilsspruch des Amtsgerichts Pinneberg steht. Mit einer Beute von rund 11.000 Euro flüchtete er schließlich in einen Wald in der Nähe des Supermarkts.

Die Polizei war längst verständigt worden und ihm auf den Fersen. Ein Hubschrauber kreiste über ihm. Stundenlang versteckte sich Alassani zwischen Bäumen. Als er dachte, die Polizei habe sich zurückgezogen, verließ er den Wald - und wurde geschnappt.

Kumpel Kalim berichtet von weiteren "100 Überfällen"

Die Presse bekam Wind von dem Fall. "Er war ein viel versprechendes Talent. Sein Marktwert lag bei 150.000 Euro. Doch ein idiotischer Raubüberfall könnte seine Fußball-Karriere jetzt für immer beenden", schrieb beispielsweise die "Bild". Aber Alassani sollte noch eine weitere Chance bekommen. Denn das Jugendschöffengericht des Amtsgerichts Pinneberg verurteilte den damals 21-Jährigen nur zu einer knapp zweijährigen Bewährungsstrafe.

In der Replik ein fatales Urteil. Denn: "Die Bewährungsstrafe war in seinem Unterbewusstsein vielleicht der Knackpunkt dafür, dass er nun meinte, ihm könne nie und nimmer etwas passieren", erzählt Kumpel Jawla in seiner Biografie. Der deutsche Rap-Star Kalim, bester Freund von Alassani, berichtet sogar von "bestimmt 100 weiteren Überfällen", die der frühere St.-Pauli-Kicker anschließend "durchgezogen" habe.

Fast-Aufstieg mit Berliner AK unter Steffen Baumgart

Der Wechsel nach Wolfsburg hatte sich nach dem öffentlich gewordenen Supermarkt-Überfall natürlich erledigt. Aber Berater Daniel Scheinhardt vermittelte Alassani immerhin noch zum Regionalligisten SV Wilhelmshaven. Dort lief es bis zu einem Bandscheibenvorfall gut für ihn. Glücklich wurde er fernab der Heimat aber nicht. Nach nur einem Jahr kehrte Alassani nach Hamburg zurück, kickte dort für kleinere Clubs. 2014 nahm er beim Berliner AK noch einmal einen Anlauf im höherklassigen Fußball. Beinahe wäre der Offensivmann mit den Hauptstädtern in die Dritte Liga aufgestiegen.

Fousseni Alassani im Trikot des Berliner AK (Foto aus dem Jahr 2014)

Beim Berliner AK erlebte Alassani noch einmal eine gute sportliche Zeit.

Nachdem sein damaliger Coach Steffen Baumgart (Alassani: "Ein Typ wie ich, er trägt das Herz auf der Zunge") dann kurz nach der Vizemeisterschaft gefeuert wurde, verlor auch der Angreifer zunehmend die Lust an seinem BAK-Engagement. Ende März 2016 verschwand er aus Berlin, "weil er die Schnauze voll vom Leistungsfußball hatte", wie es in der Biografie über ihn heißt.

Neunwöchige Flucht nach Überfall auf Tankstellen-Pächterin

Ohne das Gehalt des Regionalligisten wurde es finanziell schnell eng für Alassani. Denn seinen Lebensstil ("Meine Fixkosten waren verdammt hoch, ich habe mir Uhren und Gold gekauft und war mit Frauen unterwegs") wollte er nicht aufgeben. Deswegen hatten sich auch Schulden angehäuft. Es folgte eine Entscheidung, die sein Leben grundlegend verändern sollte. Im Dezember 2016 passte er die Pächterin einer Tankstelle auf ihrem Weg zu einer Bank ab, bedrohte sie mit einem Messer und griff sich die Tasche mit den Geldsäcken. Anschließend flüchtete er per Auto, das von einem Bekannten gefahren wurde, in seine "Kifferwohnung" nach Mümmelmannsberg.

Mit einem Teil der Beute von insgesamt 25.000 Euro fuhr Alassani gemeinsam mit einigen Kumpels nach Amsterdam zum Feiern. Dort erhielt er einen Anruf von seinem Vater, der ihm berichtete, dass die Polizei nach ihm suche. Alassani warf sein Handy weg und beschloss unterzutauchen. Neun Wochen war er auf der Flucht, dann fand ihn die Polizei in seinem Versteck, einer kleinen Wohnung in Osdorf.

Harte Jahre in "Santa Fu" mit Schwerstverbrechern

Anders als nach seinem Überfall auf den Supermarkt vier Jahre zuvor, als sein Anwalt ihn vor einer Inhaftierung bewahrt hatte, musste Alassani nun hinter Gitter. Er wurde wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung zu sechs Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Nach seiner Zeit im Untersuchungsgefängnis (Alassani: "Drecksloch Dammtor, es war die Hölle") kam er in die Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel, im Volksmund besser bekannt als "Santa Fu".

In dem weit über Hamburg hinaus berüchtigten Knast war er in einer Abteilung mit Mördern, Vergewaltigern, Räubern, Kapitalverbrechern, Kinderschändern und Männern, die zum ersten Mal einsitzen wie er. Sich hinter den meterhohen Mauern der Anstalt zu behaupten, gelingt nicht jedem. "Ich habe viele gesehen, die einen Knacks im Knast bekommen haben, die nach zwei, drei Jahren nicht mehr derselbe Mensch waren", erzählt Alassanis Freund Jawla. Bei seinem Kumpel habe er diesbezüglich aber keine Sorgen gehabt: "Ich habe schon damals gesagt: Wenn jemand in den Knast reingeht und wieder genau so rauskommt, dann ist er das, weil er mental so stark ist, ein Tier ist."

Alassani kommt durch Glauben zur Besinnung

Alassani machte sich in "Santa Fu" bei seinen Mithäftlingen einen Namen - und erhielt deswegen von seinen Kumpels den Spitznamen "Santa". Vor dem 33-Jährigen hatten seine Mithäftlinge Respekt. Weil er stark war und das hatte, was sie wollten: Drogen. Auch in Gefangenschaft dealte Alassani weiter, finanzierte so auch seinen eigenen Marihuana-Konsum. Läuterung? Zunächst Fehlanzeige. Aber mit der Zeit kam Alassani zur Besinnung. Der Muslim betete viel, fastete und kam zu der Erkenntnis, das Glück nicht erzwingen zu können. Dafür brauche es Geduld, wurde ihm klar.

Sabr, die arabische Übersetzung von Geduld, wurde nun zu einem gängigen Begriff, wenn er mit seinen Freunden sprach. "Charakterlich hat sich Fousseni im Knast nicht verändert. Nur seine Sichtweisen sind anders geworden. Bevor er heute etwas anpackt, denkt er erst einmal nach. Das war früher eher selten der Fall", erklärt Jawla.

Neues Leben als Geschäftsmann und Manager

Einmal aber hatte Alassani in "Santa Fu" keine Zeit, geduldig zu sein. Es ging um Leben und Tod. Um sein Leben. Ein Mithäftling bedrohte den 33-Jährigen mit einem Messer, wollte ihn angehen. Doch bevor der Iraner ihn attackieren konnte, schlug Alassani zu. Es entwickelte sich ein Kampf, bei dem er mehrere Schnittwunden im Oberkörperbereich erlitt. Die Narben erinnern ihn noch heute an den Zwischenfall. Sie sind ebenso stumme Zeugen auf seinem Körper wie diverse Tattoos. Schon früh hatte sich Alassani eines stechen lassen, inzwischen hat er weit mehr als ein Dutzend. Das größte davon ist auf seinem Rücken. Dort steht geschrieben: "Rache verjährt nicht."

Fousseni Alassani (r.) sitzt gemeinsam mit dem Rapper "Emo33" in seinem Tattoo-Studio

Alassani (r.) betreibt gemeinsam mit dem Rapper Emo33, den er auch managt, ein Tattoo-Studio.

Klingt wie eine Drohung, ist es aber nicht mehr. Behauptet jedenfalls Alassani: "Heute gehe ich den geraden Weg." Nachdem er über fünf Jahre seiner Haftstrafe verbüßt hatte, begann er in Freiheit ein neues Leben. Alassani begleitet seinen Freund Kalim, der während seiner Haftzeit zum millionenschweren Rapstar wurde, auf Tour. Er promotet den Hamburger Nachwuchsboxer Zeidan Gouroungou und managt den Rapper Emo33. Mit Emre Öcal, wie der Musiker mit bürgerlichen Namen heißt, betreibt der 33-Jährige zudem ein Tattoo-Studio.

Trauer um vergebene Profi-Chance, aber keine Reue

Beide kennen sich seit vielen Jahren und saßen eine Zeit lang gemeinsam in "Santa Fu" ein. "Ich bin jetzt Familienvater und habe eine richtige Umwandlung durchgemacht. Ich bin derjenige, der zu 'Santa' sagt, bitte bleib sauber. So einen Freund brauchst du an deiner Seite", erklärt Öcal, der als Jugendlicher ebenfalls ein talentierter Fußballer war. "Manchmal, wenn ich nicht einschlafen kann, denke ich daran, wie es gewesen wäre, wenn ich Profi geworden wäre", erklärt Öcal nachdenklich.

"Wenn der Knast nicht gewesen wäre, wäre ich zu 100 Prozent bei Manchester United gelandet."
— Fousseni Alassani über sein Potenzial als Fußballer

Sein Freund Alassani war sogar ganz nah dran an der großen Karriere. "Wenn der Knast nicht gewesen wäre, wäre ich zu 100 Prozent bei Manchester United gelandet. Aber es ist leider nichts geworden", sagt der große ManU-Fan. Klingt danach, als würde der 33-Jährige mit großem Bedauern auf viele falsch getroffene Entscheidungen zurückblicken. Aber: "Ich bereue, dass ich nicht Fußballer geworden bin. Aber mein Leben, wie es sich abgespielt hat, bereue ich nicht."

Um diesen Satz besser verstehen zu können, ist ein Satz seines Freundes Lamin Jawla sehr hilfreich: "Man bekommt den Jungen aus dem Ghetto, aber nicht genauso schnell das Ghetto aus dem Jungen."

Dieses Thema im Programm:
Sportclub | 19.01.2025 | 22:50 Uhr